Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

weiterer klarer Fall der Schmähkritik: Missachtung der Menschenwürde des Betroffenen

weiterer klarer Fall der Schmähkritik: Missachtung der Menschenwürde des Betroffenen

26. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nazi N hält eine öffentliche Rede, in der er über den körperlich behinderten Politiker P spricht. An einer Stelle sagt er: „Bei P handelt es sich um lebensunwertes Leben, das keinerlei Existenzberechtigung hat - man muss es vernichten!“. P erstattet Anzeige.

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Einordnung des Falls

weiterer klarer Fall der Schmähkritik: Missachtung der Menschenwürde des Betroffenen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Missachtung der Menschenwürde des Betroffenen setzt der Meinungsfreiheit Grenzen.

Ja, in der Tat!

Die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG setzt der Meinungsfreiheit eine absolute Grenze. Sofern die Menschenwürde des Betroffenen verletzt wird, wird dies genauso wie ein eindeutiger Fall von Schmähkritik behandelt. Der Schutzbereich ist - nach weitverbreiteter Ansicht - zwar eröffnet, jedoch tritt das streitgegenständliche Grundrecht auf Ebene der Rechtfertigung hinter der Menschenwürde zurück. Eine Beeinträchtigung der Menschenwürde liegt vor, wenn die unveräußerliche Subjektqualität bzw. der Achtungsanspruch als Mensch abgesprochen wird. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde des Betroffenen gilt es nur bei eindeutigen Anhaltspunkten im Sachverhalt zu prüfen!
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2. Ist der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) für Ns Äußerung - nach hier vertretener Ansicht - eröffnet?

Ja!

Sofern die Menschenwürde des Betroffenen verletzt ist, wird dies ähnlich den Fällen eindeutiger Schmähkritik behandelt. Der Schutzbereich ist eröffnet und nur in besondere Ausnahmekonstellationen, also im Einzelfall, verschlossen. Eine Beeinträchtigung der Menschenwürde liegt vor, wenn die unveräußerliche Subjektqualität bzw. der Achtungsanspruch als Mensch dem Betroffenen abgesprochen wird. Bei offensichtlichen Beeinträchtigungen der Menschenwürde durch Aussagen Dritter lässt sich angesichts der Abwägungsfestigkeit der Menschenwürde auch gut annehmen, dass der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit gar nicht erst eröffnet ist.

3. Die Äußerung des N beeinträchtigt Ps Menschenwürde. Tritt Ns Meinungsfreiheit in der Abwägung mit der Menschenwürde zurück?

Genau, so ist das!

Eine Beeinträchtigung der Menschenwürde liegt vor, wenn die unveräußerliche Subjektqualität bzw. der Achtungsanspruch als Mensch abgesprochen wird. Die Äußerungen des N zielen auf die kategoriale Würde des P, indem sie ihm seine Menschlichkeit gänzlich absprechen. Die Äußerungen degradieren und entmenschlichen P. Insbesondere durch den Aufruf zur Vernichtung körperlich behinderter Menschen, verletzt N die Menschenwürde des P. Die Aussage ist zumindest als Beleidigung (§ 185 StGB) strafbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CR7

CR7

20.7.2023, 16:52:53

Auch wenn es in den meisten BL kein Prüfungsstoff ist, wird hier eine Strafbarkeit nach § 130 I Nr. 1, Nr. 2 StGB zu bejahen sein, da Behinderte nach der Rspr. einen Teil der Bevölkerung darstellen und hier zu Gewaltmaßnahmen aufgefordert wird. Ggf. ergibt sich zusätzlich eine Strafbarkeit nach § 111 StGB.

Annika Sp

Annika Sp

29.8.2024, 09:29:53

Also bei

Ehrverletzung

en ist der Schutzbereich nicht eröffnet aber bei Missachtung der Menschenwürde schon? Ergibt für mich keinen Sinn. Dort müsste doch erst recht der Schutzbereich nicht eröffnet sein?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

30.8.2024, 11:35:48

Danke für Deinen Hinweis @[Annika Sp](259951)! Nach der von uns vertretenen Auffassung ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit auch bei

Ehrverletzung

en und bei möglicher Missachtung der Menschenwürde grundrechtsdogmatisch erst einmal eröffnet, aber die Meinungsäußerung muss in der Abwägung mit der Menschenwürde und dem Recht der persönlichen

Ehre

zurücktreten. Wir folgen damit einer in Teilen der Literatur vertretenen Ansicht, die den Schutz der von einer Meinungsäußerung betroffenen

Rechtsgüter

n Dritter immer auf Ebene der Rechtfertigung behandelt, statt schon den Schutzbereich der Meinungsfreiheit hier nicht zu eröffnen. Deshalb sind

Ehrverletzung

en und mögliche Missachtung der Menschenwürde gleich zu behandeln. Deine Frage deutet aber daraufhin, dass Du bei uns irgendwo gelesen hast, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit bei

Ehrverletzung

en gar nicht erst eröffnet ist. Das sollte - wegen der von uns vertretenen grundrechtsdogmatischen Ansicht – nicht so sein, aber ich will nicht ausschließen, dass sich in einer Aufgabe ein Fehler eingeschlichen hat. Sollte das der Fall sein, wäre ich Dir für einen entsprechenden Hinweis auf die entsprechende Aufgabe dankbar. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

HockHex

HockHex

15.10.2024, 22:04:40

Ich dachte bei Menschenwürdeverletzungen findet überhaupt keine Abwägung statt, sondern der Menschenwürde wird immer der Vorzug gewährt? In der Aufgabe steht, dass es doch zu einer Abwägung kommt... weil es hier um eine private Äußerung geht?

Kai

Kai

5.11.2024, 13:14:23

Vielleicht denke ich gerade zu kompliziert, aber: Im Fall wird die Frage gestellt, ob die Meinungsfreiheit ggü. der Menschenwürde in der Abwägung zurücktritt. Während das im Fall bejaht wird, gilt die Menschenwürde doch absolut und ist "abwägungsfest". Daher dürfte doch eigentlich erst gar keine Abwägung stattfinden, sondern der Schutz der Menschenwürde absolut greifen, oder?

AME

Amelie7

12.11.2024, 12:22:24

Was wäre denn ein Ausnahmefall, in dem der Schutzbereich in einem solchen Fall gar nicht erst eröffnet wäre, wenn solch ein extremer Fall es noch nicht ist?


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