Öffentliches Recht

Europarecht

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Viking")

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Viking")

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die finnische Rederei R möchte ihre Schiffe in Estland registrieren lassen. Hintergrund ist, dass R ihrer Besatzung nach estnischem Recht niedrigere Löhne zahlen kann, als dies nach finnischem Recht möglich ist. Die finnische Gewerkschaft leitet Arbeitskampfmaßnahmen ein.

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Einordnung des Falls

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Viking")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ist vorliegend eröffnet.

Genau, so ist das!

Der sachliche Anwendungsbereich setzt nach ständiger Rechtsprechung eine Niederlassung voraus, also eine feste Einrichtung oder Infrastruktur, die der tatsächlichen Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit auf unbestimmte Zeit dient oder zu dienen bestimmt ist. Persönliche Begünstigte der Niederlassungsfreiheit sind Unionsbürger und Gesellschaften mit Unionsbezug. Der Betrieb einer Rederei setzt u.a. die Registrierung von Schiffen und das Anstellen von Personal voraus und ist eine selbstständige Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert. Eine Niederlassung ist damit gegeben. Bei der finnischen Rederei handelt es sich ferner um eine Gesellschaft mit Unionsbezug, sodass auch der persönliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Ferner ist ein grenzüberschreitender Bezug gegeben und es liegt keine Bereichsausnahme vor.
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2. Die Arbeitskampfmaßnahmen der finnischen Gewerkschaft sind Maßnahmen des Mitgliedstaates Finnland.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Grundfreiheiten als transnationale Integrationsnormen verpflichten in erster Linie die Mitgliedstaaten gemäß Art. 52 EUV und ihre Institutionen und Körperschaften. Die Bindung jedes Mitgliedstaats (sowohl des Aufnahmestaats als auch des Herkunftsstaats) ergibt sich auch aus der Formulierung des Art. 49 Abs. 2 AEUV.Die Gewerkschaft ist nicht Teil des finnischen Staates. Es handelt sich nicht um eine öffentliche Institution oder Körperschaft, sondern vielmehr um eine private Vereinigung.

3. Die Gewerkschaft stellt eine intermediäre Gewalt dar und ist als solche Verpflichtete der Niederlassungsfreiheit.

Ja!

Private Akteure können auch Adressaten der Niederlassungsfreiheit sein, wenn sie über staatsähnliche Rechtsetzungsmacht verfügen und kollektive Maßnahmen treffen mit denen selbstständige Tätigkeiten geregelt werden (sog. „intermediäre Gewalten“). Der EuGH erkennt in dieser Entscheidung die Drittwirkung der Niederlassungsfreiheit auf kollektive Maßnahmen durch Gewerkschaften an. Die Arbeitskampfmaßnahmen der Gesellschaft sind kollektiver Natur und nehmen Einfluss auf die Möglichkeit der R sich in Estland niederzulassen. Es handelt sich damit bei der Gewerkschaft um eine sog. intermediäre Gewalt. Beispiele für solche Arbeitskampfmaßnahmen sind Streikandrohungen bzw. Boykottaufrufe.

4. Nach der Rechtsprechung des EuGH können private Akteure nur dann Verpflichtete sein, wenn sie eine intermediäre Gewalt darstellen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der EuGH stellt im zugrundeliegenden Fall, auch wenn es um kollektive Maßnahmen von Gewerkschaften (=intermediäre Gewalt) geht, ausdrücklich auf Maßnahmen von „Privatpersonen“ ab. Ferner weist der EuGH darauf hin, dass eine Bindung Privater nicht „auf quasiöffentliche Einrichtungen oder auf Vereinigungen beschränkt wäre, die eine Regelungsfunktion wahrnehmen und über quasilegislative Befugnisse verfügen“ [RdNr. 62].Die Rechtsprechung des EuGH zu privaten Akteuren als Verpflichtete bezieht sich zwar auf intermediäre Gewalt, schließt die Verpflichtung von einfachen Privatpersonen aber nicht aus. Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitnehmerfreizügigkeit (s. Angonese-Entscheidung).
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