+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Polizeibehörde P hat die Kamera der demonstrierenden D beschlagnahmt, weil diese damit Polizeigewalt dokumentiert hat. Als sich herausstellt, dass die Beschlagnahme rechtswidrig ist, hebt P den Beschlagnahmebescheid auf. D will ihre Kamera zurück.

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Einordnung des Falls

TB Merkmale

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. D könnte einen Folgenbeseitigungsanspruch gerichtet auf die Wiederherstellung des Zustands vor der Beschlagnahme haben.

Genau, so ist das!

Anspruchsziel des Folgenbeseitigungsanspruchs ist die Beseitigung der unmittelbaren rechtswidrigen Folgen öffentlich-rechtlichen Handelns, das heißt die Wiederherstellung des ursprünglichen oder eines vergleichbaren Zustands. D möchte ihre Kamera zurück. Dass sie die Kamera aktuell nicht in ihrem Besitz hat, könnte rechtswidrig und auf hoheitliches Handeln zurückzuführen sein. In Betracht kommt der (Vollzugs-)Folgenbeseitigungsanspruch.Eine Herausgabe der Kamera kann D hier nicht mithilfe des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs erlangen. Dieser kommt nur in Betracht, wenn es um Vermögen in Form von Geld geht. Zudem setzt dieser eine Leistung - also zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens - voraus, was bei einer Wegnahme ausscheidet.
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2. Tatbestandlich bedarf es zunächst der Betroffenheit eines subjektiven-öffentlichen Rechts.

Ja, in der Tat!

Zunächst sollte das betroffene subjektiv-öffentliche Recht als Bezugspunkt des Eingriffs durch hoheitliches Handeln benannt werden. Subjektive Rechte ergeben sich vor allem aus den Grundrechten. D wird der Besitz an ihrer Kamera entzogen. Sie kann nicht über ihre Kamera verfügen und mit ihr verfahren, wie sie möchte. Betroffen ist damit ihr Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG. In der Klausur wird es regelmäßig genug Ausführungen dazu geben, welches subjektive Recht aus welchen Gründen betroffen sein könnte. Du musst das subjektive Recht nicht unbedingt seperat prüfen. Gibt es dort nicht viel zu diskutieren, kannst Du das auch „inzident“ bei der nachfolgenden Prüfung des Eingriffs machen.

3. Ds Anspruch scheitert an dem Vorliegen eines hoheitlichen Eingriffs in ihr Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Nein!

Erforderlich ist ein Eingriff in das betroffene subjektive Recht durch eine öffentlich-rechtliche Handlung. Dabei kommt jede öffentlich-rechtliche Handlungsform in Betracht. Die Eingriffsqualität wird nach dem (weiten) modernen Eingriffsbegriff bestimmt. Danach besteht ein Eingriff, wenn die hoheitliche Maßnahme zurechenbar eine grundrechtliche Gewährleistung verkürzt. P hat einen Beschlagnahmebescheid (= Verwaltungsakt) vollzogen. Hoheitliches Handeln liegt unproblematisch vor. Dieses hat Ds Rechte aus Art. 14 Abs. 1 GG auch zurechenbar verkürzt. Die Merkmale „Betroffenheit eines öffentlichen Rechts“ und „Hoheitliches Handeln“ können auch gemeinsam unter dem Punkt „Eingriff“ abgehandelt werden, wenn dies so unproblematisch wie hier ist.

4. Notwendig ist weiterhin, dass das hoheitliche Handeln andauert oder unmittelbar bevorsteht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Anders als beim Unterlassungs- und Abwehranspruch geht es beim Folgenbeseitigungsanspruch gerade nicht um die Abwehr eines andauernden oder bevorstehenden Eingriffs. Vielmehr geht es darum, einen rechtswidrigen Zustand, der durch (vergangenes) hoheitliches Handeln eingetreten ist, rückgängig zu machen. Erforderlich ist daher ein fortdauernder, rechtswidriger und zurechenbarer Zustand, auf dessen Beseitigung sich der Anspruch richten kann. Durch die Beschlagnahme von Ds Kamera müsste ein rechtswidriger Zustand eingetreten sein, der noch andauert und dem Handeln der Polizeibehörde zurechenbar ist.

5. Die fortdauernde Besitzentziehung ist rechtswidrig.

Ja, in der Tat!

Rechtswidrig ist der Zustand, wenn für den Betroffenen keine Duldungspflicht besteht. Diese kann sich aus einer gesetzlichen Regelung oder einem wirksamen Verwaltungsakt ergeben. Ein zunächst rechtmäßiger Zustand kann auch nachträglich rechtswidrig werden. Die Besitzentziehung als Vollziehung des (sofort vollziehbaren) Beschlagnahmebescheids war zunächst aufgrund des wirksamen Verwaltungsakts rechtmäßig. Daran ändert auch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht. Mit Aufhebung des Verwaltungsakts ist allerdings die Grundlage für die Besitzentziehung weggefallen. D muss die Besitzentziehung nicht (mehr) dulden. Der eingetretene Zustand ist rechtswidrig.

6. Der rechtswidrige Zustand ist P auch zurechenbar.

Ja!

Die rechtswidrige Folge muss unmittelbar auf das hoheitliche Handeln zurückzuführen sein, d.h. sie muss dem Hoheitsträger zurechenbar sein. Unmittelbar ist eine Folge dann, wenn sich in ihr die spezifischen Gefahren des konkreten hoheitlichen Handelns verwirklichen. Ob eine Folge zurechenbar ist, ist letztlich eine wertende Entscheidung: Ist die Schadensfolge adäquat durch das Verwaltungshandeln verursacht worden? Problematisch kann dies vor allem dann werden, wenn ein privater Dritter „dazwischentritt“. Die rechtswidrige Besitzentziehung ist unmittelbar auf den Vollzug der Beschlagnahme zurückzuführen. Der Tatbestand des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs liegt vor.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JCF

JCF

12.1.2024, 14:28:21

Im letzten Maßstabskasten müsste es im letzten Satz "Dritter" heißen.

LELEE

Leo Lee

14.1.2024, 11:38:20

Hallo JCF, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben den Fehler nun korrigiert :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

DAV

David

29.2.2024, 11:49:32

Hallo Jurafuchs-Team, im speziellen Fall des

Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch

s wegen der von Anfang an rechtswidrigen Sicherstellung/Beschagnahme wollte ich gerne wissen, wie sich dieser Anspruch zu den AGL in § 111n I StPO und § 46 I PolG (und anderen entsprechenden landesrechtlichen AGL) verhält. Macht es da einen Unterschied, ob – wie im hiesigen Fall – die Sicherstellung bereits von Anfang an rechtswidrig war oder ob sich die Rechtswidrigkeit erst daraus ergibt, dass die Aufrechterhaltung des Gewahrsams nicht mehr erforderlich und damit unverhältnismäßig ist, wobei die ursprüngliche Sicherstellung ja rechtmäßig war (vgl. etwa § 2 III PolG NRW)


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