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A ist alleinerziehender Vater und hat wenig Geld. Er will sich die Kosten für den ÖPNV sparen. Deswegen fährt er mehrmals bewusst ohne Ticket mit Bus und Bahn.

Einordnung des Falls

Beförderungserschleichung - Debatte um Ersatzfreiheitsstrafen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat A nach Ansicht der Rspr. den Tatbestand der Beförderungserschleichung erfüllt, indem er mehrmals ohne Ticket mit Bus und Bahn fuhr (§ 265a Abs. 1 Var. 3 StGB)?

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Ja!

A müsste dafür objektiv zunächst (1) die Beförderung durch ein Verkehrsmittel, (2) welche entgeltlich ist, (3) erschlichen haben. Subjektiv müsste er vorsätzlich und mit der Absicht gehandelt haben, das Entgelt nicht zu entrichten.Bus und Bahn befördern Personen entgeltlich. A hat beides ohne Ticket genutzt und sich dabei mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgeben, also die Leistung erschlichen. Ihm kam es dabei darauf an das Entgelt nicht zu entrichten.

2. A kann für die Tat nur mit einer Geldstrafe belegt werden.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Gemäß § 265a Abs. 1 StGB kann das Erschleichen von Leistungen mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden. In der Praxis werden beim einfachen „Schwarzfahren” jedoch überwiegend Geldstrafen verhängt.Beachte, dass bei geringwertigen Fahrkartenpreisen die Tat zudem nur auf Antrag verfolgt wird (§ 265a Abs. 3 iVm § 248a StGB).

3. Die Schwere der Schuld wird bei einer Geldstrafe durch die Höhe des zu zahlenden Gesamtbetrages ausgedrückt (§ 40 Abs. 1 StGB).

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Nein, das trifft nicht zu!

Die Schwere der Schuld des Täters ergibt sich allein aus der Anzahl der verhängten Tagessätze (§ 40 Abs. 1 S. 1 StGB). Die Höhe eines einzelnen Tagessatzes bestimmt sich dann nach den persönlichen und wirtschaftlichen Umstände des Täters an. Maßgeblich ist hier vor allem das Nettoeinkommen, das ihm pro Tag zur Verfügung steht (§ 40 Abs. 2 StGB). In den Urteilsspruch werden dann Anzahl und Höhe der Tagessätze aufgenommen.Hat ein alleinstehender Täter etwa ein Nettoeinkommen von €3000 im Monat, bedeutet das ein Nettoeinkommen von €100 pro Tag. Bei einer Verurteilung zu 20 Tagessätzen, ergäbe das eine Geldstrafe von €2000 (20x €100). Hätte der Täter nur ein Nettoeinkomen von €900 läge die Tagessatzhöhe bei €30. Die verhängte Geldstrafe würde dann insgesamt €600 (20x €30) betragen, obwohl der Schuldvorwurf identisch ist.Vertiefte Kenntnisse hierzu werden erst im zweiten Examen erwartet.

4. Wenn A zu einer Geldstrafe verurteilt wird und diese nicht bezahlen kann, muss er unter Umständen trotzdem ins Gefängnis (§ 43 StGB).

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Ja!

In der Praxis kommt es häufig vor, dass Verurteilte kein Geld haben, um ihre Strafe zu bezahlen. Für diese Fälle sieht § 43 StGB eine so genannte Ersatzfreiheitsstrafe vor. Für jeden Tagessatz kommt der Täter dann einen Tag in Haft.A könnte etwa zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen á € 15 verurteilt werden. Kann er diese nicht bezahlen und wird stattdessen eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, so muss er 50 Tage in Haft.Am 22. Juni 2023 hat der Bundestag beschlossen, dass künftig zwei Tagessätze einem Tag in Haft entsprechen sollen. Zudem soll das Existenzminimum unangetastet bleiben. Die Änderung tritt zum 1. Februar 2024 in Kraft.

5. Die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe für die Beförderungserschleichung ist unumstritten.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Ersatzfreiheitsstrafen für Beförderungerschleichung werden von vielen Akteuren in Politik und Gesellschaft kritisiert. Sie führen dazu, dass Menschen für Taten mit vergleichsweise geringem Schaden in Haft kommen. Die Haft kann für die Betroffenen sehr schädlich sein. Diese Tage im Gefängnis kosten den Staat zudem zwischen € 98 und € 188 pro Tag. Die harten Konsequenzen treffen dabei fast ausschließlich sehr arme Menschen. Dies hat auch der Journalist und Satiriker Jan Böhmermann hier sehr pointiert dargestellt.Die Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag vorgenommen das Thema anzugehen. Neben der bereits beschlossenen Kürzung der Ersatzfreiheitsstrafe ab 1. Februar 2024 sind weitere Reformen in dieser Legislaturperiode aber eher unwahrscheinlich.

6. Die prinzipielle Strafbarkeit der Beförderungserschleichung ist hingegen unstrittig.

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Nein, das trifft nicht zu!

Auch ob die Beförderungserschleichung überhaupt strafbar sein soll, wird von vielen hinterfragt. Die Länder Berlin und Thüringen haben deswegen schon 2019 eine Initiative im Bundesrat eingebracht. Demnach sollte die Beförderungserschleichung wegen des geringen Unwertgehalts der Tat künftig nur eine Ordnungswidrigkeit sein. Der Vorschlag konnte sich damals nicht durchsetzen.Auch die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit wird teils kritisch gesehen. Zwar entfiele so das Stigma der Straftat. Aber auch, wenn ein Bußgeld nicht bezahlt wird, droht unter Umständen Erzwingungshaft (§ 96 OWiG). Diese würde erneut in der Regel nur sehr arme Menschen treffen.Für die Klausuren im 1. Examen spielen Strafzumessung und kriminalpolitische Erwägungen in der Regel keine Rolle. Aktuelle rechtspolitische Debatten können aber immer in der mündlichen Prüfung dran kommen und sind auch für die juristische Allgemeinbildung wichtig. Spätestens im Sitzungsdienst im Referendariat ist man dann aber ganz praktisch mit dieser Problematik konfrontiert.

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