Referendariat

Die StA-Klausur im Assessorexamen

Das materielle Gutachten

Fortwirkung des Verwertungsverbots bei unterlassener qualifizierter Belehrung?

Fortwirkung des Verwertungsverbots bei unterlassener qualifizierter Belehrung?

23. November 2024

4,9(6.678 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B wurde nicht über sein Schweigerecht belehrt. Vor einer erneuten Vernehmung wird B nun über sein Schweigerecht belehrt. B wiederholt seine früher gemachten selbstlastenden Angaben und ergänzt diese sogar noch weiter.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Fortwirkung des Verwertungsverbots bei unterlassener qualifizierter Belehrung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht in der ersten Vernehmung kann auch zur Unverwertbarkeit einer späteren Aussage in der Folgevernehmung führen (Fortwirkung).

Genau, so ist das!

Das Beweisverwertungsverbot gilt zunächst nur für die unmittelbar durch den Verfahrensfehler herbeigeführten Erkenntnisse aus der ersten Vernehmung. Es ist jedoch anerkannt, dass der Verstoß gegen die Belehrungspflicht in der ersten Vernehmung auch zur Unverwertbarkeit einer späteren Aussage führen kann. Nämlich dann, wenn der Verfahrensfehler bei der weiteren Vernehmung insoweit fortwirkt, dass der Beschuldigte glaubt, aufgrund seiner früheren, unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs.1 S.2 StPO zustande gekommenen selbstbelastenden Angaben ohnehin bereits überführt und damit an diese gebunden zu sein.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Um eine solche Fortwirkung zu verhindern, muss der Beschuldigte zu Beginn der Folgevernehmung qualifiziert belehrt werden.

Ja, in der Tat!

Das Verwertungsverbot steht jedenfalls dann nicht der Verwertung der Erkenntnisse aus einer Folgevernehmung entgegen, wenn dem Beschuldigten vor seiner erneuten Vernehmung eine qualifizierte Belehrung erteilt wurde (dann keine Fortwirkung). Eine qualifizierte Belehrung liegt vor, wenn der Beschuldigte darauf hingewiesen wird, dass die Angaben aus der früheren Vernehmung wegen des vorangegangen Verfahrensverstoßes nicht verwertet werden dürfen. Denn dadurch wird der Beschuldigte vor dem Irrtum bewahrt, aufgrund seiner früheren Angaben ohnehin schon überführt und daher an diese Angaben gebunden zu sein.

3. Das Unterlassen der qualifizierten Belehrung führt somit automatisch zur Unverwertbarkeit der Angaben des B in der Folgevernehmung.

Nein!

Wenn eine qualifizierte Belehrung unterblieben ist, folgt daraus nicht automatisch die Unverwertbarkeit der Angaben des Beschuldigten in der erneuten Vernehmung. Vielmehr hängt die Verwertbarkeit von einer gebotenen Einzelfallabwägung statt (Interesse an der Sachaufklärung und am Funktionieren der Strafrechtspflege vs. Gewicht des Verfahrensverstoßes). Dem Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung wird dabei ein geringeres Gewicht als dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 136 Abs.1 S.2 StPO beigemessen. In die Abwägung sind auch ggf. bestehende Anhaltspunkte für die bewusste Umgehung der Belehrungspflicht durch den vernehmenden Beamten (Willkür) einzustellen, die wiederum für eine Fortwirkung sprechen würden.

4. Können Bs Angaben in der zweiten Vernehmung verwertet werden, obwohl er nicht qualifiziert belehrt wurde?

Genau, so ist das!

In der Folgevernehmung wurde die Belehrung über Bs Schweigerecht nachgeholt (§§ 163a Abs.4, 136 Abs.1 StPO). Eine qualifizierte Belehrung über die Unverwertbarkeit der bisherigen Aussagen ist jedoch nicht erfolgt. Allerdings folgt daraus nicht automatisch die Unverwertbarkeit der neuen Angaben des B. Im Rahmen der Abwägung ist vielmehr zu berücksichtigten, dass der Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung ein geringes Gewicht hat. Außerdem liegt eine Fortwirkung des Verwertungsverbots fern, da B in der erneuten Vernehmung über die bloße Wiederholung oder pauschale Bestätigung hinausgehende Angaben zur Sache macht. Aufgrund dieses geringen Gewichts des Verfahrensverstoßes unterliegt das Interesse des B am Schutz seiner verfahrensrechtlichen Stellung. Folglich sind die selbstbelastenden Angaben des B aus der Folgevernehmung verwertbar.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

M Schiersch

M Schiersch

9.10.2023, 10:51:01

Ist der Fall in Bezug auf die Frage ob die fehlende

qualifizierte Belehrung

zu einem Beweisverwertungsverbot führt nicht etwas missverständlich? Die Wortgleiche Wiederholung des zuvor Gesagten ist ein starkes Indiz dafür, dass der Beschuldigte der Meinung ist, von seinen früheren Angaben nicht mehr abrücken zu können. Zumindest sollte klargestellt werden, dass das hier nicht der Fall ist.

REFNRW8

RefNRW8

30.10.2023, 16:28:34

Habe ich auch so verstanden, allerdings spricht m.E. gerade die Information, dass der Beschuldigte darüber hinausgehende Angaben macht dafür, dass er auch ausgesagt hätte, wenn er qualifiziert belehrt worden wäre.

Kind als Schaden

Kind als Schaden

31.5.2024, 00:28:33

Das Ergebnis halte ich ebenfalls für nicht nachvollziehbar.

LI

lisi99

1.7.2024, 21:28:55

Kann der Beschuldigte auch einfach nur nach der qualifizierten Belehrung bestätigen, d.h. sagen, dass er bei dem vorangegangen bleibt? Oder bestünde dann trotzdem ein Verwertungsverbot?

RO80

Ro80t59

22.7.2024, 12:49:18

Wenn er explizit auf die vorherige Vernehmung Bezug nimmt nach einer qualifizierten Belehrung, wäre das meines Erachtens ein rechtmäßiges Zu-Eigen-Machen, dessen Erklärungsinhalt durch den Inhalt der ersten Vernehmung ersetzt wird. Kann in der Sache eigentlich keinen Unterschied machen, ob der zu Vernehmende den Wortlaut erneut tatsächlich wiederholt oder nur Bezug nimmt, wenn dem in beiden Fällen eine bewusste Entscheidung der erneuten Aussage nach Belehrungsvorbehalt vorangestellt ist.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen