Platzverweis Abgrenzung Aufenthaltsverbot

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Drogendealerin D wurde mehrmals beim Verkauf von Drogen auf dem Bremerplatz erwischt, dem Drogenumschlagplatz von Münster. Als Polizistin P die D erneut auf dem Bremerplatz anfindet, verfügt P, dass D den Bremerplatz die nächsten drei Monate nicht betreten darf.

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Einordnung des Falls

Platzverweis Abgrenzung Aufenthaltsverbot

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Erlässt P gegenüber D einen Platzverweis (§ 34 Abs. 1 PolG NRW)?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Polizei kann im Rahmen eines PLatzverweies (§ 34 Abs. 1 PolG NRW) anordnen, dass eine Person vorübergehend einen bestimmten Ort verlassen (Entfernungsgebot) oder einen bestimmten Ort nicht betreten soll (Betretungsverbot). Beim Begriff "vorübergehend" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Es ist nicht abschließend geklärt, welche genaue zeitliche Grenze darunter zu verstehen ist. Als grober Richtwert gilt, dass es sich um eine kurzfristige Beeinträchtigung handelt, die im Regelfall nicht länger als 24 Stunden gilt. P verweist D für drei Monate vom Bremerplatz. Eine Dauer von drei Monaten ist keine kurzfristige Beeinträchtigung und unterfällt nicht mehr dem Begriff "vorübergehend". Es liegt kein Platzverweis (§ 34 Abs. 1 PolG NRW) vor.
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2. Die Polizei ist dazu ermächtigt, einer Person zu verbieten für eine bestimmte Zeit einen bestimmten Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten (§ 34 Abs. 2 PolG NRW). Ist § 34 Abs. 2 PolG NRW die richtige Ermächtigungsgrundlage?

Ja!

Die Polizei ist befugt, sog. Aufenthaltsverbote zu erlassen. Hierbei kann die Polizei einer Person verbieten, für eine bestimmte Zeit einen bestimmten örtlichen Bereich nicht aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten (§ 34 Abs. 2 S. 1 PolG NRW). Der Unterschied zum Platzverweis besteht in der Geltungsdauer: Ein Platzverweis gilt nur "vorübergehend", ein Aufenthaltsverbot kann deutlich längere Zeitspannen umfasst.

3. Ein Aufenthaltsverbot greift in den Schutzbereich von Art. 11 GG ein.

Genau, so ist das!

Art. 11 GG garantiert die Freiheit, überall im Bundesgebiet Wohnsitz und Aufenthalt zu nehmen. Der Aufenthalt ist ein nicht nur vorübergehendes oder flüchtiges Verweilen an einem Ort, das Verweilen muss vielmehr eine gewisse zeitliche Erheblichkeit besitzen. Ein Aufenthaltsverbot gilt nicht nur vorübergehende, sondern kann eine Dauer von bis zu drei Monaten umfassen. Das Aufenthaltsgebot betrifft dadurch gerade das längerfristige und nicht nur das flüchtige Verweilen an einem Ort. Der Schutzbereich von Art. 11 GG ist somit eröffnet. Die Dauer des Aufenthaltsverbotes darf drei Monate nicht überschreiten(§ 34 Abs. 2 S. 4 PolG NRW). Der örtliche Bereich kann ein Gemeindegebiet oder ein Gebietsteil innerhalb einer Gemeinde (§ 34 Abs. 2 S. 2 PolG NRW). Räumlich ausgenommen ist der Bereich, in dem die betroffene Person ihren Wohnsitz hat oder berechtigte Interessen wahrnimmt.

4. Die Landesnorm zum Aufenthaltsverbot (§ 34 Abs. 2 PolG NRW) fällt unter die ausschließliche Bundeskompetenz der "Freizügigkeit" (Art. 73 Nr. 3 GG) und ist damit formell verfassungswidrig.

Nein, das trifft nicht zu!

Zwar fällt dem Bund die ausschließliche Kompetenz im Bereich der Freizügigkeit (Art. 73 Nr. 3 GG) zu, doch meint Freizügigkeit i.S.d. Art. 73 Nr. 3 GG nicht die Freizügigkeit i.S.d. Art. 11. Vielmehr ist die Bewegung zwischenden Ländern gemeint. Nicht umfasst ist die Bewegung innerhalb eines Landes. Zum anderen wäre die Effektivität der Gefahrenabwehr stark beeinträchtigt, wenn die Polizei keine Maßnahmen ergreifen könnte, die die Freizügigkeit i.S.d. Art. 11 GG einschränken. Die Norm fällt nicht unter die ausschließliche Bundeskompetenz aus Art. 73 Nr. 3 GG, sondern fällt unter die Landeskompetenz der Gefahrenabwehr. (§ 34 Abs. 2 PolG NRW) ist nicht formell verfassungswidrig.

5. Die Polizei kann ein Aufenthaltsverbot (§ 34 Abs. 2 PolG NRW) zur Abwehr irgendeiner einer Gefahr erlassen.

Nein!

(§ 34 Abs. 2 S. 1 PolG NRW) setzt voraus, dass Tatsachen die Annahme, dass eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird. Es muss der mit Tatsachen begründete Verdacht bestehen. Beitragen meint kein Beitragen im strafrechtlichen Sinne, sondern muss gefahrenabwehrrechtlich verstanden werden. Umfasst ist jedes Verhalten, dass die Gefahr zur Straftatbegehung zurechenbar erhöht. Im Gegensatz zum Platzverweis darf nicht auf die allgemeinen Regeln zur polizeilichen Verantwortlichkeit ( §§ 4 ff. PolG NRW) zurückgegriffen werden. Das Aufenthaltsverbot ist gegen die Person zu richten, von der die Straftatbegehung oder -beitragung zu erwarten ist (§ 34 Abs. 2 S. 1 PolG NRW)

6. Das Aufenthaltsverbot muss verhältnismäßig sein.

Genau, so ist das!

Das Aufenthaltsverbot ist "zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken". Dies stellt eine Umschreibung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Schon die Geeignetheit kann allerdings problematisch sein: Ein Aufenthaltsverbot führt häufig dazu, dass die Straftatgebehung bloß an einen anderen Ort verlagert wird.
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