Überlange Verfahrensdauer, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

12. April 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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A wird wegen Beleidigung (§ 185 StGB) zu einer Geldstrafe (30 Tagessätze) verurteilt. Von Anklage bis Eröffnungsbeschluss vergingen fast 20 Monate, da die mit Arbeit überlastete Richterin R vergaß, über die Anklage zu entscheiden. A litt psychisch unter der langen Unsicherheit und legt Revision ein.

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Einordnung des Falls

Überlange Verfahrensdauer, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im Strafprozessrecht gilt das Beschleunigungsgebot, das sich aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ergibt.

Genau, so ist das!

Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK normiert das Recht einer jeden Person darauf, dass über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (Beschleunigungsgebot). Die Angemessenheit der Frist bestimmt sich nach dem Einzelfall. Eine absolute Grenze gibt es nicht. Liegt eine Verletzung des Beschleunigungsverbots vor, begründet dies eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung. Eine solche kann in jedem Abschnitt des Strafverfahrens eintreten.
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2. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung führt immer zu einem Verfahrenshindernis.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Strafvollstreckungslösung des BGH wird im Urteil nach dem Rechtsgedanken der Anrechnung von Freiheitsentzug (§ 51 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 2 StGB) ausgesprochen, dass ein Teil der Strafe als vollstreckt gilt. Nur ausnahmsweise liegt ein Verfahrenshindernis vor, wenn eine angemessene Kompensation im Rahmen der Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt. Früher vertrat der BGH eine reine Strafzumessungslösung, wonach die Verfahrensverzögerung zu einer milderen Strafe führte. Diese trifft aber dort auf ihre Grenzen, wo die Strafe den zwingenden gesetzlichen Strafrahmen unterschreiten müsste. Eine solche Unterschreitung aus übergesetzlichen Gründen steht der Bindung an die gesetzlichen Vorschriften zur Strafzumessung (Art. 20 Abs. 3 GG) entgegen.

3. Vorliegend ist die Verfahrensverzögerung so umfassend, dass ein Verfahrenshindernis vorlag.

Ja!

Ein Verfahrenshindernis liegt vor, wenn angesichts der vorgeworfenen Straftat, der Gesamtdauer des Verfahrens, des Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes und der mit der Verzögerung verbundenen Belastungen eine Fortsetzung des Verfahrens nicht in Betracht kommt. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Die Verzögerung beträgt fast zwei Jahre, bei einer Strafe am untersten Rand des Rechtsfolgensystems und sie trat allein aufgrund justizinterner Faktoren ein. Die Verzögerung hatte psychische Leiden des A zur Folge. Eine Verfahrensfortsetzung kann A schlechthin nicht mehr zugemutet werden. Die Kommentierung im Meyer-Goßner findet sich etwas versteckt im Anhang Nr. 4, Art. 6 EMRK RnNr. 7a ff.
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