1. I klagt gegen die Entscheidung. Besteht eine asylrelevante „Verfolgung“ (§ 3 AsylG), wenn jemand fürchten muss, in seinem Herkunftsstaat wegen seiner Religion verfolgt zu werden?
Ja!
Die Anerkennung als Flüchtling richtet sich nach dem Bestehen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat (§ 3 AsylG). Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind ein Verfolgungsgrund, eine Verfolgungshandlung und eine kausale Verknüpfung zwischen den beiden (Art. 1 Abs. 2 Buchst. Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), Art. 9 Abs. 3 QRL, § 3 AsylG). Anerkannte Verfolgungsgründe sind die Rasse, Religion, Nationalität und politische Anschauung sowie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Art. 1 A. 2. GFK, Art. 2 litera d) QRL, § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Somit liegt bei der Furcht vor Verfolgung wegen der eigenen Religion eine asylrelevante „Verfolgung“ vor.
Das hier ist ein Fall, der gern in einer atypischen Verwaltungsrechtsklausur verarbeitet werden kann. In der Klausur ginge es dann primär darum zu zeigen, dass Du mit unbekannten Normen arbeiten kannst.
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2. Die Gerichte dürfen prüfen, welche Aspekte der Glaubensbetätigung die religiöse Identität des Betroffenen prägen und ob diese eine Furcht vor Verfolgung begründen.
Genau, so ist das!
Für den Fall, dass nicht schon die bloße Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft die Gefahr einer Verfolgung begründet, hat das BVerwG Maßstäbe entwickelt. Zunächst sind in objektiver Hinsicht die Art und Schwere der Maßnahmen und Sanktionen zu prüfen, die dem Betroffenen im Herkunftsstaat drohen, wenn er seinen Glauben praktiziert. Ist die erforderliche Verfolgungsschwere gegeben, ist in subjektiver Hinsicht weiter zu prüfen, ob die Befolgung der Glaubenspraxis für den Schutzsuchenden unverzichtbar und ein zentrales Element seiner religiösen Identität ist. Diese innere Tatsache muss zur Überzeugung der Gerichte feststehen (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO). Beide Prüfungsschritte unterliegen der eigenständigen tatrichterlichen Würdigung (RdNr. 27). Diese Maßstäbe sind rechtliches Spezialwissen und werden von Dir nicht erwartet. Erwartet wird aber, dass Du mit dem Gesetz arbeitest und Dir daraus subsumtionsfähige Maßstäbe erarbeitest. Anknüpfungspunkt für diese Maßstabsbildung wäre in der Klausur, dass § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung voraussetzt.
3. Sofern der Schutzsuchende seinen Glauben bilden (forum internum) und nur nicht nach außen leben kann (forum externum), ist eine Verfolgung ausgeschlossen.
Nein, das trifft nicht zu!
BVerfG: „Die erforderliche Schwere kann insbesondere erreicht sein, wenn [dem Schutzsuchenden] durch die Betätigung seines Glaubens – im privaten oder öffentlichen Bereich – die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (RdNr. 27). Der Schutzsuchende muss sich nicht auf das sog. forum internum und den damit verbundenen Verzicht der Glaubensbetätigung nach außen verweisen lassen.
4. Die Wirksamkeit einer vollzogenen Taufe und damit die Mitgliedschaft des Schutzsuchenden in der Glaubensgemeinschaft darf von den Gerichten angezweifelt werden.
Nein!
Rechte und Pflichten der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft zählen zu den inneren Angelegenheiten der Kirchen und werden von dem den Kirchen garantierten Selbstbestimmungsrecht geschützt (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV). Zu diesen inneren Angelegenheiten zählen die Bestimmungen über die Mitgliedschaft und damit insbesondere die Taufe. Erklärt die Glaubensgemeinschaft die Taufe für gültig, haben die staatlichen Gerichte die Mitgliedschaft als Rechtstatsache zu beachten und dürfen diese nicht anzweifeln (RdNr. 29).
5. Sofern jedoch Anhaltspunkte erkennbar sind für Missbräuchlichkeit oder für eine mitbestimmende taktische Prägung des Übertritts zu einem Glauben, dürfen die Gerichte die Mitgliedschaft anzweifeln.
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine formalen Glaubensprüfung darf wegen des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nicht erfolgen. Die Verwaltungsgerichte dürfen selbst dann nicht die Mitgliedschaft infrage stellen, wenn Anhaltspunkte für eine gewisse Oberflächlichkeit, für Missbräuchlichkeit oder für eine mitbestimmende taktische Prägung des Übertritts zu einem Glauben bestehen. Jedoch dürfen sie die Anhaltspunkte für eine fehlende Ernsthaftigkeit oder Missbräuchlichkeit im Rahmen der Verfolgungsprognose berücksichtigen (RdNr. 29).
6. Überprüft das Gericht die Ernsthaftigkeit der Glaubensüberzeugung des Asylbewerbers, verletzt es das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen.
Nein, das trifft nicht zu!
Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV) umfasst alle Maßnahmen, die der Erfüllung des religiösen Auftrags dienen. Die Prüfung, ob die aus Sicht von § 3 Abs. 1 AsylG verfolgungsträchtige Glaubenspraxis für den Betroffenen zentral ist, fällt nicht in diesen Bereich. Sie liegt kraft Gesetzes ausschließlich in der Zuständigkeit der Verwaltung - hier des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - und - im Fall einer gerichtlichen Überprüfung - der Verwaltungsgerichte. Folglich handelt es bereits nicht um eine eigene Angelegenheit der Kirchen oder Religionsgemeinschaften (RdNr. 13 und 30). Aus dem Sachverhalt oder dem Aktenstück würdest Du entsprechende Sachverhaltsinformationen und entsprechenden Sachvortrag entnehmen können, der Dich auf die Spur bringt, zu solchen Argumenten rechtlich Stellung zu beziehen.
7. Die Gerichte sind bei der Beurteilung der Verfolgungsgefahr und der hierfür relevanten Ernsthaftigkeit der Glaubensentscheidung des Schutzsuchenden an die Beurteilung der Kirchen gebunden.
Nein!
Das VG bejahte dies mit Verweis auf das kirchliche Selbstverwaltungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) (RdNr. 5). Wie dargelegt umfasst dieses aber nur Maßnahmen, die der Erfüllung des religiösen Auftrags dienen. Vorliegend prüft das Gericht aber nicht die Mitgliedschaft, sondern welche verfolgungsträchtige Glaubenspraxis für die religiöse Identität für I prägend ist (§§ 2 und 3 Abs. 1 AsylG). Bei dieser Prüfung handelt es sich nicht um eine eigene Angelegenheit der Kirchen. Das Selbstverwaltungsrecht wird gar nicht tangiert. Das Gericht darf eine eigenständige Bewertung vornehmen (RdNr. 8 und 30).
8. Prüft das Gericht im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung wegen religiöser Verfolgung, ob die Glaubenspraxis für den Betroffenen zentral ist, verletzt es die Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität.
Nein, das ist nicht der Fall!
Der Staat ist unter dem GG zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet (ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV. Das bedeutet insbesondere, dass der Staat daran gehindert ist, Glaubensinhalte zu bewerten und über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen zu urteilen. Die Verwaltungsgerichte nehmen keine inhaltliche „Glaubensprüfung“ vor. Sie bewerten nicht Glaubensinhalte, formulieren keine eigene Standpunkte in Glaubensdingen oder entscheiden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen. Sie prüfen nur, wie prägend der Glaube für den Schutzsuchenden ist und welchen Glaubensgeboten er sich verpflichtet fühlt. Somit verletzen die Verwaltungsgerichte nicht die Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität (RdNr. 14 und 31).
9. Indem das Gericht prüft, ob die Glaubenspraxis für den Schutzsuchenden zentral ist, verletzen sie dessen Religionsfreiheit.
Nein, das trifft nicht zu!
Die Verwaltungsgerichte verletzen mit ihrer Prüfung nicht die individuelle Religionsfreiheit des Schutzsuchenden. Jedoch haben die Verwaltungsgerichte bei der Anwendung der vom BVerwG entwickelten Maßstäbe sowohl im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung als auch im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung „die Bedeutung des in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i.V.m Art. 9 Abs. 1 EMRK und Art. 10 GRCh verbürgten Grundrechts auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit als ein in einer demokratischen Gesellschaft zentrales Grundrecht und grundlegendes Menschenrecht in besonderem Maße zu berücksichtigen“ (RdNr. 32).
10. Wie dargelegt dürfen Gerichte die religiöse Überzeugung des Einzelnen überprüfen. Im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung dürfen sie auch eine inhaltliche Wertung zu Glaubenssätzen vornehmen.
Nein!
Der Staat darf zwar das grundrechtliche Schutzgut „Religion“ definieren. Jedoch hat er sich jeglicher inhaltlichen Bewertung des Glaubens des Einzelnen und der Kirchen zu enthalten. BVerfG: „Eine inhaltliche „Glaubensprüfung“ – etwa eine eigene Auslegung oder Priorisierung einzelner Glaubensinhalte gegenüber anderen Aspekten der jeweils betroffenen Religion – ist ihnen verschlossen, weil dies die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit, das eigene Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und innerer Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, entleeren würde“ (RdNr. 37).
11. Zwar dürfen die Gerichte keine Glaubensprüfung vornehmen. Sie müssen sich aber auch nicht mit der formalen Mitgliedschaft begnügen. Zur Feststellung der religiösen Identität, die für die Frage nach der Verfolgungsgefahr i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG relevant ist, bedarf es einer Gesamtschau.
Genau, so ist das!
Im Rahmen der Beweiswürdigung können eine Vielzahl von Kriterien herangezogen werden. Beispielsweise die religiöse Vorprägung, die Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland, der äußere Anstoß sowie die inneren Beweggründe für den Konversionsprozess sowie dessen Dauer oder Intensität und die Auswirkungen des neuen Glaubens auf das eigene Leben (RdNr. 35). All diesen Kriterien kommen jedoch stets nur die Bedeutung von Indizien zu. Eine inhaltliche Bewertung des Glaubens hat zu unterbleiben (RdNr. 37).
12. Der Schutzsuchende muss die Gefahr der Verfolgung wegen der Religion darlegen. Von ihm kann verlangt werden, dass er mit den wesentlichen Grundzügen der neuen Religion vertraut ist.
Ja, in der Tat!
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vortrag des Schutzsuchenden sowie anhand von äußeren Anhaltspunkten feststellen. Von einem Konvertiten können schlüssige Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion sowie eine Vertrautheit mit den Grundzügen der Religion erwartet werden. Hinsichtlich des Wissens müssen aber seine Geschichte, seine Persönlichkeit und sein Bildungsniveau angemessen berücksichtigt werden. Dadurch werden im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK weder die Glaubensfreiheit verletzt, noch die Beweisanforderungen überspannt (RdNr. 16 und 36). Der Fall zeigt die Herausforderung auf, zwischen der weltanschaulichen Neutralität des Staates, dem hohen Schutzgehalt der Glaubensfreiheit und den tatbestandlichen Anforderungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abzuwägen. Für Deine Klausur ist hier entscheidend, dass Du die verschiedenen Aspekte herausarbeitest, voneinander abgrenzt und zu vertretbaren Schlussfolgerungen kommst.
13. Für eine prägende Glaubensüberzeugung muss ein Mindestwissen über den Glauben bestehen.
Nein!
Die Vertrautheit des Schutzsuchenden mit den Lehraussagen einer Religionsgemeinschaft kann ein Indiz für die identitätsprägende Bedeutung der Konversion zu dieser Religion sein. Ein Umkehrschluss ist jedoch nicht zulässig. Auch ohne ein „Mindestwissen“ über den Glauben kann eine prägende Glaubensüberzeugung vorliegen. Ein Indiz dafür ist, wenn der Schutzsuchende trotz Verfolgungsgefahr an seiner Glaubenspraxis im Herkunftsstaat festhalten wird. Dass das Wissen nicht stets entscheidend ist, zeigt sich auch bei den orientalischen Kirchen, bei denen gemeinsame Glaubenspraktiken eine größere Bedeutung zukommt als der Kenntnis von Lehrsätzen (RdNr. 38).
14. I hat keinen Taufkurs besucht und verfügt nur über ein Grundwissen im Christentum mit erheblichen Lücken. Was ihm ausgerechnet zum christlichen Glauben geführt hat, erklärt I nicht. Prägt die neue christliche Religion Is religiöse Identität?
Nein, das ist nicht der Fall!
Von einem volljährigen Antragsteller kann erwartet werden, dass er schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und mit den Grundzügen seiner neuen Religion hinreichend vertraut ist, um die von ihm behauptete Gefahr der Verfolgung aus religiösen Gründen gebührend zu substantiieren. I hätte substantiiert aufzeigen müssen, was ihn ausgerechnet zum christlichen Glauben geführt hat. VGH: Es bestehe der Eindruck, dass der Beschwerdeführer christliche Glaubensinhalte lediglich erlernt, sich darüber hinaus aber nicht intensiv mit dem Glauben beschäftigt und diesen nicht als für sein weiteres Leben identitätsprägend verinnerlicht habe. Es dränge sich angesichts der sozialen Unterstützung durch die Pfarrerin und die iranische Kirchengemeinde vielmehr der Eindruck auf, dass der Beschwerdeführer sich dem Christentum vornehmlich aus sozialen und integrativen Gründen angeschlossen habe (RdNr. 9). Auch wenn es für den Betroffenen hier einen massiven Unterschied macht, welches Ergebnis rauskommt, kannst Du hier in der Klausur alles mit entsprechender Begründung vertreten. Der Sachverhalt dürfte auch eindeutige Anhaltspunkte aufweisen.