Referendariat: Prozessrecht & Klausurtypen
Die Revisionsklausur im Assessorexamen
Begründetheit I: Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen
Strafantrag als Verfahrensvoraussetzung (Einführungsfall)
Strafantrag als Verfahrensvoraussetzung (Einführungsfall)
19. Februar 2025
11 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A wird wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt. Die Geschädigte G äußerte bei der Polizei, es sei ihr egal, ob A bestraft werde. Dabei bleibt sie bis zum Ablauf der Strafantragsfrist (§ 77b StGB). Staatsanwalt S klagte trotzdem an, weil „As Verhalten nicht ungestraft bleiben könne“.
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Einordnung des Falls
Strafantrag als Verfahrensvoraussetzung (Einführungsfall)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Revision ist begründet, wenn eine von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung fehlt oder das Urteil auf einer verfahrensrechtlichen oder einer sachlichrechtlichen Gesetzesverletzung beruht.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Revisionsgericht muss das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen nur prüfen, wenn A dies rügt (§ 344 Abs. 2 StPO).
Nein, das trifft nicht zu!
3. Das Fehlen eines notwendigen Strafantrags ist ein Verfahrenshindernis.
Ja!
4. Ein Strafantrag ist die bloße Mitteilung eines strafrechtlich möglicherweise relevanten Sachverhalts (§ 158 Abs. 1 StPO).
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Vorliegend hat G einen Strafantrag gestellt.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Kann für die Anklage der Beleidigung (§ 185 StGB) hier der fehlende Strafantrag durch die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses ersetzt werden (§ 194 Abs. 1 S. 1 StGB)?
Nein!
7. Das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen hat stets die Einstellung des Verfahrens zur Folge (vgl. §§ 354, 355 StPO).
Nein, das ist nicht der Fall!
8. A kann erfolgreich in Revision gehen.
Ja, in der Tat!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Mathis
7.11.2024, 23:15:24
In der Aufgabe heißt es: „Die Revision ist begründet, wenn das
Urteilauf dem Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung, einer verfahrensrechtlichen oder einer sachlichrechtlichen Gesetzesverletzung beruht.“ Das ist nicht ganz präzise, da es beim Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung auf ein Beruhen nicht ankommt.

dario.b
11.11.2024, 18:59:56
Sehe ich genauso 👍🏻 Sauberer wäre: Die Revision ist begründet, wenn ein (von Amts wegen zu berücksichtigendes) Verfahrenshindernis vorliegt oder das
Urteilauf einer verfahrensrechtlichen oder sachlich-rechtlichen Gesetzesverletzung beruht.
PhilippRhein
12.11.2024, 20:03:47
Die Kritik ist zwar berechtigt; jedoch wird zT auch vertreten, dass das angegriffene
Urteilauf dem Verfahrenshindernis beruhen muss (etwa Wolters/Janko JuS 2004, 684, 685). Die Auffassungen kommen aber natürlich nie zu unterschiedlichen Ergebnissen: Ein Sach
urteilberuht immer auf einer Rechtsverletzung, wenn ein Verfahrenshindernis bestand, da ein solches ja gerade der Entscheidung durch Sach
urteilentgegen steht (außer bei Bestrafungshindernis und Frei
spruchreife). In der didaktischen Literatur wird daher auch vertreten, ein Beruhen auch bei Verfahrenshindernissen kurz festzustellen (Sobota/Wipplinger, Die strafrechtliche Revision im Assessorexamen, 2. Aufl. 2021, Abschnitt B Kapitel 2 RN. 76).

Mathis
17.11.2024, 18:10:12
Ich verstehe den Gedanken, allerdings entspricht es nicht der Praxis der Revisionsgerichte, das Beruhen im Zusammenhang mit Verfahrenshindernissen zu erwähnen. Außerdem sehe ich die Gefahr, dass durch entsprechende Formulierungen in der Klausur der Eindruck erweckt wird, man gehe fälschlicherweise davon aus, dass das Beruhen auch im Hinblick auf etwaige Verfahrenshindernisse zum notwendigen Revisionsvorbringen gehöre.

Sebastian Schmitt
20.11.2024, 09:57:57
Hallo @[Mathis](208543), vielen Dank Dir für Deinen Hinweis und den anderen für die gute Diskussion. Nach meinem Eindruck entspricht es ebenfalls der (wohl) überwiegenden Praxis, bei den Verfahrensvoraussetzungen ein Beruhen nicht gesondert zu prüfen. Dass es anderslautende Stimmen gibt, darf Euch gerne darin bekräftigen, Euch für eine andere Variante zu entscheiden, insbesondere dann, wenn Ihr das in Eurem Gerichtsbezirk so beigebracht bekommt. Wir wollen uns für unsere Fälle allerdings aus pragmatischen Gründen der (wohl) Mehrheit anschließen und haben die Aufgabe daher entsprechend angepasst. Viele Gr´üße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

taury
12.1.2025, 14:28:18
Eine vom Kaiser-Dozenten im RevisionsR vorgeschlagene Formulierung, die ebenfalls die Trennung verdeutlicht: Die Revision ist begründet, wenn Verfahrenshindernisse bestehen oder Verfahrensvoraussetzungen fehlen; dies gilt gleichermaßen, wenn ein Verfahrensfehler oder ein sachlich-rechtlicher Mangel vorliegt und das
Urteilauf einem solchen Fehler beruht.
Simon
6.1.2025, 10:11:37
Kann es sein, dass in der Erklärung zu Frage 3 „bedingtes“ und „relatives“
Antragsdeliktvertauscht sind? Da steht, dass relative unter einer zusätzlichen Bedingung stünden und bedingte durch öff. Interesse ersetzt werden können.

Linne_Karlotta_
6.1.2025, 12:07:27
Hey Simon, danke für Deine Frage. Deine Verwirrung an dieser Stelle ist zwar nachvollziehbar, allerdings ist die Zuordnung in der Aufgabe richtig. Die Unterscheidung wird allerdings nur von einer Meinung in der Lit. getroffen, der BGH und andere Meinungen in der Lit. verwenden den Begriff des „relativen
Antragsdelikts“ als Überbegriff für alle Delikte, die eine „Mischung“ aus Antrags- und Offizialsdelikt sind. Ein bedingtes
Antragsdeliktist (nach einer Meinung in der Lit.) ein Delikt, das grundsätzlich nur verfolgt wird, wenn das Opfer einen Strafantrag stellt. Das bedeutet, ohne diesen Antrag wird die Tat generell nicht von Amts wegen verfolgt (Grundsatz). Die Bedingung ist also der Strafantrag (Beispiel: §§ 223 Abs. 1, 230 Abs. 1 StGB). Die Staatsanwaltschaft kann das Delikt ausnahmsweise auch ohne Antrag verfolgen, wenn sie ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht (§ 77 Abs. 1 StGB). Dies kann sie bei absoluten
Antragsdelikten nicht. Nach der genannten Meinung in der Literatur ist ein relatives
Antragsdeliktetwas spezifischer: Das Delikt wird zwar grundsätzlich von Amts wegen verfolgt, aber unter bestimmten Voraussetzungen ist ein Strafantrag des Opfers erforderlich Z.B.: Der Diebstahl wird grundsätzlich ohne Strafantrag verfolgt, § 242 StGB. In der Beziehung zu einem Familienangehörigen gilt dies allerdings nicht: Hier ist ein Antrag nach §
247 StGBerforderlich. „Relativ“ ist also in Bezug auf die konkreten Umstände des Delikts gemeint. Die Unterscheidung ist aber – wie bereits in der Aufgabe angeführt – von geringer Bedeutung. Gerade auch, weil der BGH die
Antragsdeliktevor allem („grob“) nach absolut und relativ unterscheidet (und unter „relativ“ alle
Antragsdeliktefasst, die nicht „absolut“ sind), reicht es vollkommen aus, wenn Du Dir ebenfalls nur diese beiden Kategorien merkst. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

2cool4lawschool
3.2.2025, 09:17:52
Ich frage mich eh wieso zwischen absolut, relativ und bedingt differenziert wird, wenn die Rspr. (für uns Refs relevant) nur zwischen absolut und relativ unterscheidet. Aber so, wie es in Aufgabe 3 steht, ist es nach der Lit. korrekt.
Relative Antragsdelikteerfordern zusätzliche Bedingungen, zB ein Näheverhältnis zum Verletzten, wie beim §
247 StGB. Bei bedingten
Antragsdelikten kann der fehlende Strafantrag durch das öffentl. Interesse ersetzt werden... So fein untergliedert es der BGH aber eben nicht...