Grundfall: Allgemeiner Folgenbeseitigungsanspruch

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Die Gemeinde G hat kurzfristig eine Grünfläche der A genutzt, um dort Corona-Tests durchzuführen, weil das daneben liegende Testzentrum überlastet war. Es gibt keine Rechtsgrundlage für Gs Handeln. Nach der Nutzung ist As Rasen ruiniert. A will, dass G die Fläche wieder in Ordnung bringt.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Allgemeiner Folgenbeseitigungsanspruch

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist As Anspruch auf eine Entschädigung in Geld gerichtet?

Nein!

Die ungeschriebenen öffentlich-rechtlichen Ansprüche haben verschiedene Zielrichtungen. Entscheidend dafür, welche Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, ist, worauf sich das Begehren des Anspruchsstellers richtet. Gegebenenfalls muss das Anspruchsziel durch Auslegung ermittelt werden. A möchte, dass G die Grünfläche wieder in Ordnung bringt. As Anspruchsziel besteht damit gerade nicht darin, für die Nutzung durch G in Geld entschädigt zu werden. Vielmehr möchte sie, dass G ihr Grundstück in den Zustand zurückversetzt, der vor der Nutzung durch G bestand.
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2. In Betracht kommt der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist darauf gerichtet, eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung rückgängig zu machen. Demgegenüber ist der Folgenbeseitigungsanspruch auf die Beseitigung der unmittelbaren rechtswidrigen Folgen öffentlich-rechtlichen Handelns gerichtet und damit auf die Wiederherstellung des ursprünglichen oder eines vergleichbaren Zustands. Es kommt darauf an, dass die Folgen des Handelns rechtswidrig sind, nicht das Handeln als solches. In der Regel kann aber vom „Handlungsunrecht“ auf das „Erfolgsunrecht“ geschlossen werden. A möchte, dass die G die Grünfläche wieder in Ordnung bringt, also ihr Grundstück in den ursprünglichen Zustand vor der Nutzung durch G zurückversetzt. Damit begehrt sie, dass die (rechtswidrigen) Folgen der Nutzung ihres Grundstücks durch G beseitigt werden. Dies kann A mithilfe des Folgenbeseitigungsanspruchs erreichen, nicht jedoch mithilfe des Erstattungsanspruchs.

3. Der materielle Folgenbeseitigungsanspruch ist in § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO normiert.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 113 Abs. 1 S. 2 VwGO enthält nur eine prozessuale Regelung zur Durchsetzung des Anspruchs ist und damit gerade keine Rechtsgrundlage. Materiell wird der Folgenbeseitigungsanspruch teilweise direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. Art. 20 Abs. 3 GG) hergeleitet. Nach einer anderen Ansicht ist er Ausfluss aus den Grundrechten. Wieder andere führen eine analoge Anwendung von §§ 12, 862, 1004 BGB an. Das BVerwG verweist inzwischen auf „durch Richterrecht geprägte, gewohnheitsrechtliche Gesichtspunkte“. Aufgrund der allgemeinen Anerkennung des Anspruchs solltest Du die Herleitung des Folgenbeseitigungsanspruchs in der Klausur äußerst knapp darstellen; Eine kurze Aufzählung der Herleitungsmöglichkeiten genügt. Schreib bitte auf keinen Fall, dass der materielle Folgenbeseitigungsanspruch sich aus § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO ergibt. Dies wäre ein schwerer Fehler!

4. Die Gemeinde hat keinen Verwaltungsakt gegenüber A erlassen. Kommt hier ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch als Ausprägung des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs in Betracht?

Nein!

Der Folgenbeseitigungsanspruch ist auf die Beseitigung der unmittelbaren rechtswidrigen Folgen öffentlich-rechtlichen Handelns gerichtet und damit auf die Wiederherstellung des ursprünglichen oder eines vergleichbaren Zustands. Der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch ist ein „Spezialfall“ des Folgenbeseitigungsanspruchs. Er ist einschlägig, wenn es um die Beseitigung der Folgen des Vollzugs eines Verwaltungsakts geht. Der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch richtet sich auf die Beseitigung der Folgen von öffentlich-rechtlichem Handeln, das nicht in einem Verwaltungsakt besteht. G hat die Nutzung des Rasens nicht per Verwaltungsakts gegenüber A angeordnet. Der beschädigte Rasen ist nicht Folge eines Verwaltungsaktsvollzugs, sondern des tatsächlichen Handelns der Gemeinde. Einschlägig ist der allgemeine Folgenbeseitigunsanspruch. Die Unterscheidung hat auf die Prüfung keine Auswirkungen. Du zeigst damit vor allem, dass Du die Feinheiten des Folgenbeseitigungsanspruchs kennst.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Eileen 🦊

Eileen 🦊

7.8.2024, 11:38:58

Stellt die Anordnung der Gemeinde gegenüber A, dass das Testzentrum dort errichtet werden soll, keinen VA dar? Der zerstörte Rasen wäre dann eine Rechtsfolge. Rechtswidrig wäre der VA, da die gesetzliche Grundlage fehlt. Dann würde sich der Anspruch der A auf Beseitigung der Schäden aus dem Vollzug des VA richten. LG

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

8.8.2024, 12:02:18

Hallo @[Eileen 🦊](190132), wir haben den Sachverhalt hier gerade so angelegt, dass keine Anordnung der Gemeinde gegenüber vorliegt, sondern diese den Rasen schlicht tatsächlich nutzt. In den Satz, dass die Gemeinde kurzfristig die Grünfläche des As genutzt hat, sollte man nicht vorschnell reinlesen, dass die Gemeinde einen entsprechenden

Verwaltungsakt

erlassen hat. Die Konstruktion eines „konkludenten

Verwaltungsakt

s“ durch die tatsächliche Nutzung des Rasens entspricht nicht der h.M. und ist – wie der Fall zeigt – auch nicht aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes erforderlich. Ich habe die Aufgabe etwas ergänt, damit hier keine weiteren Missverständnisse entstehen. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

8.8.2024, 12:05:20

Hallo @[Eileen 🦊](190132), wir haben den Sachverhalt hier gerade so angelegt, dass keine Anordnung der Gemeinde gegenüber A vorliegt, sondern diese den Rasen schlicht tatsächlich nutzt. In den Satz, dass die Gemeinde kurzfristig die Grünfläche des As genutzt hat, sollte man nicht vorschnell reinlesen, dass die Gemeinde einen entsprechenden

Verwaltungsakt

erlassen hat. Die Konstruktion eines „konkludenten

Verwaltungsakt

s“ durch die tatsächliche Nutzung des Rasens entspricht nicht der h.M. und ist – wie der Fall zeigt – auch nicht aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes erforderlich. Ich habe die Aufgabe etwas ergänt, damit hier keine weiteren Missverständnisse entstehen. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

Eileen 🦊

Eileen 🦊

8.8.2024, 13:13:19

Danke!


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