Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch

31. Mai 2025

4 Kommentare

4,9(24.395 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Gemeinde G erlässt einen Gebührenbescheid für die Straßenreinigung gegenüber A. A überweist statt der geforderten 100 € versehentlich 1.000 €. Sie möchte die zu viel bezahlten 900 € von G zurück bekommen.

Diesen Fall lösen 82,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat einen Anspruch auf Zahlung der 900 € gemäß § 812 Abs. 1 Var. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 812 Abs. 1 Var. 1 BGB ist direkt nur auf zivilrechtliche Rechtsbeziehungen und gerade nicht auf öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen anwendbar. Auch, wenn eine mit dem Regelungsgehalt des § 812 BGB vergleichbare Situation besteht, kann nicht ohne Weiteres auf die §§ 812ff. BGB zurückgegriffen werden - gerade auch, weil es im öffentlichen Recht vorrangige Sondervorschriften gibt. Die Grundsätze der §§ 812ff. BGB sind allenfalls entsprechend anwendbar. A kann einen Anspruch gegen G auf Herausgabe der 900 € nicht direkt auf § 812 Abs. 1 S. 1 BGB stützen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. A könnte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegenüber G geltend machen.

Ja!

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist auf den Ausgleich rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen im öffentlichen Recht gerichtet. Die Rechtsbeziehung ist öffentlich-rechtlich, wenn der vermeintliche bzw. später weggefallen Rechtsgrund öffentlich-rechtlicher Natur ist. Der Anspruch kann von den Bürgern gegen die Behörde, aber auch von den Behörden gegen die Bürger geltend gemacht werden. Die Grundsätze der §§ 812 ff. BGB sind in der Regel entsprechend anwendbar, es sei denn, dem stehen öffentlich-rechtliche Besonderheiten entgegen. Der vermeintliche Rechtsgrund für As Zahlung besteht in einem Verwaltungsakt (= öffentlich rechtlicher Natur). A könnte einen Anspruch auf 900 € auf Grundlage des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch haben.

3. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch wird teilweise mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung begründet.

Genau, so ist das!

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist trotz der strukturellen Ähnlichkeit zu den §§ 812 ff. BGB ein eigenständiges Institut des öffentlichen Rechts und benötigt daher eine eigene Rechtsgrundlage. Zum Teil gibt es spezialgesetzliche Ausprägungen, auf die vorrangig zurückgegriffen werden muss. Vor allem ist an § 49a VwVfG zu denken, welcher allerdings nur einen Anspruch der Behörde gegenüber dem Bürger begründet. Fehlt eine spezialgesetzliche Regelung, ist auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zurückzugreifen, der mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie den Grundrechten begründet wird. Er ist jedenfalls mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt.

4. Der Rechtsgrund für die Zahlung der 900 € besteht in dem Gebührenbescheid. A hat keinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen G.

Nein, das trifft nicht zu!

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist auf den Ausgleich rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen im öffentlichen Recht gerichtet. Die Prüfung richtet sich in der Regel nach den Grundsätzen der §§ 812 ff. BGB. A zahlte die 900 € zweckgerichtet mit dem Ziel, Gs vermeintlichen Zahlungsanspruch zu erfüllen. G hat damit durch Leistung der A 900 € erlangt (Besitz oder Vermögenswert in Form einer Bankgutschrift). Der Gebührenbescheid (= Verwaltungsakt) kommt grundsätzlich als öffentlich-rechtlicher Rechtsgrund in Betracht. Dieser bildet allerdings nur einen Rechtsgrund für die Zahlung von 100 €. Die Zahlung der weiteren 900 € erfolgte damit ohne Rechtsgrund. A hat einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gerichtet auf die Rückerlangung der 900 € gegen G.
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ANA

Anastasija

9.3.2025, 10:42:18

Ich habe leider nicht ganz verstanden, was jetzt die genaue Anspruchsgrundlage in der Prüfung im Gutachten sein soll… nimmt man dann § 49a VwVfG iVm § 812 BGB oder „ö-r ErstattungsA“ und löst das dann nach §§ 812 ff. BGB?

OKA

okalinkk

11.3.2025, 11:00:40

@[Anastasija](177116) gibt es eine spezialgesetzliche Regelung, zB 49a VwVfG, so ist diese die AGL. 49a VwVfG regelt aber lediglich den Anspruch des Staates gegen den Bürger und nicht andersherum. Für Ansprüche des Bürgers gegen den Staat ist (sofern es keine spezialgesetzlichen AGL gibt) daher nach einer Ansicht (so habe ich das gelernt) 812 ff BGB ANALOG die Anspruchsgrundlage. Die Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus sowie eine vergleichbare Interessenlage. Letztere ist aufgrund des Rechtstaatsprinzips anzunehmen. Nach anderer Ansicht folgt der Anspruch des Bürgers gegen den Staat nicht aus 812 analog, sondern aus dem Rechtstaatsprinzip. Andere wiederum sind der Meinung, der Anspruch sei

gewohnheitsrecht

lich anerkannt. Letztlich ist das aber auch egal, da du dich bei der Anspruchsprüfung an 812 BGB orientierst (du prüfst diesen also quasi durch, wie du schon richtig erwähnt hast).

yusdix

yusdix

5.4.2025, 18:09:45

@[Anastasija](177116) Ich würde da @[okalinkk](253888) zustimmen. Ich habe es auch mit § 812 BGB analog gelernt. Jedoch wird meistens auch anstelle des Prüfungspunkts „I. Anspruchsgrundlage“ die „I. Herleitung des Anspruchs“. Ich bin mir nicht sicher inwiefern sie sich da unterscheiden, jedoch tendiere ich selbst zu „I. Herleitung des Anspruchs“, da man ja in diesem Prüfungspunkt klar macht, dass sich der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch aus §§ 812 ff. BGB analog oder auch aus dem

Gewohnheitsrecht

herleitet.

GRA

grainofsalt

9.5.2025, 14:33:00

Hi, in einer Erklärung heißt es: „§ 812 Abs. 1 Var. 1 BGB ist direkt nur auf zivilrechtliche Rechtsbeziehungen und gerade nicht auf öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen anwendbar. Auch, wenn eine mit dem Regelungsgehalt des § 812 BGB vergleichbare Situation besteht, kann nicht ohne Weiteres auf die §§ 812ff. BGB zurückgegriffen werden - gerade auch, weil es im öffentlichen Recht vorrangige Sondervorschriften gibt. Die Grundsätze der §§ 812ff. BGB sind allenfalls entsprechend anwendbar.“ Mir ist der Prüfungsaufbau einer analogen Anwendung (natürlich) bekannt, aber wie würde man eine „entsprechende“ Anwendung anprüfen? Entsprechend ist ja kein Synonym für analog.…


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Jurafuchs

Öffentlich-rechtlicher allgemeiner Folgenbeseitigungsanspruch

Behörde B ist für den ordnungsgemäßen Zustand des Deiches in Sturmbüttel verantwortlich. Weil B diese Pflicht nicht erfüllt, hält der Deich dem Hochwasser nicht mehr stand. Dadurch wird das Grundstück von Hansi (H) überschwemmt. Dieser verlangt, dass B sein Grundstück wieder in Ordnung bringt.

Fall lesen

Jurafuchs

Öffentlich-rechtlicher Vollzugsbeseitigungsanspruch

Die Stadt B erlässt gegenüber Immobilienhai H einen Bescheid, wonach die Geflüchtete G für 90 Tage in einer seiner Wohnungen untergebracht wird. Nach 90 Tagen hat B keine neue Unterbringung organisiert, sodass G in der Wohnung bleibt. H will, dass G auszieht.

Fall lesen