Wertersatz & Leistungskondiktion

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G ist Eigentümer einer alten Villa. Er beauftragt F damit, neue Fenster (Wert: € 300) in das Gebäude einzubauen. F baut die Fenster ein. Im Anschluss ficht G den zugrundeliegenden Werkvertrag wirksam an. F will ihre Fenster zurück.

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Einordnung des Falls

Wertersatz & Leistungskondiktion

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F kann auch nach dem Einbau Herausgabe der Fenster aus § 985 BGB verlangen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Vindikationsanspruch (§ 985 BGB)s setzt zunächst voraus, dass der Anspruchsteller Eigentümer ist. Hier könnte aber ein Eigentumsverlust nach § 946 BGB vorliegen. Dieser setzt voraus, dass eine bewegliche Sache mit einem Grundstück dergestalt verbunden wird, dass sie wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird. Auch wesentliche Bestandteile eines Gebäudes sind wesentliche Bestandteile des Grundstücks (§ 94 Abs. 1). Wesentlicher Bestandteil eines Gebäudes ist alles, was zu dessen Herstellung (hierzu zählt auch die Modernisierung) eingefügt wird (§ 94 Abs. 2 BGB).Die Fenster sind wesentlicher Bestandteil des Gebäudes und damit auch wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. F hat an G das Eigentum an den Fenstern nach § 946 BGB verloren.
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2. F steht gegen G ein vertraglicher Anspruch auf Werklohnzahlung (§ 631 Abs. 1 BGB) zu.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung setzt einen wirksamen Werkvertrag voraus. Ein Werkvertrag entsteht durch zwei wirksame, korrespondierende Willenserklärungen.Zwar hat G die F ursprünglich mit dem Einbau der Fenster beauftragt, allerdings hat er diese Willenserklärung wirksam angefochten. Dementsprechend ist seine Willenserklärung gem. § 142 Abs. 1 BGB ex tunc nichtig. Es liegt also kein Werkvertrag vor.

3. F kann nach Ansicht der h.L. Wertersatz gem. §§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 (Leistungskondiktion) verlangen.

Nein!

Die h.L. geht davon aus, dass § 951 Abs. 1 S. 1 BGB nur auf die Nichtleistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB) verweist. Diese ist aber grundsätzlich subsidiär, wenn eine Leistungsbeziehung vorliegt. Eine Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.F hat die Fenster bewusst eingebaut, um ihre Verpflichtung aus dem – vermeintlich bestehenden – Werkvertrag zu erfüllen. Es liegt also eine Leistungsbeziehung vor, die die Nichtleistungskondiktion sperrt.Achtung: Dies bedeutet nicht, dass F nach der h.L. keinen Ersatz für die Fenster fordern kann. Anspruchsgrundlage ist allerdings direkt § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB (also ohne Verweis über § 951 Abs. 1 S. 1 BGB).

4. Die Rechtsprechung sieht in § 951 Abs. 1 S. 1 BGB auch einen Verweis auf die Leistungskondiktion.

Genau, so ist das!

Nach Ansicht der Rechtsprechung verweist § 951 Abs. 1 S. 1 BGB sowohl auf die Leistungs- als auch auf die Nichtleistungskondiktion. Dem steht zumindest der Wortlaut von § 951 Abs. 1 S. 1 BGB nicht entgegen. Die Gegenansicht wendet aber ein, wenn eine Leistung vorliege, sei die Anwendung von § 951 Abs. 1 S. 1 BGB sinnlos und § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB sei direkt einschlägig.

5. Darf F die Fenster wieder ausbauen?

Nein, das trifft nicht zu!

Es ist umstritten, ob § 951 Abs. 2 S. 2 BGB ein eigenständiges Wegnahmerecht für jemanden begründet, der einen Rechtsverlust nach den §§ 946f. BGB erleidet (h.L) oder ob die Norm lediglich das Wegnahmerecht des § 997 BGB erweitern soll (Rspr.). Die h.L. geht jedenfalls davon aus, dass das Wegnahmerecht nur vorliegt, wenn der Anspruchsteller einen Ausgleichsanspruch nach § 951 Abs. 1 S. 1 BGB hätte.Nach Ansicht der h.L. enthält § 951 Abs. 1 S. 1 BGB nur eine Verweisung auf die Nichtleistungskondiktion, die hier nicht einschlägig ist. Dementsprechend steht F nach dieser Ansicht weder ein Ausgleichsanspruch und damit auch kein Wegnahmerecht zu. Nach der Rspr. scheitert das Wegnahmerecht daran, dass F kein unberechtigter Besitzer ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EVA

evanici

15.9.2023, 16:31:12

Also würde man trotzdem die § 951 i.V.m. NLK so prüfen, als läge nur eine NLK-Situation vor und die Subsidiarität bei vorrangiger Leistungsbeziehung ist dann ebenfalls einschlägig, richtig? Und wieso wäre ein Verweis auf § 812 I 1 F. 1 grundsätzlich sinnlos, einfach nur wegen der deklaratorischen Wirkung?

LexSuperior

LexSuperior

13.12.2023, 23:38:37

Ich glaube hier ist gemeint das es bei vorliegen einer Leistungskondiktion den 951 BGB überhaupt nicht braucht da 812 BGB direkt einschlägig ist.

DIAA

Diaa

8.10.2023, 14:33:25

In der dritten Frage wird nach § 812 I 1 Alt. 1 gefragt, aber in der Antwort auf die

Nichtleistungskondiktion

abgestellt..!

TI

Timurso

9.10.2023, 01:06:09

Deswegen ist die Aussage ja auch falsch.

FEL

Felina

1.3.2024, 19:54:37

Und der Anspruch nach 997 kommt nicht in Betracht, weil der Werkunternehmer kein Besitzer des Hauses war?

Paulah

Paulah

4.7.2024, 20:51:15

Im vorherigen Fall heißt es "Darf A die Fenster nach Ansicht der h.L. auch wieder ausbauen (§ 951 Abs. 2 S. 2 BGB)? - Ja!" Und in der Erläuterung "§ 951 Abs. 2 S. 2 BGB regelt nach der h.Lit. ein eigenständiges Wegnahmerecht für j e d e n, der einen Rechtsverlust in Folge der §§946f. BGB erleidet." Hier steht "Darf F die Fenster wieder ausbauen? - Nein!" Mit der Erläuterung "Die h.L. geht jedenfalls davon aus, dass das Wegnahmerecht n u r v o r l i e g t, w e n n der Anspruchsteller einen Ausgleichsanspruch nach § 951 Abs. 1 S. 1 BGB hätte." Das widerspricht sich meiner Meinung nach. Oder ich verstehe die Texte nicht richtig.

FTE

Findet Nemo Tenetur

12.11.2024, 10:29:49

Unter Vorbehalt, weil ich auch nicht sicher bin, ob ich’s ganz durchschaut habe: Ich glaube der Unterschied ist, dass im vorherigen Fall eine

Nichtleistungskondiktion

vorlag, bei der § 951 unproblematisch nach allen Ansichten Anwendung findet. Beim hiesigen Fall liegt hingegen eine Leistungskondiktion vor, bei der strittig ist, ob § 951 auch auf sie verweist. So wie ich es verstanden habe, lehnt die hL eine solche Verweisung auf § 812 I 1 Alt. 1 ab, sodass § 951 I 1 nicht einschlägig ist. Da § 951 II 2 aber die Anwendbarkeit von § 951 I voraussetzt, besteht dann kein Wegnahmerecht. Aus diesem Grund kommen sowohl Literatur als auch Rechtsprechung hinsichtlich des Wegnahmerechts in diesem Fall zum gleichen Ergebnis.

Paulah

Paulah

13.11.2024, 10:44:35

Ahh ... 💡Das hängt dann mit dem Zwei- bzw. Drei-/Mehrpersonenverhältnis zusammen. Das klingt logisch! Danke!

Paulah

Paulah

16.10.2024, 09:23:13

Leider wurde meine Frage, die ich vor 103 Tagen in einem anderen Thread gestellt habe, nicht beantwortet. Es wäre toll, wenn das jemand machen könnte.

MEG

Megx

7.11.2024, 12:11:53

Nochmal für Dumme: In diesem Fall bejahen wir den gesetzlichen Eigentumserwerb an den Fenstern. D.h. der Besteller hat vorliegend durch Leistung des Werkunternehmers nur den Besitz an den Fenstern erlangt, aber nicht das Eigentum. Heißt auch: der Werkunternehmer kann laut Literaturmeinung zwar aus Leistungskondiktion vorgehen, aber nur Ersatz für die Besitzverschaffung verlangen, richtig?

FTE

Findet Nemo Tenetur

12.11.2024, 10:43:00

Anschlussfrage daran: liegt denn ausschließlich gesetzlicher Eigentumserwerb vor? Denn der Besteller hat zwar den Werkvertrag angefochten, aber das dingliche Geschäft bleibt doch weiterhin wirksam. Solange nicht auch die

dingliche Einigung

angefochten ist, besteht also rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb durch Leistung. Oder beinhaltet die Absprache zwischen Besteller und Werkunternehmer nicht gleichzeitig auch die Einigung darüber, dass das Eigentum an den Materialien auf den Besteller übergehen soll? Das wäre doch komisch, denn dann läge ja immer ausschließlich ein gesetzlicher Eigentumserwerb vor, hinsichtlich dem der Werkunternehmer dann theoretisch immer nach § 951 I vorgehen könnte.

MEG

Megx

12.11.2024, 15:14:08

Ich fände es ebenfalls komisch, wenn wir trotz Werkvertrag nur gesetzlichen Eigentumserwerb hätten, habe es aber wegen der Lösung der ersten Frage - die lediglich den gesetzlichen Eigentumserwerb nach

§ 946 BGB

anspricht - so verstanden. Kann aber sein, dass das hier nur eine konstruierte Ausnahmekonstallation ist, um die Inhalte dieses Kapitels vermitteln zu können. Wäre aber schön, wenn das jemand bestätigen / aufklären würde bitte! :)


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