Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Anwendung des Verbraucherdarlehensrechts bei Schuldbeitritt

Anwendung des Verbraucherdarlehensrechts bei Schuldbeitritt

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M ist stiller Gesellschafter im Unternehmen der F, die mit B einen Darlehensvertrag geschlossen hat. M tritt dieser Schuld bei. Über ein Widerrufsrecht belehrt B den M nicht. Sechs Monate später kündigt B den Vertrag mit F und verlangt Rückzahlung von M. M widerruft seine Mithaftungserklärung.

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Einordnung des Falls

Anwendung des Verbraucherdarlehensrechts bei Schuldbeitritt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M ist Fs Darlehensschuld gegenüber B (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB) beigetreten.

Genau, so ist das!

Der Schuldbeitritt ist gesetzlich - anders als die Schuldübernahme (§§ 414ff. BGB) - nicht geregelt. Er ist aber aufgrund der Privatautonomie als Vertrag „sui generis“ (§ 311 Abs. 1 BGB) möglich. Der bisherige Schuldner und der Beitretende werden Gesamtschuldner (§§ 421ff. BGB). M hat sich gegenüber B vertraglich zur gesamtschuldnerischen Mithaftung verpflichtet. Demgegenüber ist ein Bürge kein Gesamtschuldner. Dieser haftet „nur“ streng akzessorisch für eine fremde Schuld (§§ 765, 767, 768, 770 BGB), während der Schuldbeitritt eine von der Hauptschuld unabhängige Verbindlichkeit begründet (§ 425 BGB).
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2. Die §§ 491ff. BGB finden auf den Schuldbeitritt zu einem Darlehensvertrag analoge Anwendung, wenn der Beitretende Verbraucher ist.

Ja, in der Tat!

Die Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus. Für den Schuldbeitritt ist kein Widerrufsrecht (§ 495 Abs. 1 BGB) und keine Formvorschrift (§ 492 BGB) geregelt, sodass eine Regelungslücke vorliegt. Eine vergleichbare Interessenlage besteht, da der Beitretende zwar voll haftet aber kein Recht auf Darlehensauszahlung erlangt. Im Vergleich zum Hauptschuldner ist er damit erst Recht schutzwürdig. Ob der Darlehensnehmer Verbraucher (§ 13 BGB) ist, ist unerheblich. Der beitretende Verbraucher ist unabhängig vom Charakter des Darlehensvertrags schutzwürdig.

3. Der Darlehensrückzahlungsanspruch der B gegen M (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB) könnte durch Widerruf erloschen sein (§ 355 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja!

Dies setzt voraus, dass M (1) ein Widerrufsrecht zusteht und (1) er den Widerruf fristgemäß erklärt hat (§ 355 Abs. 1 S. 1, 2, 3, Abs. 2). Zu 1: M stünde ein Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 BGB analog zu, wenn er Verbraucher wäre und das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen wäre (§ 495 Abs. 2 BGB analog).

4. M ist Verbraucher (§ 13 BGB), sodass § 495 Abs. 1 BGB analog anwendbar ist.

Genau, so ist das!

M wäre kein Verbraucher, wenn der Schuldbeitritt überwiegend zu seiner gewerblichen Tätigkeit gehören würde (§ 13 BGB). Gewerbe ist jeder selbständige, dauerhafte Geschäftsbetrieb mit Gewinnerzielungsabsicht, der keine freiberufliche Tätigkeit und nicht bloß private Vermögensverwaltung ist. Ms stille Beteiligung am Unternehmen von F ist private Vermögensverwaltung. Daher ist M Verbraucher.

5. Ein Widerruf des M ist ausgeschlossen, da die Voraussetzungen von § 495 Abs. 1, Abs. 2 BGB analog vorliegen.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Schutz des Beitretenden zu einer Darlehensschuld darf nicht geringer sein, aber auch nicht weiter gehen als der Schutz desjenigen, der die Schuld eingeht. Daher ist ein Widerruf ausgeschlossen, wenn § 495 Abs. 2 BGB analog greift. Vorliegend sind keine Ausnahmetatbestände einschlägig.Im Originalfall war statt eines gewöhnlichen Darlehens zwischen B und F ein Überziehungskredit (=Kontokorrentkredit) vereinbart worden. Für diesen ist das Widerrufsrecht ausgeschlossen, soweit er auf 3 Monate befristet ist oder der Darlehensgeber jederzeit kündigen kann (§§ 495 Abs. 2 Nr. 3, 504 Abs. 2 S. 1 BGB). Da diese Voraussetzungen vorlagen, konnte sich M im Originalfall nicht auf das Widerrufsrecht berufen.

6. Da M erst sechs Monate nach Schuldbeitritt den Widerruf erklärt hat, ist der Widerruf verfristet (§ 355 Abs. 2, 356b Abs. 2 S. 1 BGB).

Nein!

Die Widerrufsfrist beginnt 14 Tage ab Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 355 Abs. 2 BGB). Beim Schuldbeitritt zu einem Verbraucherdarlehensvertrag beginnt die Frist aber nicht zu laufen, wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt hat (§§ 356b Abs. 2 S. 1, 492 Abs. 2 BGB, Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 13 EGBGB analog). B hat M nicht über ein Widerrufsrecht belehrt und dies auch nicht nachgeholt. M hat den Widerruf fristgemäß erklärt.

7. Durch den Widerruf ist die Mithaftungserklärung des M erloschen (§ 355 Abs. 1 S. 1 BGB) und B kann von M keine Zahlung verlangen.

Genau, so ist das!

M müsste seine Willenserklärung auf gesamtschuldnerische Mithaftung widerrufen haben. Dies setzt (1) ein Widerrufsrecht und (2) die fristgemäße Widerrufserklärung voraus. M stand ein Widerrufsrecht zu (§ 495 Abs. 1 BGB analog). Obwohl seit Schuldbeitritt sechs Monate vergangen sind, erfolgte die Widerrufserklärung gegenüber B fristgemäß. Denn B hatte den M nicht über das Widerrufsrecht belehrt. Damit ist der Anspruch aus §§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB gegenüber M erloschen. Gegenüber F besteht der Anspruch aus § 488 Abs. 1 S. 2 BGB freilich weiterhin.
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