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Kein Widerrufsrecht beim Autoleasing mit Kilometerabrechnung

Kein Widerrufsrecht beim Autoleasing mit Kilometerabrechnung

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K least von L einen Neuwagen. Laut Vertrag hat sie am Ende der Laufzeit eine Ausgleichszahlung zu leisten, soweit die vereinbarte Kilometerleistung überschritten ist oder der Zustand des Wagens nicht der vereinbarten Kilometerleistung entspricht. K erklärt nach einigen Tagen den Widerruf.

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Einordnung des Falls

Kein Widerrufsrecht beim Autoleasing mit Kilometerabrechnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn der Widerruf wirksam ist, ist K an den Vertrag nicht mehr gebunden und kann gezahlte Leasingraten zurückverlangen.

Ja!

Der Widerruf ist ein Gestaltungsrecht, das es Verbrauchern in bestimmten Fällen ermöglicht, sich von der Bindung an einen Vertrag zu befreien und erbrachte Leistungen zurückzufordern (§ 355 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 BGB). Die Voraussetzungen des Widerrufs sind: (1) Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs (Einräumung des Widerrufsrechts durch ein Gesetz); (2) Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs (Unternehmer und Verbraucher); (3) Widerrufserklärung (§ 355 Abs. 1 S. 2 BGB); (4) Einhaltung der Widerrufsfrist (§ 355 Abs. 2 BGB); und (5) kein Ausschluss des Widerrufsrechts.
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2. Ein Leasingvertrag ist ein Verbraucherdarlehensvertrag. Deshalb besteht ein Widerrufsrecht gemäß § 495 Abs. 1 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich ist ein Leasingvertrag ein (atypischer) Mietvertrag gemäß §§ 535ff. BGB (vgl. BGH NJW 1977, 195). § 495 BGB gilt nur für Verbraucherdarlehensverträge und findet deshalb auf Leasingverträge keine direkte Anwendung.

3. § 495 BGB ist jedoch entsprechend anzuwenden, wenn es sich beim vorliegenden Vertrag um eine entgeltliche Finanzierungshilfe gemäß § 506 BGB handelt.

Ja, in der Tat!

Gemäß § 506 Abs. 1 S. 1 BGB gilt das Widerrufsrecht aus § 495 BGB entsprechend für Verträge, durch die ein Unternehmer einem Verbraucher einen entgeltlichen Zahlungsaufschub oder eine sonstige entgeltliche Finanzierungshilfe gewährt. Wann eine entgeltliche Finanzierungshilfe vorliegt, ist für entgeltliche Nutzungsüberlassungsverträge in § 506 Abs. 2 S. 1 BGB legal definiert.

4. K hat bei Beendigung des Vertrags für einen bestimmten Wert des Fahrzeugs einzustehen, sodass eine entgeltliche Finanzierungshilfe gemäß § 506 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB vorliegt.

Nein!

BGH: Für einen bestimmten Wert habe der Verbraucher ausweislich der Gesetzesbegründung nur dann einzustehen, wenn der Vertrag hierzu eine feste Zahl angebe (Restwertgarantie) (RdNr. 24). Der Leasingvertrag enthält nur eine nutzungsabhängige Ausgleichspflicht für Mehrkilometer und Verschlechterungen des Zustands. Eine feste Zahl, die den Wert angibt, für den K einzustehen hat, ist jedoch nicht festgelegt. Damit liegt keine entgeltliche Finanzierungshilfe gemäß § 506 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB vor. K ist auch weder verpflichtet, das Fahrzeug von L zu erwerben, noch kann L dies von K verlangen. Eine entgeltliche Finanzierungshilfe nach § 506 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 BGB kommt also ebenfalls nicht in Betracht.

5. Der Leasingvertrag hat aber eine sonstige entgeltliche Finanzierungshilfe gemäß § 506 Abs. 1 S. 1 BGB zum Gegenstand.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Ein Rückgriff auf § 506 Abs. 1 S. 1 BGB sei nicht möglich; für die Fälle der entgeltlichen Gebrauchsüberlassung treffe § 506 Abs. 2 S. 1 BGB eine abschließende Regelung. Der Gesetzgeber habe keine Regelbeispiele genannt, sondern die als entgeltliche Finanzierungshilfe anzusehenden Fälle enumerativ aufgezählt. Andernfalls hätte er den Begriff „insbesondere“ verwendet (RdNr. 26). Auch aus der Gesetzesbegründung folge, dass nicht unterscheidungslos jedes Finanzierungsleasing widerruflich sein solle, sondern lediglich solche Vertragsgestaltungen, die den Verbraucher letztlich einem Erwerber gleichstellten. Insoweit nehme § 506 Abs. 2 S. 1 BGB eine trennscharfe Abgrenzung vor (RdNr. 28ff.).

6. Auf das Kilometerleasing ist § 506 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB deshalb analog anzuwenden.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Rechtsanalogie erfordert (1) eine planwidrige Regelungslücke und (2) eine vergleichbare Interessenlage. BGH: Schon die enumerative Aufzählung des § 506 Abs. 2 S. 1 BGB spreche gegen eine planwidrige Regelungslücke (RdNr. 44). Der Gesetzgeber habe bewusst – abweichend vom bisherigen Recht – nur solche Leasingverträge widerruflich ausgestaltet, die eine Erwerbspflicht oder eine damit vergleichbare Restwertgarantie vorsähen (RdNr. 46). Es handele sich um eine (nur) an der Verbraucherkreditrichtlinie orientierte Neuregelung. Das Unterscheidungskriterium der Richtlinie – die Erwerbspflicht – habe der Gesetzgeber bewusst um den Fall der Restwertgarantie, nicht aber darüber hinaus erweitert (RdNr. 48ff.). Eine planwidrige Regelungslücke liege daher nicht vor.

7. Das Kilometerleasing ist damit ein Umgehungsgeschäft gemäß § 512 BGB, sodass § 506 BGB dennoch anzuwenden ist.

Nein!

BGH: Das Kilometerleasing sei ein seit langem etablierter Vertragstyp und unterscheide sich in zentralen Punkten von den in § 506 Abs. 2 S. 1 BGB normierten Leasingvertragsformen. Auch habe der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 506 Abs. 2 BGB den Umfang des Verbraucherschutzes der Verbraucherkreditrichtlinie anpassen und somit verringern wollen. Vor diesem Hintergrund könne das Kilometerleasing nicht als Umgehungsgeschäft gelten. Der Unterschied zwischen Kilometerleasing und Restwertgarantie liegt darin, dass beim Kilometerleasing der Leasinggeber weiterhin das Risiko trägt, dass sich der Marktwert des Fahrzeugs während der Vertragslaufzeit verringert. Durch eine Restwertgarantie, kann er dieses Risiko auf den Verbraucher überwälzen und ihn so faktisch in die wirtschaftliche Stellung eines Erwerbers bringen.

8. Der Widerruf der K ist wirksam.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Anwendung des § 506 BGB kommt unter keinem Gesichtspunkt in Betracht. Weitere gesetzliche Grundlagen für ein Widerrufsrecht sind nicht ersichtlich. Mithin ist schon der sachliche Anwendungsbereich des Widerrufsrechts nicht eröffnet und der Widerruf der K unwirksam. Der BGH hat im vorliegenden Fall weiter entschieden, dass eine Widerrufsbelehrung bei fehlendem gesetzlichem Widerrufsrecht nicht als Angebot auf Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts auszulegen sei. Für den Verbraucher sei erkennbar, dass der Unternehmer mit der Belehrung lediglich seine gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen wolle (RdNr. 71).
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