Grundfall: Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch

30. Juni 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Polizeibehörde P erlässt einen Durchsuchungsbescheid gegenüber Hackerin H. Bei der Durchsuchung wird Hs Haus komplett auf den Kopf gestellt und die Eingangstür beschädigt. Später stellt sich heraus, dass die Durchsuchung rechtswidrig war. H will, dass die Eingangstür repariert wird.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist Hs Anspruch gerichtet auf Schadensersatz für die kaputte Tür?

Nein, das ist nicht der Fall!

Entscheidend für die einschlägige öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage ist das Anspruchsbegehren des Anspruchsstellers. H möchte, dass die bei der Durchsuchung beschädigte Tür repariert wird. Sie möchte gerade nicht „nur“ Schadensersatz für den Schaden, sondern begehrt die tatsächliche Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, in dem sie eine unbeschädigte Eingangstür hatte.
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2. In Betracht kommt der Folgenbeseitigungsanspruch.

Ja, in der Tat!

Der Folgenbeseitigungsanspruch ist auf die Beseitigung der unmittelbaren rechtswidrigen Folgen öffentlich-rechtlichen Handelns gerichtet und damit auf die Wiederherstellung des ursprünglichen oder eines vergleichbaren Zustands. H möchte, dass die tatsächlichen unmittelbaren Folgen der rechtswidrigen Durchsuchung ihres Hauses durch P beseitigt werden.

3. Hier kommt ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch als Ausprägung des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs in Betracht.

Ja!

Der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch als „Spezialfall“ des Folgenbeseitigungsanspruchs ist einschlägig, wenn es um die Beseitigung der Folgen des Vollzugs eines Verwaltungsakts geht. Durch die Durchsuchung hat P den rechtswidrigen Durchsuchungsbescheid vollzogen. Einschlägig ist der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch. Prozessual kann dieser nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO als Annexantrag einer Anfechtungsklage geltend gemacht werden. § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO enthält aber nicht die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage des Folgenbeseitigungsanspruchs.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MLENA

MLena

16.11.2023, 12:10:08

Ich verstehe nicht, weshalb der

Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch

hier nicht in Betracht kommt? Es handelt sich zwar bei dem VA um einen

rechtswidrig

en VA, aber er wird ja dadurch nicht unwirksam oder nichtig.

LELEE

Leo Lee

19.11.2023, 09:39:18

Hallo MLena, magst du uns kurz mitteilen, was du genau meinst mit dass der Vollzugs-FBA hier nicht in Betracht kommt? In der letzten Frage wird nämlich die Anwendung des Vollzugs-FBAs gerade aufgrund der RWK des VAs bejaht :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

WAY

WayneEnterprise

7.8.2024, 15:35:08

Liebes Team, sollte man nicht lieber bei der ersten Frage davon sprechen, dass die begehrte Reparatur der Tür kein

Schaden

sersatz im umgangssprachlichen Sinn ist? Denn Folgenbeseitigung kann mE durchaus

Schaden

sersatz sein (so jdf. im ZivilR, wo die

Naturalrestitution

die Grundform des

Schaden

sersatzes ist). Vielleicht könnte man in der Frage sonst nur auf „

Geld

ersatz“ abstellen. LG

AN

annsophie.mzkw

26.8.2024, 12:20:33

Dem schließe ich mich an, jedenfalls denn wenn man - zumindest gedanklich - den zivilrechtlichen Grundsatz heranzieht, wonach

Schaden

sersatz gem. § 249 I BGB grundsätzlich in Gestalt der Naturalrestition zu erfolgen hat. In meinen Lernunterlagen wird dahingehend wie ich finde sehr treffend zwischen sog. Restitutionsansprüchen einerseits (wozu auch der FBA zählt) und zwischen sog. Kompensationsansprüchen (worunter Ansprüche auf

Schaden

sersatz „im engeren Sinne“ fallen, zB der Amtshaftungsanspruch) andererseits differenziert.

DI

Dini2010

25.3.2025, 10:31:40

Bei uns wurde gelehrt, dass der FBA eben gerade keinen SEA gewährt, weil der FBA nicht auf

Naturalrestitution

gerichtet ist. Der FBA soll den FRÜHEREN Zustand wieder herstellen, wohingegen die

Naturalrestitution

den JETZIGEN Zustand wiederherstellt, wie er wäre, wenn es zu dem schädigenden Ereignis nicht gekommen wäre. Daher sei der FBA von einem Entschädigungsanspruch abzugrenzen.

Sassun

Sassun

29.10.2024, 17:34:36

Im Hinweis heißt es man könne den FBA als Annex zur AK geltend machen. idR wird doch aber eine

FFK

/ FK einschlägig sein, ist der FBA dann analog §

113 I 2 VwGO

dennoch als Annex geltend zu machen? Gegen die Analogie dürfte schließlich sprechen, dass auch einfach eine LK erhoben werden kann. Für die Analogie allerdings die Prozessökonomie.

LO

Lorenz

23.11.2024, 12:55:20

Das habe ich mich auch gefragt. Der Fall schreit doch

FFK

.

OKA

okalinkk

11.3.2025, 14:55:50

Würde mich auch interessieren

FL

Florian

25.4.2025, 23:15:48

Könntet ihr da für Klarheit sorgen?:) @[Sebastian Schmitt](263562) @[Lukas_Mengestu](136780) @[Tim Gottschalk](287974) @[Linne_Karlotta_](243622)

FTE

Findet Nemo Tenetur

4.5.2025, 14:42:12

Ich denke im hiesigen Fall könnte es so sein:

Anfechtungsklage

wegen der

rechtswidrig

en Durchsuchung und VFBA im Wege der allgemeinen

Leistungsklage

als Annexantrag zur

Anfechtungsklage

gem. §

113 I 2 VwGO

.

YVE

Yves

31.5.2025, 17:05:31

Plus eins @[Linne_Karlotta](133910) @[

Lukas Mengestu

](221887) @[Tim Gottschalk](287974) @[Sebastian Schmitt](263562)

geraumezeit

geraumezeit

11.6.2025, 14:57:52

Die Frage ist noch offen, @[Linne Hempel](243622), @[Sebastian Schmitt](263562) :).

Nadim Sarfraz

Nadim Sarfraz

18.6.2025, 18:19:26

Hallo @[Sassun](247789), @[okalinkk](253888), @Yves, @Florian, Danke für Eure Nachfrage! (: Ob der Vollzugs-FBA auch auf die

FFK

Anwendung findet, ist tatsächlich ein in Lit. und Rspr. diskutiertes Problem, allerdings vorliegend nicht derart relevant, wie es scheint: Der Fall schreit nämlich nur auf den ersten Blick nach einer

FFK

: Die Vollziehung eines VA führt zwar oft zu Erledigung, aber eben nicht zwangsläufig, da auch von einem vollzogenen VA noch verfahrensrechtliche Folgen ausgehen können (Kopp/Ramsauer, 25. Aufl. 2024, § 43 Rn. 86). Gerade vor dem Hintergrund, dass eine Rückgängigmachung der Vollziehung im Wege eines Vollzugs-FBA im Raum steht, hat sich der Grund-VA (Durchsuchungsbescheid) hier noch nicht iSd

§ 43 Abs. 2 VwVfG

erledigt (Kopp/Schenke, 30. Aufl. 2024, § 113 Rdnr. 104 ). Eine

FFK

wäre also vorliegend nur dann

statthafte Klageart

, wenn es lediglich um die Feststellung der RW der Durchsuchung gegangen wäre, ohne dass noch weitere Ansprüche des Klägers in Betracht kämen. Die Frage um die analoge Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO bei der

FFK

wird im Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnr. 85 mE deshalb überzeugend als "Scheinproblem" bezeichnet: Solange ein Anspruch auf Vollzugsfolgenbeseitigung im Raum steht, hat sich der VA idR noch nicht erledigt. Selbst wenn ein Fall denkbar sein sollte (das übersteigt meine öffentlich-rechtliche Vorstellungskraft, auch in den Kommentaren wird diese Konstellation nur abstrakt beschrieben), in welchem der Kläger die

Rechtswidrig

keit eines erledigten VAs feststellen lassen möchte und zugleich dessen Folgen beseitigen lassen will, bestünde keine planwidrige Regelungslücke: Der Kläger könnte hier im Wege der objektiven

Klagehäufung

eine

FFK

zusammen mit einer

Leistungsklage

erheben, wie @[Sassun](247789) richtig sagt. Im Übrigen würde es auch an einer vergleichbaren Regelungslücke fehlen: Während beim Regelfall des § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO die

Anfechtungsklage

und der Vollzugs-FBA in einem Stufenverhältnis zueinander stehen (erst die Aufhebung des VAs, auf Grundlage dessen dann die Beseitigung der Vollzugsfolgen), wäre bei der

FFK

der VA ja bereits erledigt und müsste nicht in einem ersten Schritt aufgehoben werden (siehe hierzu auch etwas verständlicher Schoch/Schneider, § 113 Rdnr. 82, der die analoge Anwendung ablehnt). Um in einer Klausur taktisch vorzugehen und nicht in dogmatischem Fahrwasser zu ertrinken, würde ich in derlei Konstellationen die Erledigung des VAs aus den oben genannten Gründen ablehnen und damit eine AK erheben plus § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO beantragen. In einer Konstellation, in der sich der VA wirklich einmal erledigt haben sollte, würde ich auf die

Leistungsklage

zurückgreifen - hier wäre die RW des erledigten VAs idR anspruchsimmanente Vrss. Eine

FFK

neben einem Leistungsantrag könnte ich mir dann vorstellen, wenn sich das

Fortsetzungsfeststellungsinteresse

nicht nur daraus ergibt, dass der Kläger mögliche Folgeansprüche geltend machen möchte, sondern ein darüber hinausgehendes

Rehabilitationsinteresse

hat. Ich hoffe ich konnte für etwas Klarheit sorgen. (: Liebe Grüße, Nadim für das Jurafuchs-Team


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