Strafantrag als Verfahrensvoraussetzung (Einführungsfall)

19. Februar 2025

11 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt. Die Geschädigte G äußerte bei der Polizei, es sei ihr egal, ob A bestraft werde. Dabei bleibt sie bis zum Ablauf der Strafantragsfrist77b StGB). Staatsanwalt S klagte trotzdem an, weil „As Verhalten nicht ungestraft bleiben könne“.

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Einordnung des Falls

Strafantrag als Verfahrensvoraussetzung (Einführungsfall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Revision ist begründet, wenn eine von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung fehlt oder das Urteil auf einer verfahrensrechtlichen oder einer sachlichrechtlichen Gesetzesverletzung beruht.

Genau, so ist das!

Das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen steht einem Sachurteil über den betroffenen Streitgegenstand von vorneherein entgegen. Weiterhin kann die Revision nur auf eine Verletzung des Gesetzes gestützt werden (§ 337 Abs. 1 StPO). Dabei unterscheidet man verfahrensrechtliche (z.B. unterlassene Belehrung, § 52 Abs. 3 S. 1 StPO) und sachlichrechtliche Gesetzesverletzungen (z.B. Verurteilung wegen schwererem statt leichterem Delikt). In der StPO findet man lediglich den Begriff Verfahrenshindernis, weswegen in der Regel „Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung“ und „Verfahrenshindernis“ synonym verwendet werden.
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2. Das Revisionsgericht muss das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen nur prüfen, wenn A dies rügt (§ 344 Abs. 2 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen ist von den Gerichten und damit auch vom Revisionsgericht in jeder Phase des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Dies liegt darin begründet, dass die Verfahrensvoraussetzungen grundlegende Garantien eines rechtsstaatlichen Verfahrens darstellen (Art. 20 Abs. 3 GG).

3. Das Fehlen eines notwendigen Strafantrags ist ein Verfahrenshindernis.

Ja!

Ein notwendiger, nicht ersetzbarer Strafantrag stellt eine Verfahrensvoraussetzung dar. Es wird zwischen absoluten, relativen und bedingten Antragsdelikten unterschieden. Absolute Antragsdelikte sind solche, bei denen stets ein Strafantrag erforderlich ist (zB § 123 Abs. 2 StGB). Bei relativen Antragsdelikten besteht ein Strafantragserfordernis nur, wenn bestimmte weitere Umstände, etwa eine Nähebeziehung zum Verletzten, hinzutreten (z.B. § 247 StGB). Bedingte Antragsdelikte sind solche, bei denen der Strafantrag durch die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft ersetzt werden kann (z.B. § 230 StGB). Teils wird nur danach differenziert, ob der Strafantrag durch die Bejahung des öffentlichen Interesses ersetzt werden kann („relatives Antragsdelikt“) oder nicht („absolutes Antragsdelikt“). Die Terminologie ist hier uneinheitlich. Am Ergebnis ändert das nichts.

4. Ein Strafantrag ist die bloße Mitteilung eines strafrechtlich möglicherweise relevanten Sachverhalts (§ 158 Abs. 1 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Strafantrag ist das unmissverständliche Begehren des Antragsberechtigten (§§ 77 f. StGB), wegen einer bestimmten Tat einen oder mehrere Täter strafrechtlich zu verfolgen. Die prozessuale Tat (§ 264) muss dabei ausreichend gekennzeichnet sein. Eine Strafanzeige ist dagegen definiert als die Mitteilung eines angenommenen Tatverdachtsverbunden mit der Anheimgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.

5. Vorliegend hat G einen Strafantrag gestellt.

Nein, das trifft nicht zu!

Für einen Strafantrag genügt es, dass in ihm das Begehren des Antragsberechtigten, wegen einer bestimmten Tat einen oder mehrere Täter strafrechtlich zu verfolgen, unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird. Die prozessuale Tat (§ 264) muss ausreichend gekennzeichnet sein.G hat hier gerade nicht das Begehren nach Strafverfolgung geäußert, sondern ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es ihr egal ist, ob A verfolgt wird, oder nicht. Ein Strafantrag liegt somit nicht vor.

6. Kann für die Anklage der Beleidigung (§ 185 StGB) hier der fehlende Strafantrag durch die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses ersetzt werden (§ 194 Abs. 1 S. 1 StGB)?

Nein!

Die einfache Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt und stellt damit ein absolutes Antragsdelikt dar (§ 194 Abs. 1 S. 1 StGB).Der Strafantrag kann hier also nicht durch die Bejahung des öffentlichen Interesses ersetzt werden.

7. Das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen hat stets die Einstellung des Verfahrens zur Folge (vgl. §§ 354, 355 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ist das Fehlen der Verfahrensvoraussetzung nicht behebbar, ist das Urteil grundsätzlich aufzuheben und das Verfahren einzustellen (§ 354 Abs. 1 StPO). Anders ist dies, wenn die Verfahrensvoraussetzung noch geschaffen werden kann, z.B. bei sachlicher Unzuständigkeit des Ausgangsgerichts (§ 6 StPO). Dann wird die Sache an das zuständige Gericht zurückverwiesen (§ 355 Abs. 1 StPO). Das Verfahren wird auch dann nicht eingestellt, wenn die Verfahrensvoraussetzung als sogenanntes Bestrafungsverbot einzuordnen ist, die Sache entscheidungsreif und der Angeklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme freizusprechen ist. In diesem Fall geht der Freispruch der Einstellung vor.

8. A kann erfolgreich in Revision gehen.

Ja, in der Tat!

A kann erfolgreich in Revision gehen, da vorliegend die Verfahrensvoraussetzung des wirksamen Strafantrags fehlt und diese auch nicht durch die Bejahung des öffentlichen Interesses ersetzt werden kann. Da das Fehlen dieser Verfahrensvoraussetzung hier nicht mehr behebbar, ist das Urteil aufzuheben und das Verfahren einzustellen (§ 354 Abs. 1 StPO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Mathis

Mathis

7.11.2024, 23:15:24

In der Aufgabe heißt es: „Die Revision ist begründet, wenn das

Urteil

auf dem Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung, einer verfahrensrechtlichen oder einer sachlichrechtlichen Gesetzesverletzung beruht.“ Das ist nicht ganz präzise, da es beim Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung auf ein Beruhen nicht ankommt.

dario.b

dario.b

11.11.2024, 18:59:56

Sehe ich genauso 👍🏻 Sauberer wäre: Die Revision ist begründet, wenn ein (von Amts wegen zu berücksichtigendes) Verfahrenshindernis vorliegt oder das

Urteil

auf einer verfahrensrechtlichen oder sachlich-rechtlichen Gesetzesverletzung beruht.

PH

PhilippRhein

12.11.2024, 20:03:47

Die Kritik ist zwar berechtigt; jedoch wird zT auch vertreten, dass das angegriffene

Urteil

auf dem Verfahrenshindernis beruhen muss (etwa Wolters/Janko JuS 2004, 684, 685). Die Auffassungen kommen aber natürlich nie zu unterschiedlichen Ergebnissen: Ein Sach

urteil

beruht immer auf einer Rechtsverletzung, wenn ein Verfahrenshindernis bestand, da ein solches ja gerade der Entscheidung durch Sach

urteil

entgegen steht (außer bei Bestrafungshindernis und Frei

spruchreife

). In der didaktischen Literatur wird daher auch vertreten, ein Beruhen auch bei Verfahrenshindernissen kurz festzustellen (Sobota/Wipplinger, Die strafrechtliche Revision im Assessorexamen, 2. Aufl. 2021, Abschnitt B Kapitel 2 RN. 76).

Mathis

Mathis

17.11.2024, 18:10:12

Ich verstehe den Gedanken, allerdings entspricht es nicht der Praxis der Revisionsgerichte, das Beruhen im Zusammenhang mit Verfahrenshindernissen zu erwähnen. Außerdem sehe ich die Gefahr, dass durch entsprechende Formulierungen in der Klausur der Eindruck erweckt wird, man gehe fälschlicherweise davon aus, dass das Beruhen auch im Hinblick auf etwaige Verfahrenshindernisse zum notwendigen Revisionsvorbringen gehöre.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

20.11.2024, 09:57:57

Hallo @[Mathis](208543), vielen Dank Dir für Deinen Hinweis und den anderen für die gute Diskussion. Nach meinem Eindruck entspricht es ebenfalls der (wohl) überwiegenden Praxis, bei den Verfahrensvoraussetzungen ein Beruhen nicht gesondert zu prüfen. Dass es anderslautende Stimmen gibt, darf Euch gerne darin bekräftigen, Euch für eine andere Variante zu entscheiden, insbesondere dann, wenn Ihr das in Eurem Gerichtsbezirk so beigebracht bekommt. Wir wollen uns für unsere Fälle allerdings aus pragmatischen Gründen der (wohl) Mehrheit anschließen und haben die Aufgabe daher entsprechend angepasst. Viele Gr´üße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

taury

taury

12.1.2025, 14:28:18

Eine vom Kaiser-Dozenten im RevisionsR vorgeschlagene Formulierung, die ebenfalls die Trennung verdeutlicht: Die Revision ist begründet, wenn Verfahrenshindernisse bestehen oder Verfahrensvoraussetzungen fehlen; dies gilt gleichermaßen, wenn ein Verfahrensfehler oder ein sachlich-rechtlicher Mangel vorliegt und das

Urteil

auf einem solchen Fehler beruht.

SI

Simon

6.1.2025, 10:11:37

Kann es sein, dass in der Erklärung zu Frage 3 „bedingtes“ und „relatives“

Antragsdelikt

vertauscht sind? Da steht, dass relative unter einer zusätzlichen Bedingung stünden und bedingte durch öff. Interesse ersetzt werden können.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.1.2025, 12:07:27

Hey Simon, danke für Deine Frage. Deine Verwirrung an dieser Stelle ist zwar nachvollziehbar, allerdings ist die Zuordnung in der Aufgabe richtig. Die Unterscheidung wird allerdings nur von einer Meinung in der Lit. getroffen, der BGH und andere Meinungen in der Lit. verwenden den Begriff des „relativen

Antragsdelikt

s“ als Überbegriff für alle Delikte, die eine „Mischung“ aus Antrags- und Offizialsdelikt sind. Ein bedingtes

Antragsdelikt

ist (nach einer Meinung in der Lit.) ein Delikt, das grundsätzlich nur verfolgt wird, wenn das Opfer einen Strafantrag stellt. Das bedeutet, ohne diesen Antrag wird die Tat generell nicht von Amts wegen verfolgt (Grundsatz). Die Bedingung ist also der Strafantrag (Beispiel: §§ 223 Abs. 1, 230 Abs. 1 StGB). Die Staatsanwaltschaft kann das Delikt ausnahmsweise auch ohne Antrag verfolgen, wenn sie ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht (§ 77 Abs. 1 StGB). Dies kann sie bei absoluten

Antragsdelikte

n nicht. Nach der genannten Meinung in der Literatur ist ein relatives

Antragsdelikt

etwas spezifischer: Das Delikt wird zwar grundsätzlich von Amts wegen verfolgt, aber unter bestimmten Voraussetzungen ist ein Strafantrag des Opfers erforderlich Z.B.: Der Diebstahl wird grundsätzlich ohne Strafantrag verfolgt, § 242 StGB. In der Beziehung zu einem Familienangehörigen gilt dies allerdings nicht: Hier ist ein Antrag nach §

247 StGB

erforderlich. „Relativ“ ist also in Bezug auf die konkreten Umstände des Delikts gemeint. Die Unterscheidung ist aber – wie bereits in der Aufgabe angeführt – von geringer Bedeutung. Gerade auch, weil der BGH die

Antragsdelikte

vor allem („grob“) nach absolut und relativ unterscheidet (und unter „relativ“ alle

Antragsdelikte

fasst, die nicht „absolut“ sind), reicht es vollkommen aus, wenn Du Dir ebenfalls nur diese beiden Kategorien merkst. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

2cool4lawschool

2cool4lawschool

3.2.2025, 09:17:52

Ich frage mich eh wieso zwischen absolut, relativ und bedingt differenziert wird, wenn die Rspr. (für uns Refs relevant) nur zwischen absolut und relativ unterscheidet. Aber so, wie es in Aufgabe 3 steht, ist es nach der Lit. korrekt.

Relative Antragsdelikte

erfordern zusätzliche Bedingungen, zB ein Näheverhältnis zum Verletzten, wie beim §

247 StGB

. Bei bedingten

Antragsdelikte

n kann der fehlende Strafantrag durch das öffentl. Interesse ersetzt werden... So fein untergliedert es der BGH aber eben nicht...


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