Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Geheimer Vorbehalt / Scherzerklärung / Scheingeschäft

Scherzerklärung (§ 118 BGB) – Kündigung unter Augenzwinkern am Biertisch

Scherzerklärung (§ 118 BGB) – Kündigung unter Augenzwinkern am Biertisch

25. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Mieter M erzählt bei einem gemütlichen Umtrunk mit Vermieter V von seinem Goldfisch Goldy. Daraufhin erwidert V, dass Haustiere im Büro doch nicht abgemacht waren und kündigt M daher aus Scherz unter Augenzwinkern die Büroräume. M begibt sich niedergeschlagen auf Suche nach einem neuen Büro.

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Einordnung des Falls

Scherzerklärung (§ 118 BGB) – Kündigung unter Augenzwinkern am Biertisch

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat eine Kündigungserklärung abgegeben.

Ja, in der Tat!

Eine Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf Beendigung des Vertrages gerichtet ist. Ob eine solche Erklärung vorliegt, ist nach dem objektiven Empfängerhorizont zu ermitteln (§§ 133, 157 BGB analog). Für einen objektiven Empfänger in der Position des M war nicht ohne Weiteres erkennbar, dass sich V hier nur einen Scherz erlaubte. Sein Handeln lässt somit objektiv auf das Vorliegen von Handlungs-, Geschäftswillen und Erklärungsbewusstsein schließen. Dass er subjektiv weder Erklärungsbewusstsein noch Geschäftswillen hatte und sich nur einen Scherz erlaubte, muss hierbei außer Betracht bleiben. Mit Blick auf Vs Augenzwinkern und die Umstände der Erklärung könnte man hier auch annehmen, dass es aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts an einer Willenserklärung fehlte.
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2. Weil V sich nur einen Scherz erlaubte, ist die Erklärung gemäß § 118 BGB nichtig.

Ja!

Nach § 118 BGB ist eine Willenserklärung nichtig, wenn der Erklärende davon ausgeht, dass der andere die fehlende Ernstlichkeit der Erklärung erkennen wird (Scherzerklärung). Der Erklärungsempfänger soll also erkennen, dass der Erklärende keine Rechtsfolge herbeiführen will („guter Scherz“), wohingegen dies dem Gegenüber beim geheimen Vorbehalt (§ 116 BGB) verborgen bleiben soll („böser Scherz“). Nichtigkeitsgrund ist damit die subjektive Erwartung des Erklärenden, der Erklärungsgegner werde die mangelnde Ernstlichkeit erkennen. Hier ging V davon aus, M würde die Kündigung als Scherz erkennen. Die Erklärung ist damit gem. § 118 BGB nichtig.

3. Für die Nichtigkeit der Willenserklärung gemäß § 118 BGB ist jedoch erforderlich, dass M den Scherz tatsächlich als solchen erkennt.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 118 BGB führt auch dann zur Nichtigkeit der Willenserklärung, wenn der Erklärungsempfänger die fehlende Ernstlichkeit der Erklärung nicht erkennt und auch objektiv nicht erkennen konnte. In einem Fall offensichtlicher Nichternstlichkeit der Erklärung läge bereits tatbestandlich keine Willenserklärung vor, denn es fehlt für jedermann erkennbar der Rechtsbindungswille des Erklärenden.§ 118 BGB stellt damit eine Ausnahme vom Grundsatz des Verkehrsschutzes dar.

4. M kann Schadensersatz für die bei der Bürosuche entstandenen Kosten verlangen (§ 122 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Ist eine Willenserklärung nach § 118 BGB nichtig, muss der Erklärende nach § 122 Abs. 1 BGB dem Erklärungsempfänger den Schaden ersetzen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut („negatives Interesse“). Das gilt nach § 122 Abs. 2 BGB nicht, wenn der Geschädigte den Grund der Nichtigkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste). M hat nicht erkannt, dass V ihm nur spaßeshalber kündigte. Das hätte ihm auch nicht nur aufgrund der Umstände der Erklärung auffallen müssen. M kann daher gemäß § 122 BGB Schadenersatz verlangen. An dieser Stelle lässt sich gut vertretbar annehmen, dass M hätte erkennen müssen, dass V ihm nur spaßeshalber kündigt. Dann müsste man aber auch schon daran zweifeln, ob nach dem objektiven Empfängerhorizont überhaupt eine Willenserklärung vorlag.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DO

DonQuiKong

27.2.2020, 08:28:19

Seit wann ist Humor eine objektiv bewertbare Sache? Er muss das erkennen? Dann sollte das im Sachverhalt stehen.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

27.2.2020, 09:25:52

Das ist eine gesetzgeberische Wertung in den §§ 118, 122. Warum sollte das im Sachverhalt stehen?

MPE

Monsieur La Peng

28.2.2020, 11:00:33

Also, wenn jemand eine Willenserklärung mit einem „Augenzwinkern“ abgibt, finde ich nicht, dass es objektiv nicht erkennbar ist, dass V hier keine ernstgemeinte Erklärung abgibt. Es ist meiner Meinung nach ausreichend erkennbar, dass die WE äußerlich kein Willen auf Herbeiführung der Rechtsfolge Kündigung erkennbar macht

Marilena

Marilena

28.2.2020, 18:02:13

Das kann man so sehen. Aber manche Leute zB zwinkern dann mit den Augen, wenn sie aufgeregt/nervös sind. Die Gleichung „Augenzwinkern = Scherz“ ist nicht zwingend, finde ich.

HAN

Hanna

2.3.2020, 09:49:29

Es wäre praktisch, wenn man zu den Lösungen zurück blättern könnte. Ich glaube ich habe einen Widerspruch entdeckt. Am Anfang steht es, dass V alle Voraussetzungen,

Handlungswille

etc., der WE erfüllt hätte. Zugleich steht es ein Paar fragen später, dass er erkennbar keine WE abgegeben hat. Zwinkern ist ja nur für das Vorliegen eines SE-Anspruchs beachtlich. Irre ich mich da?

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

24.6.2020, 08:47:25

Hi Hanna, Danke für die Frage! Die Möglichkeit, dass man den Fall wiederholen kann bzw. zurück an den Anfang eines Unterkapitels springt, haben wir mittlerweile geschaffen. Das Feature geht online mit dem nächsten Update, voraussichtlich noch diese Woche. Du kannst dann oben neben dem Fortschrittsbalken auf das Menü mit den drei Punkten klicken, dort gibt es ein Kontextmenü. Wir sind nicht sicher, welchen Fall Du meinst. Hier ist es so, dass V zunächst eine wirksame Willenserklärung abgegeben hat. Der Mangel der Ernstlichkeit muss bei der Beurteilung außer Betracht bleiben (ansonsten hätte

§ 118 BGB

keinen Anwendungsbereich mehr). Wenn man dann in einem zweiten Schritt die Voraussetzungen des

§ 118 BGB

prüft, kommt man zum Ergebnis, dass V die subjektive Erwartung hatte, dass M die Kündi

RELE

Rene Leon

23.6.2020, 23:16:41

Mit 118 habe ich meine Probleme. Was hindert eine Person daran im Rechtsverkehr eine Menge

Scherzerklärung

en zu verteilen, um sich anschließend mit 118 aus der Affäre zu ziehen? Man könnte doch jede Willenserklärung als

Scherzerklärung

abtun, wenn diese einem nicht mehr Vorteilhaft erscheint.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

24.6.2020, 08:40:39

Halle Rene, die Person würde sich bei jeder

Scherzerklärung

nach

122 BGB

(ggf.) schadensersatzpflichtig machen

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

24.6.2020, 08:41:51

Hi Rene, Danke für die Frage! Es gibt zwei Gründe, die einen im Ergebnis davon abhalten sollten: 1. Er Erklärende trägt die Darlegungs- / Beweislast: Wenn jemand ihn an seiner Willenserklärung bzw. einem darauf basierenden Vertrag festhalten möchte, müsste der Erklärende in einem etwaigen Rechtsstreit die Voraussetzungen des

§ 118 BGB

beweisen (d.h. seine subjektive Erwartung, der Erklärungsgegner würde die mangelnde Ernstlichkeit erkennen). Das Risiko, dass dies nicht gelingt, läge dann beim Erklärenden. 2. Selbst wenn der Erklärende damit erfolgreich ist, kann der Erklärungsgegner unter den Voraussetzungen des

§ 122 BGB

den Vertrauensschaden verlangen. Lieben Gruß, - Christian

EB

Elias Von der Brelie

21.6.2023, 22:53:04

Also so wie ich das verstanden habe ist die person die das Versucht die einzige Person welche theoretisch deshalb Schäden hat. Also soll sie es doch tun :'). Klar. Praktisch lassen sich manche Schäden vielleicht schwer ersetzen, aber beg

ehre

nswert ist das jedenfalls auch Praktisch nicht.

Vincent

Vincent

3.9.2021, 15:29:32

Warum wird der Vertrag hier nach §§ 133, 157 analog ausgelegt und nicht direkt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.11.2021, 13:13:41

Danke für die Nachfrage Vincent. Die analoge Anwendung bezieht sich hier auf die Kündigung, als einseitige Willenserklärung. Da § 157 BGB unmittelbar nur die Auslegung von Verträgen (also mindestens zweiseitigen Rechtsgeschäften) regelt, ist im Hinblick auf die Kündigung eine analoge Anwendung vorzunehmen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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