Informationszugang zu Protokollen des Bundeskabinetts nach § 1 Abs. 1 S. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG)


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Journalist J begehrt informatorischen Zugang zu dem – als Verschlusssache eingestuften – Protokoll und der Teilnehmerliste einer Kabinettssitzung der Bundesregierung. Sein Antrag wird vom Bundeskanzleramt mit Hinweis auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung abgelehnt.

Einordnung des Falls

Informationszugang zu Protokollen des Bundeskabinetts nach § 1 Abs. 1 S. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Zugang zu amtlichen Informationen steht jeder Person grundsätzlich voraussetzungslos zu.

Genau, so ist das!

Jeder hat gegenüber den Behörden des Bundes einen grundsätzlich voraussetzungslosen Anspruch auf Informationszugang (§ 1 Abs. 1 S. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Diese gesetzgeberische Grundentscheidung dient vor allem der Transparenz und damit der demokratischen Willensbildung sowie der Kontrolle staatlichen Handelns. Der Anspruch muss auf amtliche Informationen gerichtet sein, die bei einem der genannten Adressaten vorhanden sind und über die er verfügungsberechtigt ist. Ein besonderes Informationsinteresse oder eine besondere Zugangsberechtigung sind gerade nicht erforderlich. Die Informationsfreiheitsgesetze der Länder enthalten entsprechende Regelungen.

2. Der Informationsanspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG ist grenzenlos gewährleistet.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch besteht „nach Maßgabe dieses Gesetzes“ (§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG). Er ist materiell-rechtlich voraussetzungslos, besteht aber nicht ausnahmslos, denn eine grenzenlose Informationszugangsfreiheit kann es in einem Rechtsstaat nicht geben (Schoch, IFG, 2.A. 2016, Vorb. §§ 3-6 RdNr. 1). Strukturell normiert das IFG einerseits Ausnahmetatbestände, die im öffentlichen Interesse liegen und öffentliche Belange schützen (§§ 3, 4 IFG), und andererseits solche, die dem Schutz privater Interessen Dritter dienen (§§ 5, 6 IFG). Die Ausnahmen sind eng auszulegen, sodass Analogien und ungeschriebene Ausnahmen grundsätzlich nicht anzuerkennen sind.

3. J kann den Anspruch auf Informationszugang mit der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) gerichtlich geltend machen.

Ja!

§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG gewährt jeder natürlichen oder juristischen Person ein subjektiv-öffentliches Recht auf Zugang zu Informationen der Behörden des Bundes. Für den Fall der Ablehnung eines Antrags auf Informationszugang ist mithin die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) die statthafte Klageart. Dies wird vom Gesetzgeber auch ausdrücklich in § 9 Abs. 4 S. 1 IFG erwähnt. Dem kommt jedoch nur deklaratorische Bedeutung zu, andere Klagearten werden dadurch nicht ausgeschlossen (Schoch, IFG, 2.A. 2016, § 9 RdNr. 83).

4. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Informationsanspruchs des J gegen die Bundesregierung aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG liegen vor.

Genau, so ist das!

J ist als natürliche Person „jeder“ und damit anspruchsberechtigt. Das Bundeskanzleramt ist eine oberste Bundesbehörde, die vor allem die administrativen Aufgaben der Bundesregierung durch Bereithalten von Informationen wahrnimmt. Es ist somit die zuständige „Behörde“ im Sinne des Gesetzes. Die gesetzesvorbereitende Tätigkeit als Teil des Regierungshandelns (z.B. in den Kabinettssitzungen) lässt die Behördeneigenschaft nicht entfallen (st. Rspr. des BVerwG). Die von J begehrten Dokumente sind auch „amtliche Informationen“, da sie der Aufgabenerfüllung des Bundeskanzleramtes und damit amtlichen Zwecken dienen (§ 2 Nr. 1 IFG).

5. Der sog. Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung schützt eine nicht öffentliche Sphäre des Regierungshandelns, um deren Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung zu wahren.

Ja, in der Tat!

Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung soll verhindern, dass der Schutz der Regierung unterlaufen wird. Das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) schützt einen nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich der Regierung. Dies betrifft insbesondere die Willensbildung der Regierung (z.B. Erörterungen im Kabinett oder Vorbereitung von Kabinettsentscheidungen). Der Schutz bezieht sich in erster Linie auf laufende Verfahren, kann sich auch auf bereits abgeschlossene Vorgänge erstrecken, wenn die jeweilige Information geeignet ist, Aufschluss über den Prozess der Willensbildung bei Regierungsentscheidungen zu geben (RdNr. 18).

6. Die Beeinträchtigung von behördlichen Beratungen (§ 3 Nr. 3b IFG) ist eine einfachgesetzliche Ausprägung des grundgesetzlich garantierten Schutzes des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung.

Ja!

BVerwG: „Der Versagungsgrund des § 3 Nr. 3b IFG verwirklicht – soweit seine tatbestandlichen Voraussetzungen reichen – einfachgesetzlich auch den verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung“ (RdNr. 18). Zudem sei § 3 Nr. 3b IFG als absoluter Ausschlussgrund ausgestaltet, der nicht durch gegenläufige Interessen relativiert werden könne. Denn der Gesetzgeber des IFG hat auf eine Abwägungsklausel, die im Einzelfall den Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung etwa aus öffentlichem Informationsinteresse überwinden könnte, verzichtet (RdNr. 19, 21).

7. Journalisten steht im Anwendungsbereich des IFG ein Informationsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu, der mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung in Ausgleich gebraucht werden muss.

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerwG: "Dem verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung steht [...] im Anwendungsbereich des IFG nur ein einfachgesetzlicher Informationsanspruch gegenüber, der weder über Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG noch sonst - etwa über das Demokratieprinzip - verfassungsrechtlich geboten ist." (RdNr. 20). Ein verfassungsunmittelbarer Informationsanspruch der Presse als Ausprägung der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) besteht im Anwendungsbereich des IFG somit nicht.

8. Das Protokoll der Kabinettssitzung muss nicht veröffentlicht werden. Dies beeinträchtigt die Beratungen von Behörden (§ 3 Nr. 3b IFG) und ist somit einen Ausschlussgrund für den Anspruch des J.

Ja, in der Tat!

BVerwG: Bei Veröffentlichung sei eine „konkrete und ernsthafte Gefährdung des Beratungsprozesses im Kabinett und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung wahrscheinlich“. Der Antrag des J ziele auf den „Kernbereich des Kernbereichs“, sprich den genuinen Beratungsraum der Regierung. Es sei evident, dass sich niemand mehr im Kabinett offen und unbefangen äußern wolle, würden solche Protokolle später öffentlich zugänglich gemacht (RdNr. 24). Unterschiedliche Auffassungen innerhalb des Kabinetts sollen nicht öffentlich werden, weil die Regierung funktionell nur mit einer Stimme nach außen sprechen könne (RdNr. 25).

9. Ein Informationszugang zur Teilnehmerliste der Kabinettssitzung muss zum Schutz des regierungsinternen Beratungsvorgangs (§ 3 Nr. 3b IFG) ebenfalls verwehrt werden.

Nein!

BVerwG: Dieser Ausschlussgrund sei bezüglich der Teilnehmerliste nicht anwendbar. Die Teilnehmerliste betreffe nicht den von § 3 Nr. 3b IFG geschützten Beratungsvorgang und lasse gerade keine Rückschlüsse auf den Standpunkt einzelner Kabinettsmitglieder zu (RdNr. 28).

10. Ein Informationszugang zur Teilnehmerliste ist durch § 3 Nr. 4 IFG verschlossen, da gesetzlich geregelt ist, dass Kabinettssitzungen vertraulich sind (§ 22 Abs. 3 GOBReg).

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerwG: § 22 Abs. 3 GOBReg, wonach Kabinettssitzungen vertraulich sind, sei schon keine „Rechtsvorschrift“ im Sinne des Ausschlussgrundes (§ 3 Nr. 4 IFG), da dieser Begriff nur Normen mit Außenwirkung erfasse. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung enthalte – ungeachtet der umstrittenen Frage nach ihrer rechtlichen Qualifizierung – nur Regierungsinnenrecht und verpflichte nur die Mitglieder der Bundesregierung (RdNr. 29ff.).

11. Die Offenlegung der Teilnehmerliste kann jedoch verhindert werden, da die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen das Informationsinteresse des J überwiegen (§ 5 Abs. 1 S. 1 IFG).

Nein, das trifft nicht zu!

§ 5 IFG orientiert sich systematisch an der für Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) entwickelten Sphärentheorie (RdNr. 41). BVerwG: Die gelisteten hochrangigen Personen seien durch den Informationszugang zur Teilnehmerliste allein in ihrer Sozialsphäre betroffen und nachteilige Folgen seien nicht erkennbar (RdNr. 45). Das Informationsinteresse des J überwiege, denn insbesondere aufgrund seiner Journalisteneigenschaft sei bei der Abwägung ein „Interesse der Allgemeinheit an der Transparenz und Aufklärung über die Aufgabenwahrnehmung öffentlicher Stellen“ zu berücksichtigen (RdNr. 47).

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