Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Deliktsrecht

Kohl-Tagebücher: (Keine) Vererblichkeit des Anspruchs auf Entschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen

Kohl-Tagebücher: (Keine) Vererblichkeit des Anspruchs auf Entschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen

31. Mai 2025

11 Kommentare

4,8(27.428 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Autor A verletzt rechtswidrig Helmut Kohls (K) Persönlichkeitsrechte. K verklagt A. K wird ein Geldentschädigungsanspruch durch vorläufig vollstreckbares Urteil zugesprochen. K verstirbt, bevor das Urteil rechtskräftig ist. Ks Witwe meint, der Anspruch sei auf sie übergegangen.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Kohl-Tagebücher: (Keine) Vererblichkeit des Anspruchs auf Entschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegenüber Helmut Kohl stellen eine deliktisch relevante Rechtsgutsverletzung dar (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Parallel zu den in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgütern erfordert die Anerkennung als "sonstiges Recht", dass die Rechtsposition ein absolutes Recht darstellt. Dies setzt eine Zuordnungs- und eine Ausschlussfunktion voraus (für das Eigentum siehe § 903 Alt. 1, Alt. 2 BGB). Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt (BGH, NJW 1954, 1404). Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Rahmenrecht. Die Rechtswidrigkeit wird nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern muss positiv durch Interessenabwägung im Einzelfall festgestellt werden.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Aufgrund dieser Persönlichkeitsrechtsverletzungen stand Helmut Kohl vor seinem Tod ein Geldentschädigungsanspruch zu (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja!

Der haftungsbegründende Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB ist erfüllt. Persönlichkeitsrechtsverletzungen begründen in der Regel nur einen Nichtvermögensschaden, sodass Entschädigung in Geld nur bei gesetzlicher Regelung gewährt wird (§ 253 Abs. 1 BGB). In § 253 Abs. 2 BGB ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht genannt. Da mangels planwidriger Regelungslücke eine Analogie zu § 253 Abs. 2 BGB ausscheidet, leitet der BGH in verfassungskonformer Reduktion des § 253 Abs. 1 BGB den Geldentschädigungsanspruch unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag selbst her (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB).

3. Der Geldentschädigungsanspruch aufgrund von Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist immer vererblich.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Geldentschädigungsanspruch hat primär eine Genugtuungsfunktion. Es geht nicht darum, eine erlittene Ehrverletzung auszugleichen, sondern darum, dem Schädiger durch die Geldzahlung ein Übel aufzuerlegen, das dem Geschädigten Genugtuung verschafft. Einem Verstorbenen kann diese Genugtuung nicht mehr verschafft werden. Daher ist der Anspruch grundsätzlich nicht vererblich. Postmortale Verletzungen des Persönlichkeitsrechts begründen mangels Genugtuung beim Verstorbenen daher nie einen Geldentschädigungsanspruch der Erben (BGH, NJW 2014, 2871, 2872).

4. Allerdings ist der Geldentschädigungsanspruch vererblich, wenn der Verletzte ihn noch zu Lebzeiten an- oder rechtshängig macht.

Nein, das trifft nicht zu!

Die grundsätzliche Unvererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs ergibt sich aus der Genugtuungsfunktion. Der Anspruch wäre daher nur dann vererblich, wenn die An- oder Rechtshängigkeit des Anspruchs bereits ausreichend Genugtuung verschafft. Weder der Eingang der Klage bei Gericht (=Anhängigkeit) noch die Zustellung beim Beklagten (=Rechtshängigkeit) verschaffen dem Verletzten eine gesicherte Position. Sie begründen allenfalls eine Aussicht auf Genugtuung. Wenn – wie hier – nicht unter den Tatbestand einer Norm sondern allgemeine Grundsätze subsumiert werden muss, sollte methodisch trotzdem gleich gearbeitet werden (erst Maßstabsbildung, dann Subsumtion).

5. Allerdings ist der Geldentschädigungsanspruch vererblich, wenn der Verletzte noch zu Lebzeiten ein vorläufig vollstreckbares Urteil erlangt.

Nein!

Die grundsätzliche Unvererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs ergibt sich aus der Genugtuungsfunktion. Der Anspruch wäre daher nur dann vererblich, wenn ein vorläufig vollstreckbares Urteil bereits ausreichend Genugtuung verschafft. Dafür spricht die Möglichkeit des Klägers, sich das Geld jedenfalls vorläufig im Wege der Zwangsvollstreckung sichern zu können. Allerdings muss der Kläger mit Rechtsmitteln des Beklagten rechnen. Im Falle einer Abänderung zu Ungunsten des Klägers könnte diesen die Schadensersatzpflicht aus § 717 Abs. 2 ZPO treffen. Der BGH verneint daher auch hier die Vererblichkeit (RdNr. 16).

6. Der Geldentschädigungsanspruch ist vererblich, wenn er dem Verletzten noch zu Lebzeiten formell rechtskräftig zugesprochen wird.

Genau, so ist das!

Genugtuung erlangt der Verletzte nicht erst durch den Erhalt des Geldes im Sinne einer Erfüllung des Anspruchs (§ 362 Abs. 1 BGB). Der Verletzte kann vielmehr bereits dadurch Genugtuung erfahren, dass ihm eine gesicherte Position zugesprochen wird. Dies ist bei einem rechtskräftigen Titel der Fall (BGH, NJW 2017, 3004, 3005f.).

7. Kann W als Erbin des K von A die Geldentschädigung verlangen?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Geldentschädigungsanspruch ist nur vererblich, wenn er dem Verstorbenen bereits vor dessen Tod rechtskräftig zugesprochen worden ist. K ist vor Rechtskraft des Urteils verstorben. W kann von A keine Geldentschädigung verlangen. Schmerzensgeldansprüche (§ 253 Abs. 2 BGB) sind hingegen immer vererblich. Sie haben primär eine Ausgleichsfunktion. Der Geschädigte soll für das erlittene Leid einen Geldersatz erhalten. Die Vererblichkeit verhindert einen Wettlauf mit der Zeit. Die Angehörigen sollen bei Verletzungen mit Lebensgefahr nicht vor dem Krankenbesuch aus Zeitnot zuerst bei Gericht erscheinen müssen.
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

3.4.2024, 20:58:38

Warum findet sich in

§ 253

Abs. 2 BGB keine planwidrige Regelungslücke?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

10.2.2025, 15:25:37

Hey @[QuiGonTim](133054), interessante Frage. Zunächst einmal sollte man mit der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke grundsätzlich zurückhaltend sein. Schauen wir uns das aber in Bezug auf

§ 253

Abs. 2 BGB einmal genauer an:

§ 253

Abs. 2 BGB erlaubt den Ersatz von immateriellen Schäden (Schmerzens

geld

) nur in ausdrücklich gesetzlich geregelten Fällen, z. B. bei Körperverletzung (

§ 823 Abs. 1 BGB

) oder Verletzungen von absoluten Rechten (z. B. Freiheit, Gesundheit). Der Zweck der Norm ist es, das grundsätzlich restriktive Verständnis des deutschen

Schadensrecht

s in Bezug auf immaterielle Schäden klarzustellen: „

Geld

entschädigung nur, wenn das Gesetz es vorsieht.“ Allein aus dieser engen expliziten Aufzählung lässt sich schon begründen, dass der Gesetzgeber weitere Rechte aufgenommen hätte, wenn diese Berücksichtigung hätten finden sollen. Dies lässt sich auch in der Gesetzgebungsgeschichte nachvollziehen: Die Gesetzgebungsmaterialien (insbesondere zum Schadensersatzrecht) zeigen, dass der Gesetzgeber bewusst eine enge Regelung für immaterielle Schäden geschaffen hat. Der BGH billigte mit Urteil vom 14. Februar 1958 (I ZR 151/56) erstmalig einem Kläger ein Schmerzens

geld

wegen der Verletzung des APR zu (sog. „Herrenreiter-Entscheidung“, BGHZ 26, 349). Der Gesetzgeber hätte nach dieser Entscheidung den Anspruch explizit regeln können. Es gab z.B. im Jahr 2002 eine Erweiterung der Norm auf Verletzungen der Freiheit und der sexuellen Selbstbestimmung (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2002 Teil I Nr. 50, 2675: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl102s2674.pdf%27%5D__1739197073583). In diesem Zuge hätte der Gesetzgeber die Rspr. zum APR berücksichtigen können, hat dies aber nicht getan. Man kann daher nicht von einer planwidrigen Regelungslücke sprechen, sondern vielmehr von einer bewussten Entscheidung: Der restriktive

§ 253

Abs. 2 BGB soll nicht auf sämtliche Verletzungen des APR erweitert werden, vielmehr bleibt es der höchstrichterlichen Rechtsprechung überlassen, in besonderes schwerwiegenden Fällen einen Anspruch zu bejahen. Dies entspricht auch der h.M. in der Lit. In der Klausur sind hier keine detaillierten Kenntnisse nötig. Es reicht, wenn Du dir den restriktiven Charakter des

§ 253

Abs. 2 BGB als Schlagwort merkst und damit eine Analogie ablehnst. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

NC

nondum conceptus

26.11.2024, 09:46:51

Verstehe nicht, wie sich die beiden unterscheiden.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

23.3.2025, 19:15:01

Hallo @[nondum conceptus ](234295), Schmerzens

geld

ist es eine besondere Form der Entschädigung für erlittenes Leid und in

§ 253

II BGB als besondere Form eines Nicht-Vermögensschadens (

§ 253

I BGB) geregelt. Den Ausdruck der

Geld

entschädigung benutzt der BGH dagegen als Oberbegriff für einen Schadensersatz aus §

823 BGB

, im konkreten Fall wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Die unterschiedliche Behandlung wird von der Lit durchaus kritisiert und hat nicht zuletzt historische Gründe: § 847 I 2 BGB aF sah früher vor, dass Ansprüche auf Schmerzens

geld

nicht vererblich

ware

n - bis die Vorschrift ersatzlos gestrichen wurde, woraus der BGH ab diesem Zeitpunkt auf die Vererblichkeit schloss. Bei vertieftem Interesse sind die Details zB bei Staudinger/Kunz, BGB, Neubearb 2017, § 1922 Rn 306 ff gut aufbereitet. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

FalkTG

FalkTG

2.1.2025, 19:10:29

Also das Urteil legt dar, dass bei APR Verstößen der Anteil der Genugtuungsfunktion unvererblich ist. Was ist mit dem Anteil aus der - Präventionsfunktion und der - Ausgleichfunktion? Also wenn Kohl einen Anspruch in Höhe i.H.v. 800 EUR hätte (500 EUR Genugtuung, 200 EUR Ausgleich, 100 EUR Prävention) bekäme er dann 300 EUR?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

23.3.2025, 19:01:42

Hallo @[FalkTG](241044), eine solche Aufspaltung findet nach dem BGH nicht statt. Vielmehr soll die Genugtuungsfunktion nach seine Auffassung grds über das Schicksal des gesamten Anspruchs entscheiden: "Insoweit steht der Genugtuungsgedanke im Vordergrund; einem Verstorbenen kann Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden [...]. Dass der

Geld

entschädigungsanspruch auch der Prävention dient, ändert an der grundsätzlichen Unvererblichkeit des gesamten Anspruchs [...] nichts [...]; insbesondere führt dies entgegen der Ansicht der Revision auch nicht dazu, dass der Anspruch jedenfalls in Höhe des auf die Präventionsfunktion entfallenden Teils vererblich ist." (BGH NJW 2022, 868, 869 mwN) Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community