Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens - Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage?

Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens - Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage?

5. Dezember 2024

4,7(22.798 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B wird per Bescheid verpflichtet, einen rechtswidrigen Anbau zu beseitigen. B unternimmt nichts, der Bescheid wird bestandskräftig. Später fordert B die Behörde auf, den Fall wegen neuer Sachlage zu überprüfen. Die Behörde lehnt dies unter Verweis auf den ursprünglichen Bescheid ab.

Diesen Fall lösen 84,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens - Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da die Erklärung, den Fall nicht erneut zu prüfen, lediglich die Regelungswirkung des ursprünglichen Bescheids wiederholt, fehlt ihr der Regelungscharakter.

Nein!

Eine hoheitliche Maßnahme hat Regelungscharakter, wenn sie darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge unmittelbar herbeizuführen. Die Behörde verweist nicht lediglich ohne erneute Sachentscheidung auf einen unanfechtbaren Verwaltungsakt (wiederholende Verfügung). Sie lehnt konkludent den Antrag des B auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wegen neuer Sachlage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) ab. Die Ablehnung beinhaltet die Feststellung, dass die Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens nicht erfüllt sind. Sie hat verfahrensbezogenen Regelungsgehalt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Ablehnung der Behörde könnte ein Verwaltungsakt sein (§ 35 S. 1 VwVfG). Liegt eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts vor?

Genau, so ist das!

Eine Behörde ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (§ 1 Abs. 4 VwVfG). Laut Sachverhalt hat eine Behörde gehandelt. Eine hoheitliche Maßnahme ist jedes einseitig diktierende Handeln. Keine hoheitliche Maßnahme liegt vor bei privatrechtlichem Handeln der Behörde und bei Verwaltungsverträgen. Die Ablehnung der Behörde, den Fall ungeachtet möglicherweise neuer Sachlage erneut zu prüfen, ist demnach eine hoheitliche Maßnahme. Jede hoheitliche Maßnahme ergeht dabei auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts; dieses Merkmal ist somit im Merkmal der hoheitlichen Maßnahme enthalten.

3. Der Bescheid müsste weiterhin Regelungswirkung entfalten.

Ja, in der Tat!

Eine hoheitliche Maßnahme hat Regelungscharakter, wenn sie darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge unmittelbar herbeizuführen. Wiederholt die Behörde lediglich den Inhalt eines früher erlassenen Verwaltungsakt, ohne eine erneute Sachprüfung vorgenommen zu haben, liegt in aller Regel keine neue Regelung und damit kein neuer Verwaltungsakt vor. Davon abzugrenzen ist der Fall, dass die Behörde zwar keine erneute Sachprüfung vornimmt, aber einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 VwVfG) ablehnt. Hier verweist die Behörde zwar i.d.R. zur Begründung inhaltlich auf den früheren Verwaltungsakt, sie trifft aber zusätzlich die (verfahrensrechtliche) Regelung, dass das Verfahren nicht wiederaufgenommen wird.

4. B will nicht nur gegen die Ablehnung vorgehen, sondern eine neue Sachentscheidung erreichen (vgl. § 88 VwGO). Wäre daher die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft?

Nein, das ist nicht der Fall!

Lehnt die Behörde einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ab, ist die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft, mit dem Ziel, die Behörde zum Wiederaufgreifen, und damit zur erneuten Entscheidung in der Sache, zu verpflichten. Begehrt der Kläger im Ergebnis den Erlass eines gebundenen Verwaltungsakts, so kann er die Klage nach Ansicht des BVerwG sogar unmittelbar auf Erlass dieses materiellen Zweitbescheid richten. B begehrt eine neue sachliche Entscheidung (= Erlass eines Verwaltungsakts). Statthaft ist nicht die Anfechtung der Ablehnung, sondern die Verpflichtungsklage auf Erlass der begehrten Entscheidung (bei gebundenem Verwaltungsakt) oder Verpflichtung der Behörde zur erneuten (ermessensfehlerfreien) Entscheidung in der Sache.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

7.3.2020, 16:30:59

Die Antwort auf die letzte Frage kann ich nicht nachvollziehen.

FAGEB

Falk Gebhardt

14.3.2020, 21:59:18

Anders als im vorherigen Fall ist der Inhalt des Schreibens keine bloße Wiederholung des Erstbescheids sondern legt fest, dass trotzt veränderter Sachlage am VA festgehalten wird.

Isabell

Isabell

24.3.2020, 20:13:33

Ich werde beim Wiederholen nochmal genau auf die Unterschiede achten. Danke 🤗

PAT

Patrick4219

3.7.2024, 10:13:55

Auch wenn der Beitrag etwas älter ist möchte ich ihn kochmal aufgreifen, da auch ich zunächst die Abgrebzung nicht verstanden habe. Wenn die

Behörde

einen Verwaltungsakt erlassen hat und daraufhin eine Eingabe des Bürgers mit Bitte um nochmalige Prüfung erfolgt, muss die

Behörde

diesen i.d.R. auslegen. Hierzu gibt es drei Möglichkeiten: 1. Widerspruch §§ 68 ff. VwGO: Dieser ist immer dann anzunehmen, wenn ein Widerspruch (noch) zulässig ist. Grund hierfür ost der Grundsatz effektiven Rechtschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. 2. Wiederaufgreifen des Verfahrens § 51 VwVfG: Die Eingabe ist immer dann als Antrag nach § 51 VwVfG auszulegen, wenn dieser zulässig wäre. Bringt der Bürger bspw. eine Änderung der Sach-/Rechtslage oder neue Beweise vor, so ist von einem Antrag auf Wiederaufgreifen auszugehen. Auch dies folgt aus dem Grundsatz des effektiven Rechtschutzes. Eine Ablehnung des Antrags nach § 51 VwVfG stellt einen VA dar, sodass der Bürger hiergegen wieder Rechtsmittel einlegen kann. 3. Gegenvorstellung (abgeleitet aus dem Petitionsrecht): Die Gegenvorstellung ist die schwächste Form der Eingabe des Bürgers, da es sich hierbei um einen formlosen Rechtsbehelf handelt. Sie liegt immer dann vor, wenn weder Widerspruch noch Antrag nach § 51 VwVfG zulässig sind, also wenn lediglich eine allgemeine Unzufriedenheit mit der behördlichen Entscheidung kundgetan wird ohne neuen Sachverhalt oder neue Beweismittel anzubieten. Die Entscheidung über die Gegenvorstellung ist regelmäßig nicht als VA zu qualifizieren, da dieser die Außenwirkung fehlt. Die Gegenvorstellung führt nur zu einer internen Überprüfung. Sie kann daher nicht mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Ich hoffe, dass die Ausführungen vielleicht etwas mehr Licht ins Dunkel bringen :)

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

13.11.2022, 21:56:46

Ich stehe gerade auf dem Schlauch: Wenn der B will, dass die

Behörde

erneut prüft, dann würde ich sein kläg. Begehren eher auf

ermessensfehler

freie Bescheidung über erneute Sachprüfung sehen. Die bloße Beseitigung der Ablehnung hilft ihm da freilich wenig, also würde ich ehrr die

Versagungsgegenklage

statthaft sehen

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.8.2024, 10:41:37

Hallo @[Rick-energie🦦](174760), danke für die Nachfrage. Du hast Recht: Lehnt die

Behörde

einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG ab, so ist eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel, die

Behörde

zum Wiederaufgreifen als solchem zu verpflichten, zu erheben. Bei gebundenen Entscheidungen ist nach Ansicht des BVerwG die Klage sogar unmittelbar auf den Erlass des materiellen

Zweitbescheid

s zu richten. Siehe hierzu und zu weiteren Rechtsschutzkonstellationen in diesem Zusammenhang: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage 2023, RdNr. 68ff. Die Aufgabe ist entsprechend überarbeitet. Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

B333

b333

2.1.2024, 08:03:45

Muss die

Behörde

die Ablehnung nicht in irgendeiner Form begründen? Ich finde es etwas merkwürdig, dass die Ablehnung,

konkludent

die Feststellung enthält, die Voraussetzungen des Wiederaufgreifens des Verfahrens seien nicht erfüllt. Immerhin hat die

Behörde

(mangels Sachverhaltsangaben) die Sachlage nicht konkret überprüft, sondern lediglich den Antrag abgelehnt und auf den ursprünglichen VA verwiesen.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

1.12.2024, 10:09:11

Hallo @[b333](199711), natürlich muss eine

Behörde

einen VA schon nach § 39 I 1 VwVfG grds begründen, wobei die inhaltlichen Anforderungen an diese Begründung nach § 39 I 2, 3 VwVfG eingehalten werden müssen. Unsere Sachverhaltsdarstellung ist insoweit bewusst knapp gehalten, ob und in welchem konkreten Umfang die

Behörde

ihre Entscheidung begründet, wissen wir nicht. Darauf kommt es uns iRd Aufgabe allerdings auch gar nicht an, weil wir hier lediglich auf die Frage des Wiederaufgreifens und die Abgrenzung zwischen Anfechtungs- und Verpflichtungsklag näher eingehen wollen. Hinsichtlich der von Dir genannten

konkludent

en Feststellung sehe ich weniger ein Problem. Wenn die

Behörde

den Antrag des B ablehnt und sich damit gänzlich weigert, überhaupt in eine erneute inhaltliche Prüfung der Sachlage einzusteigen, gibt sie doch

konkludent

zu erkennen, dass sie keinen Grund für eine solche erneute Prüfung sieht. In der Sache lehnt die Behröde also schlicht den Antrag des B ab, der dahingehend auszulegen ist, dass er ein Wiederaufgreifen nach § 51 I Nr 1 VwVfG von der

Behörde

begehrt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

MI

Mindhunter

13.8.2024, 09:51:44

Hallo, ist es nicht genauer hier zu sagen, dass eine Verpflichtungsklage in Form der

Versagungsgegenklage

vorliegt?

PETE

Peter

20.9.2024, 16:23:33

Ich würde nicht unbedingt sagen, dass die Bezeichnung als VGK "genauer" ist. Weder in § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO noch sonst in der VwGO wird der Begriff der

Versagungsgegenklage

verwendet, die

Versagungsgegenklage

ist auch keine eigene Klageart in dem Sinne. Vielmehr fasst der Begriff eine bestimmte prozessuale Konstellation prägnant zusammen, sodass man sich als Jurist direkt etwas darunter vorstellen kann. VSG = ah, da hat also jemand einen VA beantragt, diesen (so) nicht bekommen und geht gegen diese Versagung des Erlasses des begehrten VA vor. Es kommt also im letzten darauf an, was Du unter "genauer" verstehst.. :)


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen