Öffentliches Recht

Grundrechte

Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 GG)

Reichweite des Schutzes: Verhalten muss als plausibel glaubensgeleitet erscheinen (Negativbeispiel 1a: Extrembeispiel)

Reichweite des Schutzes: Verhalten muss als plausibel glaubensgeleitet erscheinen (Negativbeispiel 1a: Extrembeispiel)

10. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M ist Mitglied der Gemeinschaft der Aluhüte. Er praktiziert als Einziger das Rauchen von Aluhüten zu Ehren des Alu-Gottes. Als Polizist P den M im Naturschutzgebiet erwischt, untersagt er ihm das Aluhut-Rauchen.

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Einordnung des Falls

Reichweite des Schutzes: Verhalten muss als plausibel glaubensgeleitet erscheinen (Negativbeispiel 1a: Extrembeispiel)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Verhalten des M fällt aus dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) heraus, da diese nur traditionell bekannte Weltreligionen schützt.

Nein!

Ein Glaube im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist die religiöse Überzeugung von der Stellung des Menschen in der Welt und seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten. Diese Definition beschränkt sich nicht auf Weltreligionen oder traditionell bekannte Religionen und Überzeugungen. Vielmehr sind für die Einordnung einer Gruppierung als Religion verschiedene Kriterien relevant. Darunter fallen die aktuelle Lebenswirklichkeit, Kulturtradition sowie religionswissenschaftliches Verständnis. Auf die Größe der Gruppierung kommt es nicht an. Dass M seine Religionsfreiheit nicht im Rahmen einer der bekannten und traditionellen Weltreligionen ausübt, steht einem Schutz durch die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht entgegen. Auch andere Gemeinschaften und deren glaubensgeleitetes Verhalten können von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt sein. In diesem - fiktiven - Fall wäre die Grundrechtsprüfung an dieser Stelle bereits zu Ende, weil die - fiktive - Gemeinschaft der Aluhüte erkennbar nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Religion i.S.d. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfüllt.
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2. Ms Verhalten fällt in den Schutzbereich der Religionsfreiheit, auch wenn er dieses Verhalten als Einziger innerhalb seiner Gemeinschaft praktiziert.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die religiöse Betätigungsfreiheit schützt nicht jedes Verhalten als Ausdruck der eigenen Glaubensfreiheit. Sonst würde der Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ausufern. Daher wird der Schutzbereich eingeschränkt: Das streitgegenständliche Verhalten muss nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild eine religiös motivierte Handlung sein. Dies muss der Grundrechtsträger plausibel machen, die bloße Behauptung reicht nicht aus (Plausibilitätskontrolle). Dabei wird auch das Selbstverständnis der betroffenen Religion(sgemeinschaft) berücksichtigt: Das jeweilige Verhalten muss nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung als Glaubensregel der betreffenden Religion plausibel erscheinen. Das Rauchen von Aluhüten wird innerhalb der Gemeinschaft der Aluhüte nur von M praktiziert. Es ist nicht erkennbar, dass das Verhalten nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung als Glaubensregel der Gemeinschaft der Aluhüte plausibel ist. Ms Verhalten hält mithin der Plausibilitätskontrolle nicht stand und fällt nicht in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

4.7.2022, 13:28:20

Ich dachte, u.a. weil der Staat es sich nicht anmaßen kann, darüber zu urteilen welche Praktiken zu einer Religion gehören oder nicht gehören, kommt es auf das Selbstverständnis des

Grundrechtsträger

s an? Außerdem seien auch Glaubensinhalte und -praktiken geschützt, denen nur von einzelnen Individuen ohne Gemeinschaft angehangen wird?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

19.7.2022, 14:23:05

Hallo Daniel, genau das ist die schwierige Abwägung, die das BVerfG versucht mittels der Plausibilitätskontrolle zu erreichen. Zum Einen soll nicht jedes x-beliebige Verhalten unter die Religionsfreiheit fallen, nur weil sich der

Grundrechtsträger

gerade darauf beruft. Zum anderen steht dem Staat kein Urteil zu. Daher legt das BVerfG den Maßstab der Plausibilität an. Derjenige, der die Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG in Anspruch nehmen will, muss plausibel darlegen, dass sein Verhalten glaubensbegleitet ist. Hierfür genügt die bloße Behauptung, sich glaubensbegleitet zu verhalten, nicht. Vielmehr muss plausibel sein, dass es sich bei der fraglichen Verhaltensweise für eine Gruppe der Glaubensmitglieder als verbindlich empfundene Verhaltensregel handelt. Ms alleinige Behauptung ist also nicht ausreichend. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Makschuu

Makschuu

6.4.2023, 17:18:37

Hi :) Ich finde die letzte Frage auch ein wenig missverständlich. Denn das Rauchen der Aluhüte fällt ja nicht aus dem Schutzbereich, weil nur M dies tut, sondern weil sein Verhalten der Plausibilitätskontrolle nicht stand hält. LG

BI

Bilbo

28.12.2023, 18:32:12

Habe auch denselben Eindruck wie Makschuu und finde, dass das in diesem Kapitel und den Kommentaren nicht restlos geklärt/erklärt wurde, ob die Betrachtung des Selbstverständnisses der Religion/Glaubensgemeinschaft (iSv: wir schauen, ob die Praktik innerhalb dieser Gruppe verbreitet ist) nun ein zusätzliches Element neben der Plausibilitätskontrolle ist (iSv: wir schauen, ob die Praktik bei der betroffenen Person durch ein inneres religiöses Verpflichtungsgefühl bedingt ist) oder ein Teil derselben. Und ob beides vorliegen muss. Für Auf-/Erklärung wäre ich dankbar!


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