Öffentliches Recht

Völkerrecht

Umweltvölkerrecht

Schädigungsverbot V: nur intern (Ecuador, Yasuni)

Schädigungsverbot V: nur intern (Ecuador, Yasuni)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Amazonasstaat A genehmigt private Erdölbohrungen im Zasuni-Nationalpark. Dafür wird großflächig Amazonaswald gerodet und eines der Gebiete mit der größten Artenvielfalt der Welt zerstört. Nordstaat N zeigt sich entsetzt ob der Zerstörung eines gemeinsamen Erbes der Menschheit.

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Einordnung des Falls

Schädigungsverbot V: nur intern (Ecuador, Yasuni)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das zerstörende Verhalten des Erdölunternehmens ist dem A zurechenbar, weil er effektive Kontrolle über das private Verhalten ausübt.

Nein!

Das Verhalten Privater ist einem Staat zurechenbar, wenn ein anerkannter Zurechnungstatbestand erfüllt ist. Der Zurechnungstatbestand der effektiven Kontrolle des privaten Verhaltens (vgl. Art. 8 ILC-Entwurf über die Staatenverantwortlichkeit) setzt voraus, dass der Staat die konkrete Verletzungshandlung spezifisch instruiert. A genehmigt die Erdölbohrungen und damit implizit auch die Zerstörung des Waldstücks. Weitere Instruktionen erteilt A nicht und begibt sich weiterer Einwirkungsmöglichkeiten in die konkrete Ausführung. Das konkret-zerstörende Verhalten entzieht sich damit seiner Kontrolle. Selbst auf Basis des overall-control-Maßstabs muss man die Zurechnung verneinen. Knüpft man an die Genehmigung ohne Auflagen oder eine unterbliebene Einstellung an, liegt der Schwerpunkt des Fehlverhaltens im Unterlassen. Dies ist Gegenstand des Verhinderungsgebots.
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2. Allerdings könnte Staat A für eigenes Fehlverhalten verantwortlich sein.

Genau, so ist das!

Das Schädigungsverbot hat negative und positive Dimensionen: In seiner negativen Dimension verbietet es erhebliche grenzüberschreitende Umweltschädigungen. In seiner positiven Dimension beinhaltet das Schädigungsverbot ein Verhinderungsgebot. Danach darf ein Staat auf seinem Gebiet ein Verhalten Privater nicht gestatten und muss es unterbrinden, das auf dem Gebiet eines anderen Staates erhebliche Umweltschäden verursacht. Die Umweltzerstörungen gehen vom privaten Erdölunternehmen aus. Folglich scheidet eine Verletzung der negativen Dimension des Schädigungsverbots durch Kanada mangels Zurechnung aus. Allerdings kommt die Verletzung des vom Schädigungsverbot erfassten Verhinderungsgebots in Betracht.

3. Das Schädigungsverbot verpflichtet die Staaten erst Recht zum Schutz der eigenen Umwelt.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Schädigungsverbot schränkt die territoriale Souveränität eines Staates ein, um die territoriale Integrität eines anderen Staates zu schützen. Erst dieser zwischenstaatliche Charakter der Umweltschädigung provoziert und rechtfertigt eine völkerrechtliche Regelung. Beschränken sich Umweltbelastungen räumlich auf den emittierenden Staat, fehlt es am kollidierenden Souveränitätsanspruch und damit an einer Rechtfertigung für die Einschränkung der territorialen Souveränität durch das Schädigungsverbot. Solche innerstaatlichen Sachverhalte erfasst der völkergewohnheitsrechtliche Kern des Schädigungsverbots damit gerade nicht. Diese Betrachtungsweise mag befremdlich erscheinen, ist aber dogmatisch konsequent, weil Schädigungsverbot bzw. Umweltvölkerrecht auf einer souveränitätsgeprägten Parzellierung der Umwelt aufbauen.

4. Das Schädigungsverbot ist auch verletzt, wenn eine Beeinträchtigung der Artenvielfalt und damit ein gemeinsames Anliegen der Menschheit im Raum steht.

Nein!

Das Schädigungsverbot ist - auch in seiner positiven Dimension des Verhinderungsgebots - nur verletzt, wenn eine erhebliche grenzüberschreitende Umweltverletzung vorliegt. Umweltschädigungen erfassen jedenfalls objektiv negative Einwirkung auf die Umwelt, die die menschliche Lebensgrundlage unmittelbar verändern. Die Artenvielfalt lässt sich aus wissenschaftlicher und politischer Perspektive als gemeinsames Anliegen der Menschheit qualifizieren. Aus Sicht des allgemeinen Völkerrechts stellt die Artenvielfalt für sich genommen kein Rechtsgut dar, dessen Beeinträchtigung eine Verletzung des Schädigungsverbots auslöst. Die Völkerrechtsordnung misst einem - wie auch immer gearteten - Konzept der gemeinsamen Anliegen der Menschheit keine völkergewohnheitsrechtliche Geltung bei. Es bedarf der Anknüpfung an konkrete völkerrechtlich geschützte Rechtsgüter.

5. Mangels grenzüberschreitenden Charakters ist das Schädigungsverbot vorliegend nicht anwendbar.

Genau, so ist das!

Grenzüberschreitender Charakter liegt vor, wenn Umweltschädigungen jenseits des Staatsgebiets des emittierenden Staates auftreten. Die (unmittelbare) Zerstörung der Artenvielfalt ist auf das Territorium des A beschränkt, sodass das Schädigungsverbot mangels Grenzübertritts nicht anwendbar ist. Damit ist die innerstaatliche Biodiversität völkerrechtlich nicht schutzlos gestellt. Die Biodiversitätskonvention, aber auch das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES) bezwecken den Schutz der Artenvielfalt auch innerhalb des staatlichen Hoheitsgebiets. Sie begründen allerdings keine Staatenverantwortlichkeit für Schäden an der biologischen Vielfalt.
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