Einführungsfall: Formwirksamkeit eines Online-Strafantrags

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A beleidigt einen Mitarbeiter des Jobcenters. Dessen Dienstvorgesetzte erstattet daraufhin elektronisch Strafanzeige und Strafantrag bei der „Onlinewache“ der Polizei Sachsen. A wird nach einem halben Jahr erstinstanzlich verurteilt und will sich hiergegen mit der Revision wehren.

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Einordnung des Falls

Einführungsfall: Formwirksamkeit eines Online-Strafantrags

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Revision ist begründet, wenn das Urteil auf dem Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung, einer verfahrensrechtlichen oder einer sachlichrechtlichen Gesetzesverletzung beruht.

Ja, in der Tat!

Das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen steht einem Sachurteil über den betroffenen Streitgegenstand von vorneherein entgegen. Weiterhin kann die Revision nur auf eine Verletzung des Gesetzes gestützt werden (§ 337 Abs. 1 StPO). Dabei unterscheidet man verfahrensrechtliche (z.B. unterlassene Belehrung, § 52 Abs. 3 S. 1 StPO) und sachlichrechtliche Gesetzesverletzungen (z.B. Verurteilung wegen schwererem statt leichterem Delikt). In der StPO findet man lediglich den Begriff Verfahrenshindernis, weswegen in der Regel „Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung“ und „Verfahrenshindernis“ synonym verwendet werden.
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2. Das Revisionsgericht muss das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen nur prüfen, wenn A dies rügt (§ 344 Abs. 2 StPO).

Nein!

Das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen ist von den Gerichten und damit auch vom Revisionsgericht in jeder Phase des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Dies liegt darin begründet, dass die Verfahrensvoraussetzungen grundlegende Garantien eines rechtsstaatlichen Verfahrens darstellen (Art. 20 Abs. 3 GG).

3. Das Fehlen eines notwendigen Strafantrags stellt ein Verfahrenshindernis dar.

Genau, so ist das!

Ein notwendiger und nicht ersetzbarer Strafantrag stellt eine Verfahrensvoraussetzung dar. Der BGH und die Ausbildungsliteratur differenzieren üblicherweise zwischen absoluten und relativen Antragsdelikten. Absolute Antragsdelikte sind danach solche, bei denen ein Strafantrag für die Strafverfolgung zwingend erforderlich ist (§ 123 Abs. 2 StGB). Ein relatives Antragsdelikt liegt dagegen vor, wenn der Strafantrag durch ein besonderes öffentliches Interesse ersetzt werden kann (zB § 230 StGB). Die Terminologie bei den Antragsdelikten ist nicht einheitlich. In der Literatur wird zum Teil auch zwischen absoluten, bedingten und relativen Antragsdelikten differenziert. Mehr dazu findest Du: hier.

4. Kann für die Anklage der Beleidigung (§ 185 StGB) ein fehlender Strafantrag durch die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses ersetzt werden?

Nein, das trifft nicht zu!

Die einfache Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt und stellt damit ein absolutes Antragsdelikt dar (§ 194 Abs. 1 S. 1 StGB).

5. Konnte der Strafantrag hier nur durch den Verletzten gestellt werden?

Nein!

Grundsätzlich ist nur der Verletzte berechtigt, Strafantrag zu stellen. Auch andere Personen können antragsberechtigt sein, wenn dies gesetzlich bestimmt ist (§ 77 Abs. 1 StGB). So etwa dessen Angehörige (§ 194 Abs. 1 S. 6, § 77 Abs. 2 StGB) oder die Dienstvorgesetzte (§ 77a StBG). Der beleidigte Mitarbeiter war Amtsträger und die Dienstvorgesetzte entsprechend zur Antragsstellung ermächtigt, da die Beleidigung während der Dienstausübung stattfand (§ 77a Abs. 1 StGB i.V.m. § 194 Abs. 3 S. 1 StGB).

6. Nach hM hat die Dienstvorgesetzte formwirksam Strafantrag gestellt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei absoluten Antragsdelikten muss der Strafantrag schriftlich oder zu Protokoll gestellt werden (§ 158 Abs. 2 StPO). Die wohl hM lehnt die Zulassung eines elektronischen Antrags entsprechend des Gesetzeszwecks ab: (1) Zweck der Schriftform sei es, Klarheit über die Identität des Antragsstellers und seinen Verfolgungswillen zu erhalten. Über die IP-Adresse lasse sich aber nur der genutzte PC, nicht aber dessen Nutzer ermitteln. Auch im Freibeweis sei die Identität nicht zweifelsfrei festzustellen (Grund: kein persönlicher Kontakt mit der Polizei). (2) Weiterhin schütze das Formerfordernis den Antragssteller vor einem übereilten Strafantrag. Dieser Schutzzweck werde hier durch den Online-Antrag unterlaufen. Der BGH hat über die Zulässigkeit eines solchen Online-Strafantrags noch nicht entschieden. Er lehnte aber zumindest mit ähnlichen Argumenten die Stellung eines Antrags per E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur (§ 32a Abs. 3 StPO) ab.

7. Vertritt man, dass auch bei einem Online-Strafantrag Klarheit über die Identität des Antragsstellers erlangt werden kann, hat die Dienstvorgesetzte einen formwirksamen Strafantrag gestellt.

Ja, in der Tat!

In der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, Klarheit über die Identität des Antragsstellers könne auch bei einem Online-Strafantrag im Freibeweisverfahren erlangt werden. Zweifel gingen dann allerdings zugunsten des Beschuldigten.

8. Das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen hat stets die Einstellung des Verfahrens zur Folge.

Nein!

Ist das Fehlen der Verfahrensvoraussetzung nicht behebbar, ist das Urteil grundsätzlich aufzuheben und das Verfahren einzustellen (§ 354 Abs. 1 StPO). Anders ist dies, wenn die Verfahrensvoraussetzung noch geschaffen werden kann, zB bei sachlicher Unzuständigkeit des Ausgangsgerichts. Dann wird die Sache an das zuständige Gericht zurückverwiesen (§ 355 Abs. 1 StPO). Das Verfahren wird auch dann nicht eingestellt, wenn die Verfahrensvoraussetzung als sogenanntes Bestrafungsverbot einzuordnen ist, die Sache entscheidungsreif und der Angeklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme freizusprechen ist. In diesem Fall geht der Freispruch der Einstellung vor.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ALE

alexisa

24.11.2023, 08:18:19

Ist es richtig, dass hier das Fehlen der Verfahrensvoraussetzung nicht behebbar wäre und somit das Urteil im Rahmen der Revision auszuheben wäre (wenn man der h.M. folgt, dass der Online-Antrag nicht genügt)?

FI

Fischerino

10.12.2023, 13:33:13

ich denke hierfür fehlen noch ein paar Angaben im Sachverhalt. Theoretisch könnte der Strafantrag ja noch nachgeholt werden. Aber ansonsten dürfte Aufhebung + Einstellung zu tenorieren sein :)

JURAFU

jurafuchsles

3.1.2024, 10:27:43

Ich dachte der Strafantrag kann eben nicht im Verfahren nachgeholt werden (Anklagebehörde ist die StA und die Frist zur Stellung des Antrags sollte regelmäßig auch abgelaufen sein). Die StA sollte deswegen bei relativen

Antragsdelikte

n auch immer schauen, dass das öffentliche Interesse bejaht wird (auch falls der Antrag zurückgenommen wird).

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.3.2024, 11:04:13

Hallo zusammen, vielen Dank für die gute Nachfrage! In der Tat wäre es grundsätzlich denkbar, dass ein

fehlender Strafantrag

noch nachgeholt wird, aber eben nur, solange die dreimonatige

Antragsfrist

(§ 77b StGB) läuft. Da die Verhandlung in der Regel deutlich später terminiert wird, ist dies dann regelmäßig zu spät. Ohne fehlenden Strafantrag wird die

Staatsanwaltschaft

deswegen zumindest bei absoluten

Antragsdelikte

n von einer Anklageerhebung absehen bzw. das Gericht die Hauptverhandlung schon gar nicht eröffnen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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