Referendariat

Die Revisionsklausur im Assessorexamen

Zulässigkeit der Revision

Wiedereinsetzung: unverschuldete Säumnis wegen unwirksamen Rechtsmittelverzicht

Wiedereinsetzung: unverschuldete Säumnis wegen unwirksamen Rechtsmittelverzicht

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird am 23.11. wegen Raubes verurteilt. Nach Beratung mit ihrer Verteidigerin V gibt A zu Protokoll, auf Rechtsmittel zu verzichten. Am 15.12. beichtet V der A, dass sie vor der Verhandlung die Zulassung verloren hatte. Nun will A doch Revision einlegen.

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Einordnung des Falls

Wiedereinsetzung: unverschuldete Säumnis wegen unwirksamen Rechtsmittelverzicht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann noch fristgerecht Revision einlegen, da die Revisionseinlegungsfrist hier einen Monat beträgt (§ 341 Abs. 1 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Ist der Angeklagte bei Verkündung des Urteils anwesend (Regelfall, vgl. § 231 Abs. 1 StPO), so muss er bis spätestens eine Woche nach der Urteilsverkündung Revision hiergegen einlegen (§ 341 Abs. 1 StPO).A war während der Urteilsverkündung anwesend, weswegen die Einlegungsfrist eine Woche später und damit am 30.11 endete (§ 43 Abs.1 StPO). Am 15.12. war die Einlegungsfrist somit bereits verstrichen.
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2. Die Revisionseinlegung ist allerdings möglich, sofern A Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

Ja!

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Abs. 1 StPO). Zulässig ist der Antrag, wenn (1) er innerhalb einer Woche nach Wegfall des Hindernisses gestellt wird (§ 45 Abs. 1 StPO), (2) die versäumte Hanldung innerhalb derselben Frist nachgeholt wird (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO) und die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden (§ 45 Abs. 2 S. 1 StPO). Begründet ist er, wenn der Antragsteller (1) an der Einhaltung der Frist gehindert ist und (2) ihn diesbezüglich kein Verschulden trifft.Liegen die Voraussetzungen des § 45 StPO vor, so kann die Wiedereinsetzung sogar ohne ausdrücklichen Antrag von Amts wegen gewährt werden (§ 45 Abs. 2 S. 3 StPO).

3. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist stets unbegründet, wenn der Angeklagte erklärt, auf Rechtsmittel zu verzichten, da es dann an einer Verhinderung im Sinne von § 44 S. 1 StPO fehlt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Verhinderung iSd § 44 StPO liegt vor, wenn der Antragssteller die Frist einhalten wollte, sie aber nicht eingehalten hat. Hat der Angeklagte sich durch einen Rechtsmittelverzicht von der Einlegung abhalten lassen, so kann allerdings dennoch eine Verhinderung vorliegen, wenn der Rechtsmittelverzicht unwirksam ist.In solchen Fällen ist also inzident beim Wiedereinsetzungsantrag die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts zu prüfen.

4. Hat A wirksam den Rechtsmittelverzicht erklärt?

Nein, das trifft nicht zu!

Inhaltlich setzt die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts voraus, dass sich der Erlärende der Tragweite seiner Erklärung bewusst ist. Daran fehlt es jedenfalls, wenn der entgegen § 140 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StPO unverteidigte Angeklagte den Rechtsmittelverzicht in unmittelbarem Anschluss an die Urteilsverkündung erklärt hat.A nahm unwissentlich an der Verhandlung ohne den im Falle der Anklage wegen eines Verbrechens gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Beistand (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO) einer zugelassenen Verteidigerin teil. Ihr fehlte damit die rechtsstaatlich unverzichtbare Rechtsberatung. Da ihre Verteidigung insoweit übergebührlich eingeschränkt war, ist ihr Rechtsmittelverzicht unwirksam.

5. A kann somit einen begründeten Wiedereinsetzungsantrag stellen.

Ja!

Begründet ist der Wiedereinsetzungsantrag, wenn der Antragsteller (1) an der Einhaltung der Frist gehindert ist und (2) ihn diesbezüglich kein Verschulden trifft.Da davon ausging, dass ihr die Einlegung von Rechtsmitteln durch den erklärten Verzicht untersagt ist, war sie an der rechtzeitigen Revisionseinlegung gehindert. A trifft bezüglich des Hinderungsgrundes kein Verschulden, da sie über die fehlende Zulassung der V keine Kenntnis hatte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAUF

Maurice Fritz

12.3.2023, 13:11:08

Ich verstehe die Subsumtion nicht. Gehindert ist er, wenn er die Frist einlegen wollte, aber nicht eingelegt hat. Sagt man dann hier, dass er RM einlegen "wollte", weil er einem Irrtum hinsichtlich des wirksamen RM-Verzichts unterlag? I.E. kann ich den Fall nachvollziehen, aber die Begründung leuchtet mir nicht wirklich ein.

SE.

se.si.sc

12.3.2023, 20:20:53

Ich verstehe deine Verwirrung. Meines Erachtens sieht es schulbuchmäßig so aus: Wir prüfen die

Zulässigkeit und Begründetheit

der Revision. IRd Zulässigkeit des Revisionsantrags kommen wir zur Frist und müssten feststellen, dass die Einlegungsfrist des § 341 I StPO eindeutig abgelaufen ist. In der Folge müssen wir dann eine Wiedereinsetzung nach § 44 StPO prüfen, um die Frist noch zu "retten". Vorliegend müssten wir dann inzident auf die Unwirksamkeit des Verzichts nach § 302 StPO eingehen, weil wir nur mit der Unwirksamkeit des Verzichts aufgrund der Mitwirkung einer nicht mehr zugelassenen Verteidigerin begründen können, warum überhaupt eine Verhinderung beim Einhalten einer Frist vorliegt. Wäre der Verzicht nämlich wirksam, müsste man schon an einer solchen Verhinderung zweifeln, denn dabei handelt es sich gerade um eine UN-freiwillige Nichteinhaltung einer Frist (MüKo-StPO, § 344 Rn. 38). Wir kämen jedenfalls zur Unwirksamkeit des Verzichts. Der BGH begründet das in einer Entscheidung damit (BGH NStZ 2002, 379), dass in der ersten Instanz (dort LG) schon der nach § 140 I StPO zwingend vorgeschriebene Verteidiger "gefehlt" hat und der Verzicht deshalb unwirksam war. So kämen wir dann zur Wiedereinsetzung. Dort wäre in unserem Fall wohl anzusprechen, dass ein Irrtum hinsichtlich der sachlichen Rechtslage grds. keinen Wiedereinsetzungsantrag rechtfertigt. Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn, wie hier, eine nicht mehr zugelassene Verteidigerin an der (letztlich unwirksamen) Verzichtserklärung mitgewirkt hat (KK-StPO, § 44 Rn. 26 mit Verweis auf BGH NStZ 2002, 379). Das begründet der BGH mit einem "enttäuschten Vertrauen" des Angeklagten auf die Zulassung seines Verteidigers und den so zustande gekommenen Verzicht. Nach meinem Eindruck wird es da etwas schwammig, ich sehe jedenfalls nicht, dass dieses "enttäuschte Vertrauen" vom BGH ganz präzise an einem Kriterium der Wiedereinsetzungsprüfung festgemacht wird.


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