Referendariat

Die zivilrechtliche Urteilsklausur

Widerklage

Relevanz der Widerklage beim Feststellungsinteresse der Klage

Relevanz der Widerklage beim Feststellungsinteresse der Klage

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K ist genervt. B schickt ihm ständig Briefe, in denen er behauptet, K schulde ihm noch €500. K wird das alles zu viel und er erhebt Klage gegen B. Er will festgestellt haben, dass B keinen entsprechenden Anspruch gegen ihn hat. B verlangt daraufhin widerklagend die Zahlung der €500.

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Einordnung des Falls

Relevanz der Widerklage beim Feststellungsinteresse der Klage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ks Klage war bereits bei Klageerhebung unzulässig.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist eine Feststellungsklage nur zulässig, wenn der Kläger über ein entsprechendes Feststellungsinteresse verfügt. Ein solches wird unter anderem dann verneint, wenn der Kläger seine Rechte auch mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann (= Subsidiarität der Feststellungsklage). K will das Nichtbestehen eines Anspruchs feststellen lassen. Da er aber nicht Anspruchsinhaber, sondern Anspruchsgegner ist, steht ihm eine Leistungsklage nicht offen. Das nötige Feststellungsinteresse bestand also zunächst.
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2. Die Widerklage ist wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig.

Nein!

Nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO kann eine Streitsache während der Dauer ihrer Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Eine hiergegen verstoßende Klage ist grundsätzlich unzulässig. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn sie weiter reicht als die bereits rechtshängige Streitsache bzw. wenn sie die rechtshängige Streitsache zwar umfasst, jedoch noch darüber hinausgeht. Die Klage ist auf Feststellung des Nichtbestehens eines Anspruchs gerichtet. Die Widerklage ist auf Leistung bzw. Erfüllung eben dieses Anspruchs gerichtet. Sie beinhaltet daher auch die Feststellung über dessen Bestehens/Nichtbestehens, geht darüber aber noch hinaus.

3. Durch Erhebung der Widerklage wurde Ks Klage unzulässig.

Genau, so ist das!

Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage ein Feststellungsinteresse des Klägers erforderlich. Es entfällt bei einer negativen Feststellungsklage, die auf das Nichtbestehen von Ansprüchen gegen den Kläger gerichtet ist, wenn der Beklagte Widerklage auf Leistung erhebt. K klagt auf Feststellung des Nichtbestehens eines Anspruchs gegen ihn. B verlangt widerklagend dessen Erfüllung. Dadurch ist Ks Feststellungsinteresse entfallen. Im umgekehrten Fall (Klage: Leistung, Widerklage: negative Feststellung) ist die Widerklage dagegen bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit von Anfang an unzulässig.

4. K kann eine Klageabweisung trotz der eingetretenen Unzulässigkeit verhindern.

Ja, in der Tat!

Wird eine zunächst zulässige und begründete Klage nach Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet, so kann der Kläger einseitig für erledigt erklären, um eine Klageabweisung und die damit verbundene Kostenlast zu vermeiden. Damit wird die Feststellung begehrt, dass die Klage zur Zeit des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war und nach Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet geworden ist. Ks Klage war zunächst zulässig und ist durch die Widerklage, also nach Rechtshängigkeit unzulässig geworden. Durch eine Erledigungserklärung kann er die Klageabweisung wegen Unzulässigkeit verhindern.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jonathan Wick

Jonathan Wick

25.2.2023, 23:34:34

Die Aussage ,,Durch Erhebung der Widerklage wurde K‘s Klage unzulässig“ ist unzutreffend. Eingestellt und erklärt wird jedoch, dass die Aussage richtig sei. Die Widerklage wird nicht schon mit Klageerhebung (also Rechtshängigkeit) unzulässig, sondern erst, wenn die mündliche Verhandlung begonnen hat. Dies steht so auch in dem zitierten Lehrbuch (Anders/Gehle Kapitel O, Rn. 33) Grund hierfür ist, dass der Kläger seine Leistungsklage bis dahin einseitig zurücknehmen kann, § 269 I ZPO. Der Anspruchsteller könnte sonst also die

Feststellungsklage

durch Klageerhebung unzulässig ,,machen“ und anschließend seine Leistungsklage einseitig zurücknehmen. Der Wunsch des vermeintlichen Anspruchsgegner nach Klarstellung würde unterlaufen werden. Liebe Grüße, John W.

Jonathan Wick

Jonathan Wick

25.2.2023, 23:41:02

Im dritten Satz soll es natürlich heißen ,,Die Klage wird nicht schon mit Erhebung der Widerklage...“ :)

PAT

Patrick4219

13.5.2024, 22:01:40

Ich würde hier einfach mal einen Push setzen, da die Antwort seit dem (richtigen) Kommentar leider noch nicht abgepasst wurde :)

Nocebo

Nocebo

22.7.2024, 12:19:25

Ob wohl ein neuer Push etwas bringt?

LRS

LRS

1.8.2024, 10:15:08

Muss für die

einseitige Erledigungserklärung

des K die negative FK des K zunächst zulässig und auch begründet gewesen sein? In der Subsumtion steht bisher nur, dass die Klage des K zunächst zulässig war. Danke an alle.

MOEE4

moee44

10.9.2024, 09:43:24

Selbstverständlich müsste die Klage auch begründet gewesen sein. Erledigung ist (im Zivilprozess) definiert als eine ursprünglich zulässige und begründete Klage, die durch ein Ereignis nach Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet geworden ist. Das ist auch in diesem Fall nicht anders. Wenn dem K die begehrte Feststellung schon bei Klageerhebung nicht zugestanden hätte, könnte der Beklagte der Erledigung nicht zustimmen (was er hier wohl tun wird, da er ja die Leistung begehrt) und der K würde verlieren, da seine Klage von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte, also ursprünglich unbegründet war. Dann rettet ihn auch die nachträgliche Unzulässigkeit der Klage nicht. Anders natürlich, wenn der der Leistungsanspruch nicht besteht. Der Fall hier ist aber natürlich auf die klassische Problematik, dass das Feststellungsinteresse für eine

negative Feststellungsklage

bei Erhebung der Leistungswiderklage entfällt zugeschnitten.


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