Öffentliches Recht

Europarecht

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Wouters")

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Wouters")

21. Mai 2025

6 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die dänische Rechtsanwaltskammer weist den Antrag der deutschen Rechtsanwältin W auf Zulassung zurück, da W als Partnerin einer Wirtschaftsprüfergesellschaft eingetragen werden sollte. Nach der Verordnung der Kammer ist eine Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen aber untersagt.

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Einordnung des Falls

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Wouters")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ist vorliegend eröffnet.

Ja, in der Tat!

Der sachliche Anwendungsbereich setzt nach ständiger Rechtsprechung eine Niederlassung voraus, also eine feste Einrichtung oder Infrastruktur, die der tatsächlichen Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit auf unbestimmte Zeit dient oder zu dienen bestimmt ist. Persönliche Begünstigte der Niederlassungsfreiheit sind alle Unionsbürger. Die Tätigkeit als Rechtsanwalt setzt u.a. das Anmieten von Räumlichkeiten und das Anstellen von Personal voraus und ist eine selbstständige Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert. Eine Niederlassung ist damit gegeben. Als Deutsche ist W auch Unionsbürgerin, sodass auch der persönliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Ferner ist ein grenzüberschreitender Bezug gegeben und es liegt keine Bereichsausnahme vor. Zur Erinnerung: Nach dem Unionsrecht sind auch die freien Berufe selbstständige Tätigkeiten im Sinne der Niederlassungsfreiheit.
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2. Die Rechtsanwaltskammer ist dazu verpflichtet die Niederlassungsfreiheit zu beachten, da sie Teil des Mitgliedtstaates Dänemark ist.

Nein!

Die Grundfreiheiten als transnationale Integrationsnormen verpflichten in erster Linie die Mitgliedstaaten gemäß Art. 52 EUV und ihre Institutionen und Körperschaften. Die Bindung jedes Mitgliedstaats (sowohl des Aufnahmestaats als auch des Herkunftsstaats) ergibt sich auch aus der Formulierung des Art. 49 Abs. 2 AEUV.Die Rechtsanwaltskammer ist nicht Teil des dänischen Staates. Es handelt sich nicht um eine öffentliche Institution oder Körperschaft, sondern vielmehr um eine private Berufskammer.

3. Auch Private sind grundsätzlich Verpflichtete der Niederlassungsfreiheit.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Beschränkungsverbot in Art. 49 Abs. 1 AEUV ist allgemein formuliert und richtet sich nicht speziell an die Mitgliedstaaten. Der Wortlaut der Norm lässt also offen, ob aus der Niederlassungsfreiheit auch eine Verpflichtung für Private resultieren kann. Grundsätzlich sind Private aber nicht die verpflichteten Adressaten der Niederlassungsfreiheit. Hintergrund ist, dass die Wettbewerbsregelungen in Art. 101 ff. AEUV und der Grundsatz der Privatautonomie nicht umgangen werden sollen.

4. Die Gewährleistung der einheitliche Anwendung des Unionsrechts spricht jedoch dafür, auch private Akteure als Verpflichtete der Niederlassungsfreiheit zu sehen.

Ja, in der Tat!

Die Beseitigung der Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit wäre gefährdet, wenn zwar staatliche Schranken beseitigt werden, privatrechtliche Vereinigungen solche Beschränkungen jedoch weiterhin errichten können [effet-utile-Argument]. Würde das Beschränkungsverbot nur für staatliche Maßnahmen gelten, würde dies zu Ungleichheiten in der Anwendung des Unionsrechts führen.Die Frage, ob private Akteure von der Niederlassungsfreiheit verpflichtet werden, ist in der Literatur umstritten.

5. Unter bestimmten Umständen erkennt der EuGH daher auch private Akteure als Verpflichtete der Niederlassungsfreiheit an.

Ja!

Der EuGH erkennt eine Drittwirkung der Niederlassungsfreiheit an, wenn private Einrichtungen private Normen, die die Beteiligten eines Wirtschaftsbereichs kollektiv betreffen. Private Akteure könne also Adressaten der Niederlassungsfreiheit sein, wenn sie über staatsähnliche Rechtsetzungsmacht verfügen und kollektive Maßnahmen treffen mit denen selbstständige Tätigkeiten geregelt werden (sog. „intermediäre Gewalten“). Die Rechtsanwaltskammer kann durch Verordnung über Zulassung von Rechtsanwälten und damit über die Zukunft ihrer Niederlassung entscheiden. Es handelt sich damit bei der Rechtsanwaltskammer um eine sog. intermediäre Gewalt. Die Rechtsanwaltskammer ist somit verpflichteter Adressat der Niederlassungsfreiheit.
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