Zivilrecht

Sachenrecht

Sicherungsrechte an beweglichen Sachen

verlängerter Eigentumsvorbehalt (1) - Verarbeitungsklausel

verlängerter Eigentumsvorbehalt (1) - Verarbeitungsklausel

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

L liefert Holz an U (Wert: € 30) unter Eigentumsvorbehalt, die dieses unter eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung zu Möbeln (Wert: € 100) weiterverarbeitet. L möchte sicherstellen, dass sie durch die Verarbeitung sein Eigentum an dem Holz nicht verliert.

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Einordnung des Falls

verlängerter Eigentumsvorbehalt (1) - Verarbeitungsklausel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im Falle der Verarbeitung des Holzes zu Möbeln durch U, würde L ungeachtet des vereinbarten Eigentumsvorbehalts ihr Eigentum am Holz verlieren (§ 950 Abs. 1 BGB).

Ja!

Werden bewegliche Sachen dergestalt verarbeitet, dass dadurch eine neue Sache entsteht, erwirbt der Hersteller der neuen Sache das Eigentum daran, wenn der Verarbeitungswert nicht erheblich geringer ist als der Wert der Ausgangssache (§ 950 Abs. 1 BGB). Der Eigentümer der Ausgangsstoffe verliert folglich sein Eigentum. Hersteller ist nach h.M. derjenige, in dessen Name und wirtschaftlichem Interesse die Sache hergestellt wird.Da sie in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung handelt, ist U Herstellerin. Ohne weitere Vereinbarung würde U somit mit der Herstellung der Tische Eigentum an diesen erwerben.
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2. Nach der h.M. können L und U aber vereinbaren, dass § 950 BGB nicht anwendbar sein soll.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die h.M. geht davon aus, dass § 950 BGB zwingendes Recht darstellt und nicht abbedungen werden kann. Hierfür wird unter anderem angeführt, dass § 950 BGB systematisch den §§ 946ff. BGB zugeordnet ist, die allesamt zwingendes Recht sind.L und U können nach h.M. also auch nicht vereinbaren, dass der Eigentumsübergang nicht nach § 950 BGB erfolgen soll. Verarbeitet U das Holz, kommt § 950 BGB zwingend zur Anwendung, wodurch der Eigentumsvorbehalt der L wirkungslos wird.Lediglich ein Teil der Literatur vertritt die Ansicht, § 950 BGB könne von den Parteien abbedingt werden.

3. Die Parteien können zugunsten von L aber einen „verlängerten Eigentumsvorbehalt“ vereinbaren.

Ja, in der Tat!

Da es in der Praxis ein erhebliches Interesse für den Lieferanten gibt, sicherzustellen, dass er auch nach einer etwaigen Verarbeitung eine Sicherheit bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung hat, wurde in der Praxis das Rechtsinstitut des verlängerten Eigentumsvorbehalts geschaffen. Vorliegend kommt ein solcher in Form einer Verarbeitungsklausel in Betracht, bei der die Parteien vereinbaren, dass die Verarbeitung für den Lieferanten erfolgen soll. Die Folgen einer solchen Klausel sind allerdings umstritten.

4. Nach Ansicht der Rechtsprechung wäre bei Vereinbarung einer Verarbeitungsklausel vorliegend L, als Hersteller anzusehen (§ 950 BGB).

Ja!

Die Rechtsprechung interpretiert Verarbeitungsklauseln derart, dass der Lieferant als Hersteller nach § 950 BGB anzusehen ist, wenn die Parteien einen verlängerten Eigentumsvorbehalt vereinbaren.L wäre daher Herstellerin und würde nach § 950 BGB originär Eigentum an den von U hergestellten Möbeln erwerben.Um zu verhindern, dass der Lieferant eine unverhältnismäßig hohe Sicherung erhält („Übersicherung“), die ggf. zur Nichtigkeit der Klausel nach § 138 Abs. 1 BGB führt, wird in der Praxis häufig vereinbart, dass dem Lieferanten nur ein Miteigentumsanteil zusteht, der dem Wert seiner Rohstoffe am Gesamtprodukt entspricht.

5. Die herrschende Literatur deutet Verarbeitungsklauseln dahin gehend um, dass sie lediglich dazu führen, dass das Eigentum an der neu hergestellten Sache unmittelbar an den Lieferanten übertragen wird.

Genau, so ist das!

In der Literatur wird vertreten, eine Verarbeitungsklausel sei in eine vorweggenommene (=antizipierte), auflösend bedingte Sicherungsübereignung umzudeuten (§ 140 BGB). Der Lieferant verliert nach dieser Ansicht also zunächst das Eigentum an den gelieferten Sachen. Der Verarbeiter überträgt ihm dieses Eigentum aber direkt im Anschluss daran wieder. Rechtstechnisch erfolgt die dingliche Einigung schon bei Lieferung der Eingangsstoffe und es wird bereits ein Sicherungsübereignungsvertrag als Besitzmittlungsverhältnis i.S.v. § 930 BGB vereinbart.Für diese Ansicht spricht insbesondere, dass ansonsten die zwingende Natur von § 950 BGB umgangen würde.

6. Praktisch ergeben sich zwischen der Lösung der Rechtsprechung und der Literatur keine Unterschiede.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Lösung der Literatur ist für den Lieferanten unsicherer, weil der Verarbeiter Eigentum an der neuen Sache für eine juristische Sekunde erwirbt. Besonders wenn der Verarbeiter insolvent ist, kann sich daraus das Problem ergeben, dass die neu hergestellte Sache in der juristischen Sekunde Teil der Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO) wird. Dann verliert der Verarbeiter die Verfügungsbefugnis darüber (§ 80 Abs. 1 InsO) und der Lieferant kann kein Eigentum mehr erwerben. Darüber hinaus ist der Übereignungs- und Besitzmittlungswille des Verarbeiters zu dem Zeitpunkt der Verarbeitung erforderlich. Liegt dieser nicht vor, erwirbt der Lieferant kein Eigentum.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Rechthaber

Rechthaber

22.5.2024, 12:37:25

Bedarf es nach der Ansicht des BGH nach der Verarbeitung nicht noch einer aufschiebend bedingten

Rückübereignung

des Lieferanten an seinen Vertragspartner nach 929, S. 2, 158 I BGB, damit der Vertragspartner wieder ein Anwartschaftsrecht erwirbt an der neuen Sache ?

Maximilian Puschmann

Maximilian Puschmann

23.5.2024, 10:23:14

Hallo Marcela,  nein, das ist nicht nötig. Zum einen wird in der Praxis grundsätzlich nur eine "Mitherstellerklausel" vereinbart, damit man nicht in die rechtswidrige

Übersicherung

kommt (vgl § 138 I BGB), zum anderen wird immer ein Veräußerungsrecht des Käufers im eigenen Namen (vgl. 185 I BGB) mit abgeschlossen.  Viele Grüße  Max - Für das Jurafuchs-Team

ajboby90

ajboby90

5.10.2024, 22:24:55

Hab ich das richtig verstanden: Die Lit. deutet eine Verarbeitungsklausel (=verl. EV) wie folgt um (p.140): Der Lieferant übereignet vorbehaltlich an den Verarbeiter, dieser übereignet nach erfolgter Verarbeitung, aber unter Beibehaltung des Besitzes (=SÜ) direkt wieder an den Lieferanten zurück. Diese SÜ ist antizipiert und endet auflösend bedingt mit vollständiger KP-Zahlung durch den Verarbeiter an den Lieferanten, wonach das Eigentum an der verarbeiteten Sache vollständig an den Verarbeiter zurückfälllt.


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