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Das materielle Gutachten

Fortwirkung des Verwertungsverbots bei unterlassener qualifizierter Belehrung?

Fortwirkung des Verwertungsverbots bei unterlassener qualifizierter Belehrung?

8. Juli 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B wurde nicht über sein Schweigerecht belehrt. Vor einer erneuten Vernehmung wird B nun über sein Schweigerecht belehrt. B wiederholt seine früher gemachten selbstbelastenden Angaben und ergänzt diese sogar noch weiter.

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Einordnung des Falls

Fortwirkung des Verwertungsverbots bei unterlassener qualifizierter Belehrung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht in der ersten Vernehmung kann auch zur Unverwertbarkeit einer späteren Aussage in der Folgevernehmung führen (Fortwirkung).

Genau, so ist das!

Das Beweisverwertungsverbot gilt zunächst nur für die unmittelbar durch den Verfahrensfehler herbeigeführten Erkenntnisse aus der ersten Vernehmung. Es ist jedoch anerkannt, dass der Verstoß gegen die Belehrungspflicht in der ersten Vernehmung auch zur Unverwertbarkeit einer späteren Aussage führen kann. Nämlich dann, wenn der Verfahrensfehler bei der weiteren Vernehmung insoweit fortwirkt, als der Beschuldigte glaubt, aufgrund seiner früheren, unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs.1 S.2 StPO zustande gekommenen selbstbelastenden Angaben ohnehin bereits überführt und damit an diese gebunden zu sein.
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2. Um eine solche Fortwirkung zu verhindern, muss der Beschuldigte zu Beginn der Folgevernehmung qualifiziert belehrt werden.

Ja, in der Tat!

Das Verwertungsverbot steht jedenfalls dann nicht der Verwertung der Erkenntnisse aus einer Folgevernehmung entgegen, wenn dem Beschuldigten vor seiner erneuten Vernehmung eine qualifizierte Belehrung erteilt wurde (dann keine Fortwirkung). Eine qualifizierte Belehrung liegt vor, wenn der Beschuldigte darauf hingewiesen wird, dass die Angaben aus der früheren Vernehmung wegen des vorangegangenen Verfahrensverstoßes nicht verwertet werden dürfen. Denn dadurch wird der Beschuldigte vor dem Irrtum bewahrt, aufgrund seiner früheren Angaben ohnehin schon überführt und daher an diese Angaben gebunden zu sein.

3. Das Unterlassen der qualifizierten Belehrung führt somit automatisch zur Unverwertbarkeit der Angaben des B in der Folgevernehmung.

Nein!

Wenn eine qualifizierte Belehrung unterblieben ist, folgt daraus nicht automatisch die Unverwertbarkeit der Angaben des Beschuldigten in der erneuten Vernehmung. Vielmehr hängt die Verwertbarkeit von einer gebotenen Einzelfallabwägung statt (Interesse an der Sachaufklärung und am Funktionieren der Strafrechtspflege vs. Gewicht des Verfahrensverstoßes). Dem Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung wird dabei ein geringeres Gewicht als dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 136 Abs.1 S.2 StPO beigemessen. In die Abwägung sind auch ggf. bestehende Anhaltspunkte für die bewusste Umgehung der Belehrungspflicht durch den vernehmenden Beamten (Willkür) einzustellen, die wiederum für eine Fortwirkung sprechen würden.

4. Können Bs Angaben in der zweiten Vernehmung verwertet werden, obwohl er nicht qualifiziert belehrt wurde?

Genau, so ist das!

In der Folgevernehmung wurde die Belehrung über Bs Schweigerecht nachgeholt (§§ 163a Abs.4, 136 Abs.1 StPO). Eine qualifizierte Belehrung über die Unverwertbarkeit der bisherigen Aussagen ist jedoch nicht erfolgt. Allerdings folgt daraus nicht automatisch die Unverwertbarkeit der neuen Angaben des B. Im Rahmen der Abwägung ist vielmehr zu berücksichtigten, dass der Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung ein geringes Gewicht hat. Außerdem liegt eine Fortwirkung des Verwertungsverbots fern, da B in der erneuten Vernehmung über die bloße Wiederholung oder pauschale Bestätigung hinausgehende Angaben zur Sache macht. Aufgrund dieses geringen Gewichts des Verfahrensverstoßes unterliegt das Interesse des B am Schutz seiner verfahrensrechtlichen Stellung. Folglich sind die selbstbelastenden Angaben des B aus der Folgevernehmung verwertbar.
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