Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

weiterer klarer Fall der Schmähkritik, zur Verdeutlichung => fällt aus dem Schutzbereich (Formalbeleidigungen)

weiterer klarer Fall der Schmähkritik, zur Verdeutlichung => fällt aus dem Schutzbereich (Formalbeleidigungen)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schüler S ist mit seinem Lehrer L äußerst unzufrieden. Er hängt deshalb vor der Schule ein Plakat auf, das folgende Aufschrift trägt: „L ist eine sadistisches Arschloch, das sich nur am Leid der Schüler ergötzt!“. L erstattet Anzeige.

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Einordnung des Falls

weiterer klarer Fall der Schmähkritik, zur Verdeutlichung => fällt aus dem Schutzbereich (Formalbeleidigungen)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im Fall der Schmähkritik steht die Herabsetzung der Person im Vordergrund.

Genau, so ist das!

Unter Schmähkritik versteht man Äußerungen, bei denen nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht. Die Äußerung oder Darstellung dient in diesen Fällen also in erster Linie der Verunglimpfung, Diffamierung und Herabwürdigung des Adressaten.
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2. Unter einer Formalbeleidigung versteht man Verbalinjurien wie beispielsweise "Idiot, Arschloch oder Volldepp". Sie können Anhaltspunkt dafür sein, dass der Schutzbereich nicht eröffnet ist.

Ja, in der Tat!

Die Formalbeleidigung stellt einen Unterfall der Schmähkritik dar. Unter einer Formalbeleidigung versteht man Verbalinjurien und Fäkalsprache. Dabei können mitunter Formalbeleidigungen ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht eröffnet ist. Grund hierfür ist, dass Formalbeleidigungen in der Regel in erster Linie der Herabsetzung des Gegenübers dienen. Allerdings muss hierbei auf den Einzelfall geachtet werden, sodass keinesfalls generell der sachliche Schutzbereich verschlossen ist.

3. Die Äußerung des S, „L ist ein sadistisches Arschloch, das sich nur am Leid der Schüler ergötzt“, ist eine Schmähkritik.

Ja!

Unter Schmähkritik versteht man Äußerungen, bei denen nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht. Nach einer Ansicht ist bei eindeutigen Fällen der Schmähkritik der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht eröffnet. Nach anderer Ansicht ist der Schutzbereich zwar eröffnet, die Meinungsfreiheit des Äußernden tritt jedoch auf Rechtfertigungsebene hinter den betroffenen Rechtsgütern der Adressaten der Äußerung zurück. S geht es ersichtlich um die öffentliche Herabsetzung von L. Gerade durch die Bezeichnung von L als „Arschloch“ steht die Diffamierung von L im Vordergrund, wodurch die Kritik zurücktritt. Rein klausurtaktisch spricht auch einiges dafür, von einer Eröffnung des Schutzbereichs auszugehen. Denn dann kannst Du das Problem auch noch auf Rechtfertigungsebene thematisieren, was Dir nicht möglich wäre, wenn Du bereits die Eröffnung des Schutzbereichs ablehntest.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Simon

Simon

1.4.2024, 23:43:04

Steht hier nicht vielmehr die Kritik an der Tätigkeit als Lehrer im Vordergrund? Die Aussage bezieht sich ersichtlich auf die Unterrichtsmethoden und nimmt in diesem Rahmen eine subjektive Wertung der Charaktereigenschaften des Lehrers vor (nämlich, dass dieser Spaß daran habe, seinen Schülern das Leben schwer zu machen). In diesem Zusammenhang ist für mich auch das "Arschloch" zu lesen, das sich speziell auf Ls Arbeitsweise bezieht. Gerade angesichts der besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit und unter Berücksichtigung des üblichen Sprachgebrauchs von Jugendlichen sollte man mE hier doch eher eine restriktive Interpretation von "Schmähkritik" vornehmen.

Dogu

Dogu

29.5.2024, 18:58:10

Sehe ich auch so.

G0D0FM

G0d0fMischief

9.8.2024, 09:53:01

Kann man nicht ausgehend von der Wechselwirkungslehre die Äußerung des S so auslegen, dass sie keine Schmähkritik darstellt? Zwar verwendet S Verbalinjurien aber es geht zusätzlich auch im die Kritik an der Lehre des L und diese steht m.E. im Vordergrund. Nach der Wechsellehre sollte doch hier der Schutzbereich eröffnet sein und das Problem eher im Rahmen der Rechtfertigung anzusiedeln sein.

Tobias Krapp

Tobias Krapp

15.8.2024, 01:25:07

Hallo G0d0fMischief, danke für deine Nachfrage. Hier sind zwei Sachen zu trennen: Der grundsätzliche Aufbau einerseits und die Auslegung als Schmähkritik andererseits. Hinsichtlich des Aufbaus ist es, wie im "Maßstab" und "Klausurhinweis" bei der letzten Frage aufgeworfen, sehr gut möglich, einen anderen Aufbau zu wählen. Der Aufbau in der Aufgabe folgt der Ansicht, nach der Schmähkritik/

Formalbeleidigungen

vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit ausgenommen sind, womit das Vorliegen von Schmähkritik bereits im Schutzbereich geklärt werden muss. Nach aA sind diese Fälle noch nicht aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit auszunehmen, sondern das Problem auf Rechtfertigungsebene zu verorten. Dann wird dort auf Rechtfertigung grundsätzlich die von dir angesprochene "Wechselwirkungslehre" angewendet, wonach Gesetze, die die Meinungsfreiheit beschränken, ihrerseits im Lichte der Meinungsfreiheit restriktiv ausgelegt werden müssen. Wie in der Aufgabe aber aufgeworfen, ist es auch insoweit anerkannt, dass in Ausnahmefällen eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit des Äußernden entbehrlich ist, sofern nicht mehr die sachliche Auseinandersetzung, sondern die Diffamierung einer Person im Vordergrund steht. Dies ist bei

Formalbeleidigung

/Schmähkritik der Fall. Dann macht man die Abgrenzung hier, das Ergebnis ist dann identisch. Letztlich ist der Aufbau also Geschmackssache, tendenziell würde ich persönlich aber, wie du auch, eher den Rechtfertigungsaufbau wählen, dann kommt man noch zu ein paar mehr Prüfungspunkten (jedenfalls falls Schmähkritik vorliegt). Hinsichtlich der Auslegung: Möglich ist bei der Auslegung vieles, die Gerichte legen ähnliche Situationen auch oft unterschiedlich aus. Unvertretbar ist es demnach sicher nicht, die Kritik an der Lehre als vordergründig zu sehen. Man sollte hierbei immer aufpassen, juristisch sauber zu arbeiten und keinen "Gesinnungsaufsatz" zu schreiben, also zB vorher dann einen klaren Maßstab von wegen "hohe Bedeutung der Meinungsfreiheit für das demokratische Gemeinwesen" oÄ etablieren; betonen, dass daher unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext das Vorliegen von Schmähkritik äußerst restriktiv zu interpretieren ist, etc. Dann kann man das so vertreten. Von der Tendez muss man hier aber sagen, dass mit der Bezeichnung "Arschloch" ein klarer Fall einer

Formalbeleidigung

vorliegt. Auch diese können zwar "nur" überschießendes Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes sein, also nicht allein der Diffamierung dienen, sondern zugleich Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung sein, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.8.2020 – 1 BvR 2249/19. Gleichwohl sind hieran dann gewisse Anforderungen zu stellen. In unserem Fall gibt es keinen speziellen Anlass, kein spezielles Verhalten des L, das S kritisiert und auch keine spezielle Botschaft des S, sondern schlicht eine generelle Verächtlich-Machung durch S. Er will auch nicht kommunikativ auf L einwirken, sondern zieht über L schlicht her, um ihn niederzumachen. Dass er unzufrieden ist, ist nur äußerer Anlass für eine

Formalbeleidigung

, in dem Plakat findet nichts anderes Ausdruck. Ich halte es daher für naheliegender, hier von Schmähkritik auszugehen. Mit guter Begründung ist wie angesprochen aber auch eine andere Ansicht vertretbar. Das würde ja auch noch nicht zur Rechtfertigung führen, sondern lediglich heißen, dass eine Abwägung zwischen der persönlichen Ehre einerseits und dem Recht auf freie Meinungsäußerung andererseits durchzuführen wäre. Hier bräuchte man natürlich in der Klausur etwas mehr Angaben, spätestens hier sähe es dann aber für S aufgrund der Verwendung des Begriffs "Arschloch" wohl schlecht aus. Spätestens die Abwägung wird hier also wohl zugunsten der persönlichen Ehre ausfallen. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

G0D0FM

G0d0fMischief

15.8.2024, 08:45:57

Vielen Dank für die ausführliche Nachricht! In einer vorherigen Aufgabe hattet ihr zur Wechselwirkungslehre 3 Stufen genannt: Deutungsstufe, Normanwendungsstufe, Normauslegungsstufe (ich meine so waren sie). Sind die 3 Stufen dann alle nur im Rahmen der Rechtfertigung anzuwenden? Ich dachte die Deutungsstufe wird bereits im sachlichen Schutzbereich relevant 🫣 Kannst du mir vielleicht nochmal kurz diese 3 Stufen erklären? Weil ich finde die Wechselwirkungslehre etwas schwere zu verstehen. Liebe Grüße

Tobias Krapp

Tobias Krapp

15.8.2024, 18:08:39

Hallo G0d0fMischief, gerne! Du hast dir die Stufen bzw. Ebenen (man kann beides sagen, "Ebene" ist aber geläufiger) der Wechselwirkungslehre vollkommen richtig gemerkt. Deutungsebene heißt: Wie ist die konkrete Äußerung, um die es geht, zu verstehen? Die Äußerung ist dabei zurückhaltend und meinungsfreundlich auszulegen. Normauslegungsebene heißt: Wie ist das meinungsbeschränkende Gesetz auszulegen? Hier geht es um eine abstrakte Auslegung der Tatbestandsmerkmale einer Norm. Normanwendungsebene heißt: Welchem Rechtsgut gebührt in der Abwägung im Einzelfall der Vorrang? Hier geht es nun um die konkrete Anwendung und Gewichtung der Interessen. Da das alles etwas abstrakt ist, machen wir es beispielhaft an unserem Fall hier: Die Deutungsebene wird bei schon bei der Frage relevant, ob es sich hier bei den Äußerungen des S um Schmähkritik bzw. eine

Formalbeleidigung

handelt. Hieran zeigt sich: Ob die Deutungsebene beim Schutzbereich oder erst in der Rechtfertigung eine Rolle spielt, kommt darauf an, welchen der beiden in meiner ersten Antwort dargestellten Aufbauvarianten man wählt. Sieht man Schmähkritik als nicht in den Schutzbereich fallend an, ist die Deutungsebene im Schutzbereich anzusprechen, sieht man die Bedeutung von Schmähkritik nur darin, dass bei dieser ein Eingriff ohne weiter Abwägung gerechtfertigt ist, ist die Deutungsebene in der Rechtfertigung anzusprechen. Inhaltlich sind dann hier sind all die Punkte, die ich in meiner ersten Antwort für eine Auslegung als Schmähkritik herangezogen habe, anzuführen. Nimmt man Schmähkritik an, ist die Prüfung zu Ende. Oder man macht es so wie du eher dazu neigtest, und nimmt hier mit entsprechender Begründung keine Schmähkritik an. Nimmt man keine Schmähkritik an, geht es bei der Rechtfertigung weiter mit der Normauslegungsebene. Hier wäre in unserem Fall (in einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Strafurteil) zu klären, ob die abstrakte Definition des Tatbestandsmerkmals "Beleidigung" vom Fachgericht verfassungsrechtlich tragfähig ist. Das BVerfG fordert hier, dass der Begriff der Ehrverletzung nicht so weit ausgedehnt wird, dass für die Berücksichtigung der Meinungsfreiheit kein Raum mehr bleibt. In unserem Fall haben wir hier natürlich noch kein Urteil, es ist aber davon auszugehen, dass eine abstrakte Definition, die die Bezeichnung "Arschloch" als ehrkränkend mitumfassen würde, nicht zu weitgehend, sondern eher naheliegend ist und so der Meinungsfreiheit genug Raum verbleibt. Dann kommt man bei der Rechtfertigung zur Normanwendungsebene. Hier wäre bei uns das Persönlichkeitsrecht mit der Meinungsfreiheit unter Würdigung der konkreten Umstände des Falles miteinander abzuwägen. Insoweit würde, wie bereits in der ersten Antwort angesprochen, etwa die Schwere der Beleidigung, die Dauer (durch das länger andauernde Hängen des Plakats) und die Öffentlichkeitswirksamkeit einserseits und die Kritik an der Lehre (Problem hierbei ggf. Anlass und zeitlicher Abstand) andererseits eine Rolle spielen. Hier wären in einer Klausur natürlich viel mehr Infos im Sachverhalt. Tendenziell schaut es aber spätestens hier dann für S schlecht aus. Ich hoffe, das hat es klarer gemacht! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

G0D0FM

G0d0fMischief

15.8.2024, 19:50:14

Danke dir Tobias für die ausführliche Nachricht! Jetzt wird es mir auf jeden Fall alles viel klarer!


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