Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Keine entsprechende Anwendung von § 656 Abs. 1 BGB auf einen Online-Partnervermittlungsvertrag

Keine entsprechende Anwendung von § 656 Abs. 1 BGB auf einen Online-Partnervermittlungsvertrag

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K bucht für 240 € eine einjährige Mitgliedschaft bei der Online-Partnervermittlung des P, um Kommunikationsrechte und automatisierte Partnervorschläge zu erhalten. P informiert K über ihre Verbraucherrechte. K fordert P zur sofortigen Freischaltung auf. Dem kommt P nach. Tags darauf erklärt K den Widerruf.

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Einordnung des Falls

Keine entsprechende Anwendung von § 656 Abs. 1 BGB auf einen Online-Partnervermittlungsvertrag

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Widerruf ist ein Gestaltungsrecht, das es Verbrauchern in bestimmten Fällen ermöglicht, sich von der Bindung an einen Vertrag zu befreien.

Genau, so ist das!

Verbraucher (§ 13 BGB) können in bestimmten, gesetzlich geregelten Fällen ihre Willenserklärungen gegenüber einem Unternehmer (§ 14 BGB) widerrufen. Sie sind dann an die widerrufene Willenserklärung nicht mehr gebunden (§ 355 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Widerruf ist also ein Gestaltungsrecht. Er unterscheidet sich von anderen Gestaltungsrechten, die die Loslösung von einem Vertrag ermöglichen, vor allem dadurch, dass er keinen „Widerrufsgrund“ voraussetzt.
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2. K hat mit P einen Fernabsatzvertrag geschlossen. Sie hat gegenüber dem Unternehmer P deshalb ein Widerrufsrecht.

Ja, in der Tat!

Bei Fernabsatzverträgen steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zu (§ 312g Abs. 1 BGB). Fernabsatzverträge sind Verbraucherverträge im Sinne des § 312 Abs. 1 BGB, bei denen Unternehmer und Verbraucher für die Vertragsverhandlungen ausschließlich Fernkommunikationsmittel ihm Rahmen eines Fernabsatz-Vertriebssystems verwenden (§ 312c Abs. 1 BGB). K ist Verbraucherin (§ 13 BGB), P ist Unternehmer (§ 14 BGB). Der Vertrag hat eine entgeltliche Leistung des P zum Gegenstand und ist damit ein Verbrauchervertrag gemäß § 312 Abs. 1 BGB. K und P haben den Vertrag ausschließlich über von P zu diesem Zweck angebotene Internetdienste geschlossen. Mithin handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag, den K widerrufen kann.

3. Die übrigen Voraussetzungen des Widerrufs liegen vor. Der Widerruf ist wirksam.

Ja!

Für einen wirksamen Widerruf muss der sachliche Anwendungsbereich (Einräumung des Widerrufsrechts durch ein Gesetz) sowie der persönliche Anwendungsbereich (Unternehmer und Verbraucher) eröffnet sein. Weiter ist eine Widerrufserklärung (§ 355 Abs. 1 S. 2 BGB) innerhalb der Widerrufsfrist (§ 355 Abs. 2 BGB) erforderlich. Der Vertrag ist ein Fernabsatzvertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, sodass persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich eröffnet sind. K hat den Widerruf auch einen Tag nach Vertragsschluss, also fristgerecht, gegenüber P erklärt. Die Voraussetzungen für einen wirksamen Widerruf sind mithin erfüllt.

4. Eine Besonderheit des Widerrufs besteht darin, dass der Verbraucher niemals zum Wertersatz für empfangene Leistungen verpflichtet ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ob und inwieweit der Verbraucher nach dem Widerruf Wertersatz leisten muss, ist vor allem in den §§ 357ff. BGB geregelt. Bei Fernabsatzverträgen regelt § 357a Abs. 1 BGB die Wertersatzpflicht für gelieferte Waren. Abs. 2 erfasst die Erbringung von Dienstleistungen: Danach schuldet der Verbraucher Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen, wenn (1) der Unternehmer ihn ordnungsgemäß nach den Vorschriften des EGBGB informiert hat und (2) der Verbraucher ausdrücklich verlangt hat, dass der Unternehmer mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt.Zum 28.05.2022 wurden die §§ 357 ff. BGB neu gefasst: § 357 Abs. 7 a.F. = § 357 Abs. 1 BGB n.F; § 357 Abs. 8 a.F. = § 357a Abs. 2 BGB n.F.

5. Nach den Grundsätzen des § 357a Abs. 2 BGB ist K dem Grunde nach zum Wertersatz verpflichtet.

Ja, in der Tat!

Ein Online-Partnerschaftsvermittlungsvertrag hat Dienstleistungen zum Gegenstand. P hat als Unternehmer die Verbraucherin K ordnungsgemäß über die einschlägigen Verbraucherrechte informiert. Daraufhin hat K von P verlangt, mit den Leistungen schon vor Ablauf der Widerrufsfrist zu beginnen. Somit ist sie grundsätzlich zum Wertersatz für die bislang erbrachten Leistungen verpflichtet.

6. Der Anspruch auf Wertersatz setzt weiter voraus, dass der Unternehmer zunächst überhaupt einen Vergütungsanspruch hatte.

Ja!

Konnte der Unternehmer schon vor dem Widerruf keinerlei Leistungen vom Verbraucher verlangen, wäre es widersprüchlich, ihm im Falle der Rückabwicklung nach dem Widerruf einen Anspruch auf Wertersatz zuzusprechen. Nur wenn ursprünglich ein Vergütungsanspruch bestand, kann der Unternehmer auch unter den jeweiligen Voraussetzungen Wertersatz verlangen (vgl. RdNr. 15).

7. Trotz wirksamem Vertragsschluss kann der Leistungsanspruch einer Partei ausgeschlossen sein, wenn es sich um eine sog. Naturalobligation handelt.

Genau, so ist das!

Naturalobligationen (auch „natürliche Verbindlichkeiten“) zeichnen sich dadurch aus, dass der Gläubiger sie einerseits nicht einklagen kann, der Schuldner den Leistungsgegenstand andererseits auch nicht nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückfordern kann, wenn er dennoch leistet. Die wichtigsten Naturalobligationen sind die Heiratsvermittlung gemäß § 656 Abs. 1 BGB (Ehemaklervertrag) und Wettspiele gemäß § 762 BGB.

8. Ein Vertrag über den Zugang zu einer Online-Partnervermittlung ist ein Ehemaklervertrag gemäß § 656 Abs. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Ehemaklervertrag ist als Unterfall des Maklervertrages auf den Nachweis oder die Vermittlung eines Ehepartners gegen Vergütung gerichtet (Sprau, in: Palandt, 80.A. 2021, § 656 RdNr. 1). Bei Partnervermittlungsplattformen steht die Eingehung einer Ehe nicht im Vordergrund, sondern nur die Vermittlung einer – wie auch immer gearteten – partnerschaftlichen Beziehung. Schon deshalb kann hier kein Ehemaklervertrag vorliegen.

9. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH ist § 656 Abs. 1 BGB analog auch auf Eheanbahnungs- und Partnerschaftsanbahnungsverträge anwendbar.

Ja!

Die Voraussetzungen der Rechtsanalogie (planwidrige Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage) hat der BGH hinsichtlich dieser Vertragstypen bejaht, weil hier im Streitfall gleichermaßen Peinlichkeiten für die Beteiligten zu vermeiden seien. Es gefährde sowohl die Intimsphäre der Ehegatten bzw. Partner als auch den Bestand der Partnerschaft selbst, wenn durch einen Prozess der Vermittlungsvertrag und die Absprachen mit dem Vermittler offengelegt würden (RdNr. 16f.).

10. Auch auf den vorliegenden Online-Partnerschaftsvermittlungsvertrag ist § 656 Abs. 1 BGB analog anwendbar.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Vorliegend bestehe keine vergleichbare Interessenlage. Die Online-Plattform sei – im Gegensatz zur herkömmlichen Partnerschaftsvermittlung – darauf ausgelegt, dass die Mitglieder mögliche Partner direkt und aus eigener Initiative heraus kontaktierten. Es wirke weder eine Vermittlungsperson persönlich auf die potenziellen Partner ein, noch bestünden bestimmte Anforderungen an die „Eignung“ der möglichen Partner. Auch die automatisierten Partnervorschläge seien lediglich algorithmenbasiert und bärgen deshalb kein vergleichbares Konfliktpotenzial (RdNr. 18).

11. P hatte einen klagbaren Zahlungsanspruch und kann deshalb nach Widerruf von K zeitanteiligen Wertersatz verlangen.

Ja, in der Tat!

Der Berechnung des Wertersatzes ist gemäß § 357a Abs. 2 S. 2 BGB der vereinbarte Gesamtpreis zeitanteilig zugrunde zu legen. K hat die für ein Jahr vorgesehenen Leistungen zwei Tage lang genutzt. Setzt man diesen Zeitanteil (2/365) ins Verhältnis zum Gesamtpreis (240 €), schuldet K 1,32 € Wertersatz. Im Originalfall ging es noch um die Frage, ob K für die in der Mitgliedschaft enthaltene automatisierte Erstellung eines Persönlichkeitsgutachtens den vollen Einzelpreis, den Kunden außerhalb der Mitgliedschaft für das Gutachten zahlen, als Wertersatz schuldet. Dies hat der BGH verneint: Der Wertersatz sei grundsätzlich zeitanteilig zu berechnen. Ausnahmen seien nur möglich, wenn die betreffende Leistung im Vertrag gesondert und mit einem eigenen Preis ausgewiesen werde. Auf Vereinbarungen mit Dritten komme es hingegen nicht an (RdNr. 23ff.).
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