Drittwirkung einer fehlenden Belehrung

12. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B und M sind eines gemeinschaftlichen Diebstahls verdächtig. B wird vor ihrer polizeilichen Vernehmung nicht über ihr Schweigerecht belehrt. B räumt die gemeinschaftliche Tatbegehung umfassend ein.

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Einordnung des Falls

Drittwirkung einer fehlenden Belehrung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da B nicht über ihr Schweigerecht belehrt wurde (§§ 163a Abs.4 S.2, 136 Abs.1 S.2 StPO), sind ihre Aussagen im späteren Prozess nicht gegen sie verwertbar.

Ja, in der Tat!

Die Beschuldigte ist vor der polizeilichen Vernehmung über ihr Schweigerecht zu belehren (§§ 163a Abs.4 S.2, 136 Abs.1 S.2 StPO). Nach der Rspr. stellt die fehlende Belehrung über das Schweigerecht einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß dar. Das Interesse der Beschuldigten am Schutz ihrer verfahrensrechtlichen Stellung überwiegt dabei regelmäßig das Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung der Straftaten und Funktionieren der Strafrechtspflege. Der Verstoß führt deshalb grundsätzlich zu einem Beweisverwertungsverbot. Da Bs Beschuldigtenrechte in der Abwägung überwiegen, sind die Aussagen der B im Prozess nicht gegen sie verwertbar (Beweisverwertungsverbot).Dies schließt insbesondere auch die Einführung der Aussage durch die Befragung der Vernehmungsbeamten aus.
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2. Da die Angaben der B unter Verletzung des Belehrungsgebots zustande gekommen sind, dürfen sie auch nicht gegen die weitere Beschuldigte M verwertet werden.

Nein!

Die Angaben einer Mitbeschuldigten zur Tat, die unter Verletzung des Belehrungsgebots (§§ 163a Abs.3, 136 Abs.1 StPO) zustande gekommen sind, dürfen gegen die andere Beschuldigte ohne Weiteres verwertet werden. Denn die Regelung des § 136 StPO dient ausschließlich dem Schutz der jeweiligen Beschuldigten und entfaltet keine Drittwirkung (Rechtskreistheorie). Die Interessen der M werden durch die Verletzung des Belehrungsgebots gegenüber der B nicht berührt, da § 136 StPO nur dem Interesse der B selbst dient. Die Angaben der B zur Tat dürfen folglich gegen M verwertet werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JURA

juraprinzessin123

9.8.2023, 18:27:39

Hier geht es um das Schlagwort „Rechtskreistheorie“, richtig? Am besten auch kurz so bezeichnen 🙃 viele Korrektoren sind sehr Schlagwortorientiert

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.8.2023, 09:49:47

Hallo jur

apr

inzession, vielen Dank für den Hinweis. Wir haben das Schlagwort hier noch ergänzt! Wichtig ist aber letztlich für das eigene Verständnis, dass die Rechtskreistheorie letztlich nur ein besonderer Unterfall der von der Rechtsprechung verwendeten

Abwägungslehre

ist. Die Rechtskreistheorie betrifft

Beweiserhebungsverbot

e, die ausschließliche dem Schutz des Staates (§§ 54, 96 StPO) oder dritter Personen (§§ 55, 81c StPO) dienen. Da hier keine schützenswerte Position des Angeklagten betroffen ist, fällt die Abwägung in diesen Fällen stets zugunsten des staatlichen Verfolgungsinteresses aus, sodass hieraus kein Beweisverwertungsverbot folgt (mehr dazu: Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Einl. RdNr. 55a). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BOB9

Bob99

15.10.2023, 18:06:46

In der Antwort kommt ein „grundsätzlich“ vor. Gern würde ich das dann auch in der Frage sehen, weil man ja auch gerne mal von Fangfragen ausgeht. Außerdem stehen in dem Text an einer Stelle zwei „sind“‘s hintereinander.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.10.2023, 14:07:36

Hallo Bob99, vielen Dank für die Nachfrage und den Hinweis. Im abstrakten Maßstab haben wir ein grundsätzlich eingefügt, da in bestimmten Ausnahmefällen (zB bei Kennntis des Beschuldigten über sein Schweigerecht) aus der fehlenden Belehrung kein Beweisverwertungsverbot folgt. In der Frage ging es dagegen um den konkreten Beispielsfall. Da hier keine Anhaltspunkte für eine Ausnahme vorliegen, folgt aus der fehlenden Belehrung der B, dass ihre Aussage im Prozess nicht verwertbar ist, um als Beweismittel gegen sie eingesetzt zu werden. Deswegen bedarf es hier des Zusatzes grundsätzlich nicht :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BOB9

Bob99

16.10.2023, 14:31:00

Alles klar, danke!

glaenzejenseitsvonnullundachtzehn

glaenzejenseitsvonnullundachtzehn

3.4.2024, 17:33:55

Wie wäre es denn, wenn beide Personen nicht über ihr Schweigerecht belehrt wurden und daraufhin umfassend aussagen? Dann wäre eine Verurteilung beider unprobelmatisch aufgrund der Aussage der jeweils anderen möglich? Gibt es hierbei dann eine Ausnahme, zB weil die Polizei vorsätzlich nicht belehrt in der Hoffnung, dass beide Personen zunächst aussagen werden?

PH

philosophe

6.5.2024, 17:15:25

Das habe ich mich auch gefragt. 🤔

Nocebo

Nocebo

17.5.2024, 09:40:46

Vermutlich ließe sich die allgemeine Regel, dass willkürliche Verstöße besonders schwer wiegen, anwenden?

Felix Finito

Felix Finito

7.6.2024, 12:05:18

In der Abwägung des Strafverfolgungsinteresses gegen das Interesse des Beschuldigten an der Bewahrung seiner

Rechtsgüter

ist die Art des Verschuldens hinsichtlich des Verfahrensverstoßes ein wichtiges Kriterium. Das BVerfG sagt dazu: "Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (zB. Beschluss vom 20. Mai 2011 - 2 BvR 2072/10). Wenn also in einem Fall wie hier erwiesenermaßen beide Beschuldigten bewusst nicht über ihr Schweigerecht belehrt wurden,muss dies zu einem Beweisverwertungsverbot der Aussagen auch gegenüber dem jeweils anderen Mitbeschuldigten führen.


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