Gefälschter Impfausweis

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Krankenpfleger K wird von Pflegeeinrichtung P informiert, dass ab November 2021 nur noch geimpfte Mitarbeiter dort arbeiten dürfen. Daraufhin erklärt K wahrheitswidrig, er sei geimpft und legt einen gefälschten Impfpass vor. Als die Fälschung auffliegt, spricht P sofort die fristlose Kündigung aus.

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Einordnung des Falls

Gefälschter Impfausweis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Arbeitsverhältnis kann auch ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden.

Ja, in der Tat!

Das Arbeitsverhältnis kann sowohl durch ordentliche Kündigung zum Ende der Kündigungsfrist (§ 622 BGB) beendet werden, als auch durch außerordentliche Kündigung ohne Einhaltung von Kündigungsfristen (§ 626 Abs. 1 BGB). Nach § 626 Abs. 1 BGB kann jedes Dienstverhältnis und damit jedes Arbeitsverhältnis von beiden Vertragsteilen ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, sofern ein wichtiger Grund vorliegt. Dazu müssen Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
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2. Die Prüfung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, wird in zwei Stufen vorgenommen.

Ja!

Die Prüfung, ob ein wichtiger Grund gegeben ist, erfolgt zweistufig: (1) Prüfung, ob der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls „an sich“, also generell und typischerweise geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund zu bilden. (2) Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung dieser Umstände und unter umfassender Abwägung der Interessen beider Vertragsteile im Einzelfall unzumutbar ist oder nicht. Auch eine außerordentliche Kündigung kann aufgrund der in § 1 Abs. 2 KSchG genannten Gründen ausgesprochen werden. Da § 626 BGB aber keine Aufzählung von möglichen Kündigungsgründen enthält, können auch andere Gründe einen wichtigen Grund darstellen.

3. Die Vorlage des gefälschten Impfpasses ist ein Sachverhalt, der „an sich“ objektiv geeignet ist, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

Genau, so ist das!

Ein Verstoß gegen Haupt- oder Nebenpflichten des Arbeitsvertrags und eine mit der Handlungsweise einhergehende Störung des Arbeits- und Vertrauensverhältnisses sind objektiv geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer muss seine vertraglichen Pflichten erfüllen und dabei die Interessen des Arbeitgebers so wahren (§ 241 Abs. 2 BGB). Aus der Pflicht zur Interessenwahrung folgt insbesondere, dass der Arbeitnehmer einen dem Betrieb oder anderen Arbeitnehmern drohenden Schaden verhindern muss. Die Vorlage des gefälschten Impfpasses ist eine Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflicht, die in einer Pandemielage zu erheblichen Gefahren für den Gesundheitsschutz Dritter führen kann.

4. Liegt im konkreten Fall eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor?

Ja, in der Tat!

Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses muss unter Berücksichtigung aller Umstände und umfassender Abwägung der Interessen beider Vertragsteile im Einzelfall unzumutbar sein (2. Stufe). Maßgeblich ist nur, ob eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist. Zu berücksichtigen sind: Gewicht und Auswirkungen der Pflichtverletzung, Dauer der Betriebszugehörigkeit, mögliches Verschulden, Maß des Vertrauensverlusts, mögliche Wiederholungsgefahr. Die Vorlage eines gefälschten Impfpasses stellt eine erhebliche Pflichtverletzung vor, die ein hohes Maß an krimineller Energie aufweist und durch die die Basis für weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen ist. Es ist P deshalb nicht zumutbar, K bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.

5. Die Kündigung ist allerdings unwirksam, weil keine Abmahnung erfolgt ist.

Nein!

Da die Beendigungskündigung ultima ratio ist, ist eine Abmahnung (bei verhaltensbedingtem Kündigungsgrund) vorrangig. Der Arbeitgeber muss das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitnehmers konkret beanstanden und darauf hinweisen, dass im Wiederholungsfall die Kündigung droht (Rechtsgedanken des § 314 Abs. 2 BGB). Die Abmahnung ist aber ausnahmsweise entbehrlich, wenn schwere Pflichtverletzungen vorliegen oder wenn sie von vornherein nicht geeignet ist, eine Verhaltensänderung zu erreichen. Bei Vorlage des gefälschten Impfpasses handelt es sich um eine so schwere Pflichtverletzung, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem P nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich -auch für K erkennbar- ausgeschlossen ist. K war sich zudem bewusst, dass sein Verhalten rechtswidrig war und es aufgrund des hohen Infektionsrisiko schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben kann.

6. Die außerordentliche fristlose Kündigung des K ist unwirksam, weil P die Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB) nicht gewahrt hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 626 Abs. 2 BGB muss die Kündigung innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis des Kündigungsberechtigten von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erfolgen. P sprach sofort nach Erlangung der Kenntnis von der Fälschung des Impfpasses die Kündigung aus, sodass er die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist gewahrt hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAV

David.

6.4.2023, 17:37:03

Die Kündigung wäre hier doch dennoch unwirksam, weil die Schriftform hier nicht eingehalten wurde.

Daniel - Laufamholzer

Daniel - Laufamholzer

6.5.2023, 11:43:25

Im Sachverhalt ist nicht angelegt, dass die Kündigung mündlich erfolgt ist, auch wenn die Zeichnung das so zur Anschaulichkeit darstellt. Nachdem die Art der Kündigung auch nicht problematisiert wurde kann man die Schriftform, denke ich Mal, einfach annehmen.

DAV

David.

9.5.2023, 18:50:13

Grundsätzlich schon, nur für diejenigen, die nicht unbedingt direkt auf dem Schirm haben, dass die Kündigung der Schriftform bedarf, kann der Fall, insbesondere im Zusammenhang mit der Zeichnung, schnell den Eindruck erwecken, dass die Kündigung hier auch mündlich wirksam wäre.


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