Nachschau von staatlichen Beauftragten

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Gewerbeaufsicht der Stadt S will die Betriebsräume des Gastwirts G auf die Einhaltung der hygienischen Standards untersuchen. Ein Beauftragter der S erscheint zur Mittagszeit und verlangt, sich die Küche ansehen zu dürfen.

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Einordnung des Falls

Nachschau von staatlichen Beauftragten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der sachliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet. Er erfasst nach BVerfG auch Geschäftsräume.

Ja!

Unter Wohnung versteht man solche Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine räumliche Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Lebens und Wirkens gemacht sind. Art. 13 Abs. 1 GG erfasst nach BVerfG aber auch alle Geschäftsräume, um das Wirken und die berufliche Entfaltung zu schützen. Die Berufsfreiheit stellt ein wesentliches Stück der Persönlichkeitsentfaltung dar, weshalb ihr im Rahmen der individuellen Lebensgestaltung ein besonders hoher Rang zukommt. Somit fällt auch die Küche des G in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung. Der sachliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.
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2. Es liegt ein Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung vor.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Eingriff liegt vor, wenn eine staatliche Stelle die Privatheit der Wohnung beeinträchtigt. Eine Besichtigung könnte somit einen Eingriff darstellen. Gesetzliche Besichtigungsrechte können jedoch unabhängig von den speziellen Rechtfertigungsvoraussetzungen zugelassen werden. Ein Eingriff ist deshalb ausgeschlossen, wenn eine gesetzliche Vorschrift zum Betreten ermächtigt. Die Gewerbeaufsicht der Stadt S ist als zuständige Behörde befugt, die Geschäftsräume des Auskunftspflichtigen G zur Überwachung zu betreten (§ 22 Abs. 2 GastG). Die Nachschau dient vorrangig der Kontrolle gesetzlicher Bestimmungen und ist keine Durchsuchung. Ein Eingriff liegt nicht vor.

3. Der persönliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.

Ja!

Träger des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG ist, wer unmittelbarer Besitzer der durch Art. 13 Abs. 1 GG sachlich geschützten Räume ist. G ist unmittelbarer Besitzer als Gastwirt der Betriebsräume. Der persönliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Ferdinand

Ferdinand

8.6.2021, 18:43:33

Wenn man sagt, dass ein Eingriff ausgeschlossen sei, wenn eine gesetzliche Vorschrift zum Betreten ermächtigt, dann stünde Art. 13 vollständig zur Disposition des Gesetzgebers. Das BVerfG schreibt in 1 BvR 2138/05 in einem solchen Fall: „Die Betriebsbesichtigung stellt eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 13 I GG dar.“ (Rn. 27, 32). Daher wäre es m. E. die dogmatisch sauberere Lösung, einen Eingriff zu bejahen und den Fall auf Rechtfertigungsebene zu lösen.

Ferdinand

Ferdinand

8.6.2021, 18:44:08

Siehe auch: Tille, GewArch 2017, 184 (185)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.6.2021, 22:46:45

Hallo Ferdinand, dogmatisch mag es durchaus wünschenswert sein, Betretungsrechte generell unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung zu prüfen. Das BVerfG hat sich in diesem Punkt allerdings relativ klar dafür entschieden, im Grundsatz hier bereits einen Eingriff zu verneinen, wenn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Auch in dem von dir zitierten Urteil hat das BVerfG nur die konkrete Maßnahme als Beeinträchtigung gewertet, nicht aber sämtliche Prüfungen: „Die drohende Betriebsbesichtigung durch die Handwerkskammer stellt im Ergebnis eine Beeinträchtigung des Grundrechts des Bf. auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung aus Art. 13 I GG dar. Zwar ist das in einer Reihe von Gesetzen den

Behörde

n der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung – wie namentlich den Handwerkskammern in § 17 II HandwO – eingeräumte Recht, zu Kontrollzwecken Geschäftsräume zu betreten und darin Besichtigungen und Prüfungen verschiedener Art vorzunehmen, nicht als Eingriff i.S. von Art. 13 VII GG anzusehen (vgl. BVerfGE 32, 54 [73ff.] = NJW 1971, 2299). Allerdings müssen auch für solche Betretungs- und Besichtigungsrechte von Verfassungs wegen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, um eine Beeinträchtigung des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung auszuschließen (vgl. BVerfGE 32, 54 [77] = NJW 1971, 2299).“ (BVerfG, Beschluß vom 15. 3. 2007 - 1 BvR 2138/05 = NVwZ 2007, 1049) Dieser Rechtsprechung dürfte der Umstand zugrunde liegen, dass das Bundesverfassungsgericht schon in der Vergangenheit sichtlich Schwierigkeiten hatte einen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt für eine Rechtfertigung zu finden und gleichwohl das Bedürfnis gesehen hat, dass Betretungsrechte und Betriebsprüfungen weiterhin möglich sein müssen: „Soweit aber den mit der Wirtschafts-, Arbeits- und Steueraufsicht betrauten

Behörde

n das Recht eingeräumt wird, Betriebs- und Geschäftsräume zu betreten, um dort im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Betriebsinhabers zur Auskunftserteilung Geschäftsbücher und Akten zu prüfen oder Waren und Einrichtungen zu besichtigen, wäre eine verfassungsrechtliche Grundlage für diese Maßnahmen nach herkömmlicher Auslegung nur durch eine nicht mehr vertretbare Überdehnung des Anwendungsbereichs des Abs. 3 zu gewinnen. Auf der anderen Seite ist dem Minister darin zuzustimmen, daß solche Betretungs- und Besichtigungsrechte vielfach ein unentbehrliches Kontrollinstrument der modernen Wirtschaftsaufsicht darstellen; ihre Bedeutung für einen wirksamen und gleichmäßigen Gesetzesvollzug wächst sogar noch mit dem Eindringen öffentlich-rechtlicher Steuerungselemente in die Wirtschaftsführung privater Unternehmen und der ihr korrespondierenden Verfeinerung und Intensivierung der Wirtschaftsaufsicht im weitesten Sinne.“ (BVerfG, Beschluss vom 13. 10. 1971 - 1 BvR 280/66 = NJW 1971, 2299) Da es insofern über die Rechtfertigung nicht weiterkam, hat es sich wohl damit beholfen, entsprechende Handlungen schon nicht als Eingriff zu qualifizieren. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber dennoch nicht völlig freie Hand im Hinblick auf die gesetzliche Ausgestaltung gelassen, sondern konkrete Anforderungen im Hinblick auf die gesetzlichen Grundlagen von Betretungs- und Besichtigungsrechten aufgelistet: „Grenzt man den Kreis der hiernach nicht mehr als „Eingriffe und Beschränkungen” zu qualifizierenden Betretungs- und Besichtigungsrechte für Geschäfts- und Betriebsräume sachgemäß -d.h. unter Beachtung namentlich des Art. 2 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit - ab, so ergibt sich, daß insbesondere folgende Voraussetzungen zu fordern sind: a) eine besondere gesetzliche Vorschrift muß zum Betreten der Räume ermächtigen; b) das Betreten der Räume, die Vornahme der Besichtigungen und Prüfungen müssen einem erlaubten Zweck dienen und für dessen Erreichung erforderlich sein; c) das Gesetz muß den Zweck des Betretens, den Gegenstand und den Umfang der zugelassenen Besichtigung und Prüfung deutlich erkennen lassen; d) das Betreten der Räume und die Vornahme der Besichtigung und Prüfung ist nur in den Zeiten statthaft, zu denen die Räume normalerweise für die jeweilige geschäftliche oder betriebliche Nutzung zur Verfügung stehen.“ (BVerfG, Beschluss vom 13. 10. 1971 - 1 BvR 280/66 = NJW 1971, 2299) Beste Grüße, Lukas – für das Jurafuchs-Team

STE

StellaChiara

21.1.2023, 18:08:01

Diese Vorgehensweise wird aber nur bei Geschäftsräumen angewandt, richtig?

Snow

Snow

11.12.2023, 19:08:42

Was für eine schlechte Entscheidung! Wie wäre es das Recht zu ändern, anstatt es bis zur Unkenntlichkeit umzudeuten!? Das Recht gibt es zwar nicht her, aber das Gericht will es ganz doll und deswegen ist es dennoch rechtmäßig. Wow.

0815jurafuchs

0815jurafuchs

16.3.2024, 19:07:11

Kann mich meinem Vorredner nur anschließen. Ich habe bei o. g. Entscheidung den Eindruck, dass hier auf Ebene der Prüfung eines Eingriffs bereits eine Art vorgezogene Prüfung der Angemessenheit stattfindet, bei der die Interessen des Staates an einem Betretendürfen gegen die Interessen des Betroffenen an der Unverletzlichkeit der Wohnung abgewogen werden. Diese ist eingebettet in die Prüfung des Gesetzes, welches die Beeinträchtigung von Art. 13 gestattet - m. a. W. Es wird die

Verfassungsmäßigkeit

der EGL für die Beeinträchtigung von Art. 13 geprüft. Macht das Ganze in der Prüfung auch nicht einfacher, selbst wenn hier eine GR-Verletzung bereits am Eingriff scheitern sollte

Blan

Blan

18.12.2023, 14:55:17

Wenn hier nur verlangt wird sich die Küche ansehen zu dürfen, liegt dann schon ein Eingriff vor? Müsste sich nicht schon Zutritt zur Küche verschafft worden sein, um einen Eingriff bejahen zu können?

G0D0FM

G0d0fMischief

27.8.2024, 15:42:13

Wäre es hier falsch zunächst zu prüfen, ob ein

klassischer Eingriff

vorliegt und dann ob ein moderner Eingriff vorliegt? Ich hab das Gefühl, dass anfangs noch strikt nach diesem Schema geprüft wurde und jetzt nicht mehr. Ist es falsch im Falle des Art. 13 (und auch Art. 12) GG erst einen klassischen Eingriff zu prüfen?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

30.8.2024, 12:23:07

Hallo @[G0d0fMischief](217996), danke für Deine Frage. Nein, es ist nicht falsch, bei einem Grundrecht den Eingriff erst nach dem klassischen

Eingriffsbegriff

zu prüfen (und zu verneinen) und dann nach dem modernen

Eingriffsbegriff

. Das kommt in der Regel sehr gut. Wenn Du einen Eingriff nach dem klassischen

Eingriffsbegriff

hast, brauchst Du den Eingriff nach dem modernen

Eingriffsbegriff

nicht mehr prüfen, denn darauf kommt es dann ja nicht mehr an. Wenn Du Dir nicht sicher bist, ob ein Eingriff nach dem klassischen

Eingriffsbegriff

vorliegt, ist es in einer Examensklausur auch in Ordnung, wenn Du schreibst, dass ein Eingriff jedenfalls nach dem modernen

Eingriffsbegriff

vorliegt. Wir haben bei Lerninhalten zu den einzelnen Grundrechten teilweise auf eine detaillierte Eingriffsprüfung verzichtet, weil diese ja schon in den allgemeinen Grundrechtsl

ehre

n dargestellt wurde. Aber Achtung: Du musst die Spezifika der einzelnen Grundrechte immer beachten. So musst Du etwa bei der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) immer prüfen, ob die Maßnahme

berufsregelnde Tendenz

aufweist, um einen Eingriff annehmen zu können. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

G0D0FM

G0d0fMischief

30.8.2024, 17:35:23

Danke für die schnelle Nachricht! Das hat mir sehr weitergeholfen :)


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