+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
Neues Kaufrecht 2022
K kauft bei V einen VW Golf mit Serienausstattung und durchschnittlicher Laufleistung als Jahreswagen für €20.000. Am Markt sind sehr viele ähnliche VW Golf verfügbar. Im Kaufvertrag wird festgehalten, dass der Wagen unfallfrei ist. Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass der Wagen einen Unfallschaden hat.
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Einordnung des Falls
Nachlieferung bei Stückschulden – Gebrauchtwagen
Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Rheinland-Pfalz 2023
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Das Auto war bei Gefahrübergang mangelhaft, weil es im Zeitpunkt der Übergabe von der „vereinbarten Beschaffenheit“ abweicht (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB).
Ja!
Eine Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) liegt insbesondere vor, wenn der Verkäufer bei Vertragsschluss die Eigenschaften der verkauften Sache in einer bestimmten Weise umschreibt. Der Verkäufer muss dafür zum Ausdruck bringen, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen. Beschaffenheit meint natürliche (physische) Eigenschaften der Sache, aber auch deren tatsächliche, wirtschaftliche, soziale und rechtliche Beziehungen zur Umwelt, sofern sie nach der Verkehrsanschauung für die Brauchbarkeit oder den Wert der Sache bedeutsam sind. Bei Übergabe (§ 446 S. 1 BGB) wies das Auto nicht die Eigenschaft „unfallfrei“ auf, die im Vertrag ausdrücklich vereinbart wurde (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB).§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB n.F. entspricht dem bis zum 31.12.2021 geltenden § 434 Abs. 1 S. 1 BGB a.F.
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2. Ist die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft, kann der Käufer Nacherfüllung verlangen (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer nach § 439 BGB Nacherfüllung verlangen (§ 437 Nr. 1 BGB). Er kann dabei als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) oder die Lieferung einer mangelfreien Sache (Nachlieferung) verlangen (§ 439 Abs. 1 BGB). An eine einmal getroffene Wahl ist der Käufer nach hM bis zur Vornahme der Nacherfüllung grundsätzlich nicht gebunden (Grenze: § 242 BGB). Der Käufer muss bei der Geltendmachung des Nacherfüllungsverlangens anbieten, dem Verkäufer am Erfüllungsort eine Untersuchung der erhobenen Mängelrügen zu ermöglichen (seit 1.1.2022 in § 439 Abs. 5 BGB kodifiziert).
3. K könnte die Reparatur des VW Golf verlangen (§ 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
Der Käufer kann Nachbesserung verlangen (§ 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB), sodass der Verkäufer verpflichtet ist, den Mangel selbst zu beseitigen oder ihn durch einen Dritten beseitigen zu lassen. Die Nachbesserung ist jedoch unmöglich, wenn es sich um einen unbehebbaren Mangel handelt (§ 275 Abs. 1 BGB). Dann ist der Nachbesserungsanspruch ausgeschlossen. Hier kann das Auto auch durch die beste fachmännische Reparatur nicht mehr zu einem unfallfreien Fahrzeug werden, sodass eine Nachbesserung von Anfang an unmöglich ist.
4. Bei Stückschulden ist eine Nachlieferung stets unmöglich, weil die Lieferung einer anderen Sache ein aliud (§ 434 Abs. 5 BGB) und daher stets eine mangelhafte Nacherfüllung darstellen würde.
Nein!
Der Käufer einer mangelhaften Sache kann statt Nachbesserung auch die Lieferung einer anderen gleichartigen und gleichwertigen mangelfreien Sache (Nachlieferung) verlangen (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Beim Gattungskauf muss dann ein anderes Exemplar aus der vereinbarten Gattung geleistet werden. Auch wenn bei der
Stückschuld grundsätzlich nur die Lieferung der konkret geschuldeten Sache verlangt werden kann, kommt hier eine Nachlieferung in Betracht. Allerdings ist diese nach hM nur dann möglich, wenn die Kaufsache nach dem (hypothetischen) Parteiwillen durch eine gleichartige und gleichwertige Sache ersetzt werden kann. Das ist in der Regel der Fall bei vertretbaren Sachen (§ 91 BGB) oder wenn auch mit der Ersatzsache das Leistungsinteresse des Käufers befriedigt wird. Entscheidend ist also, dass der Käufer durch die Ersatzlieferung im Ergebnis das erhält, was er haben wollte. Dies ist umso weniger der Fall, desto individueller die Kriterien waren, die beim Kauf bezüglich der konkreten Sache zugrunde lagen.
5. Bei dem gebrauchten VW Golf handelt es sich um eine Gattungsschuld.
Nein, das trifft nicht zu!
Bei der Gattungsschuld (§ 243 Abs. 1 BGB) bestimmen die Parteien den Leistungsgegenstand bloß nach allgemeinen Merkmalen als Teil einer Gruppe von Gegenständen (Gattung). Eine Stückschuld liegt dagegen vor, wenn der Leistungsgegenstand individuell bestimmt wurde, also nur mit einem ganz bestimmten Gegenstand geleistet werden soll.BGH: Beim Kauf eines Gebrauchtwagens komme es für den Kaufentschluss regelmäßig stärker auf den bei einer persönlichen Besichtigung gewonnenen Gesamteindruck des Fahrzeuges an, als auf den Typ bzw. die Ausstattungsmerkmale des Fahrzeuges. Insoweit liegt eine Stückschuld vor.