Spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Aufgrund öffentlicher Äußerungen der Bürgermeisterin finden sich 50 Personen zu einer spontanen Kundgabe auf dem Rathausmarkt zusammen. Die Polizei will die Zusammenkunft wegen eines Verstoßes gegen die Anmeldungspflicht auflösen.

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Einordnung des Falls

Spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das SOG und das PolDVG regeln das Recht der Gefahrenabwehr in Hamburg abschließend.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) und das Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) sind Teil des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht. Daneben existieren eine Reihe von spezialgesetzlichen Regelungen, die ebenfalls der Gefahrenabwehr dienen und damit dem speziellen Polizei- und Ordnungsrecht zuzuordnen sind. Am prüfungsrelevantesten sind hierbei das Versammlungsgesetz (VersG) und als Teilbereich des Baurechts auch die Hamburgische Bauordnung (HBauO). Neuerdings hat auch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) besondere Bedeutung erlangt. Auf Grundlage von Normen des IfSG sind zahlreiche Maßnahmen im Kontext der Corona-Pandemie ergangen.
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2. Neben den spezialgesetzlichen Regelungen kann immer auch auf die Regelungen des SOG zurückgegriffen werden.

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich gilt der Grundsatz der Spezialität (lex specialis derogat legi generalis): Soweit eine speziellere Norm einen Sachverhalt regelt, können die vom Gesetzgeber getroffenen Wertungen nicht dadurch umgangen werden, dass auf eine allgemeinere Norm zurückgegriffen wird. Der Grundsatz der Spezialität gilt allgemein im Recht. Er stellt eine Regel auf, wie bei einer Normenkonkurrenz, also bei Vorliegen zweier Normen, die dem Wortlaut nach auf denselben Sachverhalt angewandt werden können, vorzugehen ist.

3. Die Regelungen des VersG sperren jeglichen Rückgriff auf das SOG.

Nein!

Der Grundsatz der Spezialität sperrt nicht jeglichen Rückgriff auf allgemeinere Normen, sondern nur soweit der Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Norm reicht. Insofern geht die hM davon aus, dass das VersG nur versammlungsspezifische Gefahren und versammlungsbezogene Maßnahmen regelt. Liegen aber nicht-versammlungsspezifische Gefahren vor, so steht der Spezialitätsgrundsatz einem Rückgriff auf die allgemeinen oder anderen Normen nicht entgegen. Für die Versammlungsfreiheit gilt das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG. In § 32 SOG ist die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG jedoch nicht als eingeschränktes Grundrecht benannt. Eine Anwendung des SOG auf Versammlungen scheitert im Regelfall auch hieran. Für das besondere Verhältnis zwischen allgemeinem Polizeirecht und dem VersG ist die Bezeichnung Polizeirechtsfestigkeit des Versammlungsfreiheit geläufig. Das Konkurrenzproblem sollte in einer Klausur unter Nennung dieses Stichworts geführt werden.

4. Ist das das Versammlungsrecht Teil der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes?

Nein, das ist nicht der Fall!

Mangels Zuweisung an den Bund in Art. 70 ff. GG ist das allgemeine Gefahrenabwehrrecht Teil der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Einige speziellen Bereiche sind jedoch dem Bundesgesetzgeber zugewiesen (so etwa in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG auf dessen Grundlage das IfSG erlassen worden ist). Das Versammlungsrecht war bis zur sogenannten Föderalismusreform 2006 im damaligen Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG aF als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung ausgewiesen. Auf dieser Grundlage ist auch das VersG erlassen. Seit 2006 ist es jedoch Teil der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Für Bundesländer, die wie Hamburg von dieser Zuständigkeit (noch) keinen Gebrauch gemacht haben, gilt das als Bundesrecht erlassene VersG gemäß Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG fort. In der Klausur genügt im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer Ermächtigungsgrundlage aus dem VersG der Hinweis darauf, dass das VersG gemäß Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG fortgilt.

5. Wegen des Verstoßes gegen die Anmeldungspflicht kann die Versammlung auf Grundlage des § 3 Abs. 1 SOG aufgelöst werden.

Nein, das trifft nicht zu!

Versammlungen unter freiem Himmel unterliegen grundsätzlich der Anmeldungspflicht gemäß § 14 Abs. 1 VersG. Der Vorschrift begegnen vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 1 GG Zweifel hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit. Nach hM ist die Vorschrift zumindest dahingehend einzuschränken, dass die Anmeldungspflicht nicht für Spontanversammlungen gilt. Überdies kann eine Versammlungsauflösung ohnehin nicht auf § 3 Abs. 1 SOG gestützt werden, denn der Rückgriff auf diese allgemeine Norm ist nach dem Grundsatz der Spezialität durch § 15 Abs. 3 VersG gesperrt. Auch auf Grundlage des VersG wäre eine Versammlungsauflösung alleinig wegen der fehlenden Anmeldung jedoch regelmäßig unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft. Die Regelung des § 15 VersG ist die zentrale Norm im Versammlungsrecht. Sie ermächtigt zu Versammlungsverboten (Abs. 1) und zur Versammlungsauflösung (Abs. 3), gewährt der Verwaltung hierbei jedoch Ermessen, welches stark durch die hochrangige Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG geprägt ist.
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