Nachschau von staatlichen Beauftragten
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Jurastudium und Referendariat.
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die Gewerbeaufsicht der Stadt S will die Betriebsräume des Gastwirts G auf die Einhaltung der hygienischen Standards untersuchen. Ein Beauftragter der S erscheint zur Mittagszeit und verlangt, sich die Küche ansehen zu dürfen.
Einordnung des Falls
Nachschau von staatlichen Beauftragten
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der sachliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet. Er erfasst nach BVerfG auch Geschäftsräume.
Ja!
2. Es liegt ein Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung vor.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Der persönliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.
Ja!
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Ferdinand
8.6.2021, 18:43:33
Wenn man sagt, dass ein Eingriff ausgeschlossen sei, wenn eine gesetzliche Vorschrift zum Betreten ermächtigt, dann stünde Art. 13 vollständig zur Disposition des Gesetzgebers. Das BVerfG schreibt in 1 BvR 2138/05 in einem solchen Fall: „Die Betriebsbesichtigung stellt eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 13 I GG dar.“ (Rn. 27, 32). Daher wäre es m. E. die dogmatisch sauberere Lösung, einen Eingriff zu bejahen und den Fall auf Rechtfertigungsebene zu lösen.
Ferdinand
8.6.2021, 18:44:08
Siehe auch: Tille, GewArch 2017, 184 (185)
Lukas_Mengestu
8.6.2021, 22:46:45
Hallo Ferdinand, dogmatisch mag es durchaus wünschenswert sein, Betretungsrechte generell unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung zu prüfen. Das BVerfG hat sich in diesem Punkt allerdings relativ klar dafür entschieden, im Grundsatz hier bereits einen Eingriff zu verneinen, wenn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Auch in dem von dir zitierten Urteil hat das BVerfG nur die konkrete Maßnahme als Beeinträchtigung gewertet, nicht aber sämtliche Prüfungen: „Die drohende Betriebsbesichtigung durch die Handwerkskammer stellt im Ergebnis eine Beeinträchtigung des Grundrechts des Bf. auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung aus Art. 13 I GG dar. Zwar ist das in einer Reihe von Gesetzen den Behörden der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung – wie namentlich den Handwerkskammern in § 17 II HandwO – eingeräumte Recht, zu Kontrollzwecken Geschäftsräume zu betreten und darin Besichtigungen und Prüfungen verschiedener Art vorzunehmen, nicht als Eingriff i.S. von Art. 13 VII GG anzusehen (vgl. BVerfGE 32, 54 [73ff.] = NJW 1971, 2299). Allerdings müssen auch für solche Betretungs- und Besichtigungsrechte von Verfassungs wegen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, um eine Beeinträchtigung des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung auszuschließen (vgl. BVerfGE 32, 54 [77] = NJW 1971, 2299).“ (BVerfG, Beschluß vom 15. 3. 2007 - 1 BvR 2138/05 = NVwZ 2007, 1049) Dieser Rechtsprechung dürfte der Umstand zugrunde liegen, dass das Bundesverfassungsgericht schon in der Vergangenheit sichtlich Schwierigkeiten hatte einen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt für eine Rechtfertigung zu finden und gleichwohl das Bedürfnis gesehen hat, dass Betretungsrechte und Betriebsprüfungen weiterhin möglich sein müssen: „Soweit aber den mit der Wirtschafts-, Arbeits- und Steueraufsicht betrauten Behörden das Recht eingeräumt wird, Betriebs- und Geschäftsräume zu betreten, um dort im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Betriebsinhabers zur Auskunftserteilung Geschäftsbücher und Akten zu prüfen oder Waren und Einrichtungen zu besichtigen, wäre eine verfassungsrechtliche Grundlage für diese Maßnahmen nach herkömmlicher Auslegung nur durch eine nicht mehr vertretbare Überdehnung des Anwendungsbereichs des Abs. 3 zu gewinnen. Auf der anderen Seite ist dem Minister darin zuzustimmen, daß solche Betretungs- und Besichtigungsrechte vielfach ein unentbehrliches Kontrollinstrument der modernen Wirtschaftsaufsicht darstellen; ihre Bedeutung für einen wirksamen und gleichmäßigen Gesetzesvollzug wächst sogar noch mit dem Eindringen öffentlich-rechtlicher Steuerungselemente in die Wirtschaftsführung privater Unternehmen und der ihr korrespondierenden Verfeinerung und Intensivierung der Wirtschaftsaufsicht im weitesten Sinne.“ (BVerfG, Beschluss vom 13. 10. 1971 - 1 BvR 280/66 = NJW 1971, 2299) Da es insofern über die Rechtfertigung nicht weiterkam, hat es sich wohl damit beholfen, entsprechende Handlungen schon nicht als Eingriff zu qualifizieren. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber dennoch nicht völlig freie Hand im Hinblick auf die gesetzliche Ausgestaltung gelassen, sondern konkrete Anforderungen im Hinblick auf die gesetzlichen Grundlagen von Betretungs- und Besichtigungsrechten aufgelistet: „Grenzt man den Kreis der hiernach nicht mehr als „Eingriffe und Beschränkungen” zu qualifizierenden Betretungs- und Besichtigungsrechte für Geschäfts- und Betriebsräume sachgemäß -d.h. unter Beachtung namentlich des Art. 2 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit - ab, so ergibt sich, daß insbesondere folgende Voraussetzungen zu fordern sind: a) eine besondere gesetzliche Vorschrift muß zum Betreten der Räume ermächtigen; b) das Betreten der Räume, die Vornahme der Besichtigungen und Prüfungen müssen einem erlaubten Zweck dienen und für dessen Erreichung erforderlich sein; c) das Gesetz muß den Zweck des Betretens, den Gegenstand und den Umfang der zugelassenen Besichtigung und Prüfung deutlich erkennen lassen; d) das Betreten der Räume und die Vornahme der Besichtigung und Prüfung ist nur in den Zeiten statthaft, zu denen die Räume normalerweise für die jeweilige geschäftliche oder betriebliche Nutzung zur Verfügung stehen.“ (BVerfG, Beschluss vom 13. 10. 1971 - 1 BvR 280/66 = NJW 1971, 2299) Beste Grüße, Lukas – für das Jurafuchs-Team
StellaChiara
21.1.2023, 18:08:01
Diese Vorgehensweise wird aber nur bei Geschäftsräumen angewandt, richtig?
Snow
11.12.2023, 19:08:42
Was für eine schlechte Entscheidung! Wie wäre es das Recht zu ändern, anstatt es bis zur Unkenntlichkeit umzudeuten!? Das Recht gibt es zwar nicht her, aber das Gericht will es ganz doll und deswegen ist es dennoch rechtmäßig. Wow.
0815jurafuchs
16.3.2024, 19:07:11
Kann mich meinem Vorredner nur anschließen. Ich habe bei o. g. Entscheidung den Eindruck, dass hier auf Ebene der Prüfung eines Eingriffs bereits eine Art vorgezogene Prüfung der Angemessenheit stattfindet, bei der die Interessen des Staates an einem Betretendürfen gegen die Interessen des Betroffenen an der Unverletzlichkeit der Wohnung abgewogen werden. Diese ist eingebettet in die Prüfung des Gesetzes, welches die Beeinträchtigung von Art. 13 gestattet - m. a. W. Es wird die Verfassungsmäßigkeit der EGL für die Beeinträchtigung von Art. 13 geprüft. Macht das Ganze in der Prüfung auch nicht einfacher, selbst wenn hier eine GR-Verletzung bereits am Eingriff scheitern sollte
Blan
18.12.2023, 14:55:17
Wenn hier nur verlangt wird sich die Küche ansehen zu dürfen, liegt dann schon ein Eingriff vor? Müsste sich nicht schon Zutritt zur Küche verschafft worden sein, um einen Eingriff bejahen zu können?