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Kohl-Tagebücher: (Keine) Vererblichkeit des Anspruchs auf Entschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen
Kohl-Tagebücher: (Keine) Vererblichkeit des Anspruchs auf Entschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen
31. Mai 2025
11 Kommentare
4,8 ★ (27.428 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Autor A verletzt rechtswidrig Helmut Kohls (K) Persönlichkeitsrechte. K verklagt A. K wird ein Geldentschädigungsanspruch durch vorläufig vollstreckbares Urteil zugesprochen. K verstirbt, bevor das Urteil rechtskräftig ist. Ks Witwe meint, der Anspruch sei auf sie übergegangen.
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Einordnung des Falls
Kohl-Tagebücher: (Keine) Vererblichkeit des Anspruchs auf Entschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegenüber Helmut Kohl stellen eine deliktisch relevante Rechtsgutsverletzung dar (§ 823 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Aufgrund dieser Persönlichkeitsrechtsverletzungen stand Helmut Kohl vor seinem Tod ein Geldentschädigungsanspruch zu (§ 823 Abs. 1 BGB).
Ja!
3. Der Geldentschädigungsanspruch aufgrund von Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist immer vererblich.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Allerdings ist der Geldentschädigungsanspruch vererblich, wenn der Verletzte ihn noch zu Lebzeiten an- oder rechtshängig macht.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Allerdings ist der Geldentschädigungsanspruch vererblich, wenn der Verletzte noch zu Lebzeiten ein vorläufig vollstreckbares Urteil erlangt.
Nein!
6. Der Geldentschädigungsanspruch ist vererblich, wenn er dem Verletzten noch zu Lebzeiten formell rechtskräftig zugesprochen wird.
Genau, so ist das!
7. Kann W als Erbin des K von A die Geldentschädigung verlangen?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
QuiGonTim
3.4.2024, 20:58:38

Linne_Karlotta_
10.2.2025, 15:25:37
Hey @[QuiGonTim](133054), interessante Frage. Zunächst einmal sollte man mit der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke grundsätzlich zurückhaltend sein. Schauen wir uns das aber in Bezug auf
§ 253Abs. 2 BGB einmal genauer an:
§ 253Abs. 2 BGB erlaubt den Ersatz von immateriellen Schäden (Schmerzens
geld) nur in ausdrücklich gesetzlich geregelten Fällen, z. B. bei Körperverletzung (
§ 823 Abs. 1 BGB) oder Verletzungen von absoluten Rechten (z. B. Freiheit, Gesundheit). Der Zweck der Norm ist es, das grundsätzlich restriktive Verständnis des deutschen
Schadensrechts in Bezug auf immaterielle Schäden klarzustellen: „
Geldentschädigung nur, wenn das Gesetz es vorsieht.“ Allein aus dieser engen expliziten Aufzählung lässt sich schon begründen, dass der Gesetzgeber weitere Rechte aufgenommen hätte, wenn diese Berücksichtigung hätten finden sollen. Dies lässt sich auch in der Gesetzgebungsgeschichte nachvollziehen: Die Gesetzgebungsmaterialien (insbesondere zum Schadensersatzrecht) zeigen, dass der Gesetzgeber bewusst eine enge Regelung für immaterielle Schäden geschaffen hat. Der BGH billigte mit Urteil vom 14. Februar 1958 (I ZR 151/56) erstmalig einem Kläger ein Schmerzens
geldwegen der Verletzung des APR zu (sog. „Herrenreiter-Entscheidung“, BGHZ 26, 349). Der Gesetzgeber hätte nach dieser Entscheidung den Anspruch explizit regeln können. Es gab z.B. im Jahr 2002 eine Erweiterung der Norm auf Verletzungen der Freiheit und der sexuellen Selbstbestimmung (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2002 Teil I Nr. 50, 2675: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl102s2674.pdf%27%5D__1739197073583). In diesem Zuge hätte der Gesetzgeber die Rspr. zum APR berücksichtigen können, hat dies aber nicht getan. Man kann daher nicht von einer planwidrigen Regelungslücke sprechen, sondern vielmehr von einer bewussten Entscheidung: Der restriktive
§ 253Abs. 2 BGB soll nicht auf sämtliche Verletzungen des APR erweitert werden, vielmehr bleibt es der höchstrichterlichen Rechtsprechung überlassen, in besonderes schwerwiegenden Fällen einen Anspruch zu bejahen. Dies entspricht auch der h.M. in der Lit. In der Klausur sind hier keine detaillierten Kenntnisse nötig. Es reicht, wenn Du dir den restriktiven Charakter des
§ 253Abs. 2 BGB als Schlagwort merkst und damit eine Analogie ablehnst. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
nondum conceptus
26.11.2024, 09:46:51
Verstehe nicht, wie sich die beiden unterscheiden.

Sebastian Schmitt
23.3.2025, 19:15:01
Hallo @[nondum conceptus ](234295), Schmerzens
geldist es eine besondere Form der Entschädigung für erlittenes Leid und in
§ 253II BGB als besondere Form eines Nicht-Vermögensschadens (
§ 253I BGB) geregelt. Den Ausdruck der
Geldentschädigung benutzt der BGH dagegen als Oberbegriff für einen Schadensersatz aus §
823 BGB, im konkreten Fall wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Die unterschiedliche Behandlung wird von der Lit durchaus kritisiert und hat nicht zuletzt historische Gründe: § 847 I 2 BGB aF sah früher vor, dass Ansprüche auf Schmerzens
geldnicht vererblich
waren - bis die Vorschrift ersatzlos gestrichen wurde, woraus der BGH ab diesem Zeitpunkt auf die Vererblichkeit schloss. Bei vertieftem Interesse sind die Details zB bei Staudinger/Kunz, BGB, Neubearb 2017, § 1922 Rn 306 ff gut aufbereitet. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

FalkTG
2.1.2025, 19:10:29
Also das Urteil legt dar, dass bei APR Verstößen der Anteil der Genugtuungsfunktion unvererblich ist. Was ist mit dem Anteil aus der - Präventionsfunktion und der - Ausgleichfunktion? Also wenn Kohl einen Anspruch in Höhe i.H.v. 800 EUR hätte (500 EUR Genugtuung, 200 EUR Ausgleich, 100 EUR Prävention) bekäme er dann 300 EUR?

Sebastian Schmitt
23.3.2025, 19:01:42
Hallo @[FalkTG](241044), eine solche Aufspaltung findet nach dem BGH nicht statt. Vielmehr soll die Genugtuungsfunktion nach seine Auffassung grds über das Schicksal des gesamten Anspruchs entscheiden: "Insoweit steht der Genugtuungsgedanke im Vordergrund; einem Verstorbenen kann Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden [...]. Dass der
Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention dient, ändert an der grundsätzlichen Unvererblichkeit des gesamten Anspruchs [...] nichts [...]; insbesondere führt dies entgegen der Ansicht der Revision auch nicht dazu, dass der Anspruch jedenfalls in Höhe des auf die Präventionsfunktion entfallenden Teils vererblich ist." (BGH NJW 2022, 868, 869 mwN) Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team