Verbot des Abseilens an einer Autobahnbrücke ("Dannenröder Forst")


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A meldet eine Versammlung auf einer Brücke über eine stark befahrene Autobahn an. Bei der Aktion sollen Aktivisten über das Geländer klettern, um Transparente aufzuhängen. Die Versammlungsbehörde verbietet die Versammlung. Vorläufiger Rechtsschutz hiergegen wird von VG und OVG abgelehnt.

Einordnung des Falls

Verbot des Abseilens an einer Autobahnbrücke ("Dannenröder Forst")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A wendet sich mit einem Eilantrag an das BVerfG. Vor dem BVerfG gibt es vorläufigen Rechtsschutz.

Genau, so ist das!

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Voraussetzung ist dabei stets, dass sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf eine Hauptsache bezieht, die überhaupt nach Art. 93 GG, § 13 BVerfGG vor das BVerfG gebracht werden kann.

2. Zur Entscheidung über den Antrag findet eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache statt.

Nein, das trifft nicht zu!

Anders als bei §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO findet grundsätzlich keine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache statt. Die Gründe, die A für die Verfassungswidrigkeit des Hoheitsaktes anführt, bleiben außer Betracht. Die Erfolgsaussichten werden nur ausnahmsweise berücksichtigt. Dies ist zum einen der Fall, wenn sich die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Dies ist zum anderen der Fall, wenn sich der Antrag gegen eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung richtet, bei der ein Abwarten den Grundrechtsschutz mit hoher Wahrscheinlichkeit vereiteln würde (RdNr. 2).

3. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, also die Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet, erfolgt eine Folgenabwägung.

Ja!

Richtig. Es erfolgt eine Folgenabwägung nach der Doppelhypothese. Dabei sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Hauptsacheverfahren aber später erfolglos bliebe (RdNr. 2).

4. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung muss hinreichend begründet sein.

Genau, so ist das!

Der Antrag muss so begründet sein, dass das BVerfG wenigstens summarisch beurteilen kann, dass die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (RdNr. 3). Die Begründung des Antrags ist gemäß § 23 BVerfGG Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

5. Für eine hinreichende Begründung des Antrags müssen die Unterlagen vorgelegt werden, die auch für eine hinreichende Begründung der Verfassungsbeschwerde erforderlich sind.

Ja, in der Tat!

Die für eine hinreichende Begründung der Verfassungsbeschwerde erforderlichen Unterlagen (§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG) müssen bereits beim Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorgelegt werden, sofern nicht nachvollziehbar dargelegt wird, dass dies gegenwärtig nicht möglich ist. Mit dem Antrag müssen daher grundsätzlich der angegriffene Hoheitsakt sowie die zu seinem Verständnis notwendigen Unterlagen vorgelegt werden (RdNr. 3).

6. Für eine hinreichende Begründung genügt es, wenn A nur einzelne Passagen aus der angegriffenen Entscheidung des OVG zitiert und ansonsten mitteilt, dass das OVG die Gründe des VG wiederholt.

Nein!

Nein. A muss die gesamte Entscheidung des OVG vorlegen. Ohne die Entscheidung des OVG fehlt dem BVerfG die Grundlage, um beurteilen zu können, welche Erwägungen für die Entscheidung des OVG tragend waren. Zudem kann das BVerfG nicht erkennen, ob die Entscheidungsgründe des OVG von A vollständig und zutreffend wiedergegeben wurden (RdNr. 4).

7. Unterstellt, der Antrag des A wäre hinreichend begründet, so kann das BVerfG sich bei der Folgenabwägung auf die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen der angegriffenen Entscheidungen stützen.

Genau, so ist das!

Grundsätzlich hat das BVerfG die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen der angegriffenen Entscheidungen zugrunde zu legen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Tatsachen offensichtlich falsch festgestellt oder unter Berücksichtigung der Grundrechtsnormen offensichtlich falsch gewürdigt wurden (RdNr. 7).Das VG hat festgestellt, dass die Abseilaktion aus Sicherheitsgründen eine Sperrung der Autobahn erforderlich mache. Bei hohem Verkehrsaufkommen könne dies zu Stau und in der Folge zu Auffahrunfällen führen. Gleiche Gefahren bestünden bei einer Geschwindigkeitsreduzierung oder der Sperrung einzelner Fahrspuren (RdNr. 6).

8. A erklärt, dass diese Gefahr auch bei einem anderen Ort gegeben sei und das VG folglich diese Tatsache falsch gewürdigt habe. Das BVerfG darf sich trotzdem auf diese Tatsachenwürdigung stützen.

Ja, in der Tat!

Ja. Das Vorbringen des A begründet allenfalls Zweifel an der Eignung des Alternativstandorts. Die Gefahrenprognose des VG hinsichtlich des geplanten Veranstaltungsortes wird dadurch aber nicht erschüttert (RdNr. 6 und 8). Das BVerfG darf sich auf die Tatsachenwürdigung des VG im Rahmen seiner Folgeabwägung stützen.

9. Wenn keine einstweilige Anordnung ergeht, das Hauptsacheverfahren aber später Erfolg hat, ist eine erhebliche Grundrechtsbetroffenheit gegeben.

Ja!

Richtig. Wenn keine einstweilige Anordnung ergeht, daher das Versammlungsverbot nicht aufgehoben wird, sich aber später im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass das Versammlungsverbot verfassungswidrig war, dann ist der A in seinem Grundrecht nach Art. 8 Abs. 1 GG verletzt. Diese Grundrechtsverletzung ist insgesamt von erheblichem Gewicht. Dies gilt zum einen im Hinblick auf A, weil die geplante Versammlung vollständig untersagt wird. Dies gilt im Hinblick auf das demokratische Gemeinwesen angesichts der Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die freiheitliche Staatsordnung des GG (RdNr. 9).

10. Wenn die einstweilige Anordnung ergeht, das Hauptsacheverfahren aber später keinen Erfolg hat, ist ebenfalls eine erhebliche Grundrechtsbetroffenheit gegeben.

Genau, so ist das!

Richtig. Wenn eine einstweilige Anordnung ergeht, daher die Versammlung stattfindet, sich aber später herausstellt, dass das Verbot zur Verhinderung der beschriebenen Gefahren rechtmäßig war, dann sind die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Interessen zahlreicher Verkehrsteilnehmer nachteilig betroffen. Diese sind ebenfalls von hohem Gewicht (RdNr. 9).

11. Bei der Abwägung muss berücksichtigt werden, dass der Standort für die Versammlung von zentraler Bedeutung ist.

Ja, in der Tat!

Der Standort ist für das mit der Versammlung verfolgte kommunikative Anliegen von zentraler Bedeutung (RdNr. 9). Deshalb ist die Wahl des Versammlungsorts selbst von der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG geschützt.Im vorliegenden Fall war der Standort bedeutend, weil dort bereits eine Versammlung stattgefunden hatte und Teilnehmer strafrechtlich verfolgt worden sind. Zudem sind verkehrsreiche Straßen besonders geeignet, um ein Anliegen wirksam in die Öffentlichkeit zu tragen (RdNr. 9).

12. Bei der Abwägung muss berücksichtigt werden, dass die Versammlung grundsätzlich auch an anderer Stelle durchgeführt werden kann.

Ja!

Richtig. Ein allgemeines Versammlungsverbot auf Autobahnen besteht nicht. Versammlungen auf Autobahnen sind grundsätzlich möglich und ihr Widmungszweck (Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen, vgl. § 1 Abs. 3 FStrG) muss insoweit zurücktreten. Entscheidend sind jeweils die konkreten Verhältnisse am gewünschten Kundgebungsort. Bei der Abwägung sind die Interessen von unbeteiligten Dritten mit einzubeziehen (RdNr. 9). In einem Fall hat das VG beispielsweise eine Versammlung bei einem sackgassenartigen Ausbaustück, auf dem weitaus weniger Verkehr herrscht, für zulässig erachtet.

13. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg, weil eine Folgenabwägung zum Nachteil des A ausgeht.

Genau, so ist das!

Angesichts der Gefahr von erheblichen Personenschäden infolge von Verkehrsstaus und Auffahrunfällen überwiegt das durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Interesse der Verkehrsteilnehmer vorliegend das von Art. 8 Abs. 1 GG umfasste Bestimmungsrecht über den Versammlungsort (RdNr. 9). Das VG stellte dazu fest, dass bei der Abseilaktion die Autobahn aus Sicherheitsgründen gesperrt werden müsse. Aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens führe dies zu Staus und in der Folge zu Auffahrunfällen. Gleiche Gefahren bestünden bei einer Geschwindigkeitsreduzierung oder bei der Sperrung einzelner Fahrspuren (RdNr. 6). Dies sei nach BVerfG nicht zu beanstanden.

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XX

xxx

10.9.2021, 14:13:41

Wäre nicht gerade das Versammlungsrecht ein Anwendungsfall für die summarische Prüfung als Prüfungsmaßstab, da hier die EilEntscheidung oft unumkehrbar ist und darüber entscheidet, ob die Versammlung noch stattfinden kann oder eben nicht?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

7.12.2021, 19:01:19

Hallo xxx, danke für deine Frage. Hier geht es um Eilrechtsschutz vor dem BVerfG gemäß § 32 BVerfGG. Achtung: Hier ist der Prüfungsmaßstab ein anderer als beim Eilrechtsschutz nach §§ 80, 80a, 123 VwGO! Bei § 32 BVerfGG werden gerade nicht die Erfolgsaussichten in der Hauptsache geprüft, sondern es erfolgt eine Folgenabwägung nach der Doppelhypothese. Schau dir den Fall bitte nochmal an. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

XX

xxx

7.12.2021, 19:20:44

Aber gerade nicht im Versammlungsrecht. Da findet eine summarische Prüfung statt. Siehe dazu die Entscheidungen des BVerfG!

JO

jomolino

8.2.2022, 10:57:04

Und in den Antworten stellt ihr zum Teil auf die Verfahren nach dem VwGO ab, obwohl hier doch Getafe eilrechtsschutg vor dem BVerfG gesucht wird. Und in den Verfahren nach der VwGO findet doch gerade eine summarische Prüfung statt/richtet es sich nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache sodass dies auch in ser begründetheit relevant wird.

PH

Philippe

1.4.2022, 17:03:29

Ich habe es auch so in Erinnerung, dass Versammlungen, wenn gegen ein Verbot/Auflage um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht wird, ein Anwendungsfall der ausnahmsweise vorzunehmenden summarischen Prüfung sind. Nur wenn sich die Erfolgsaussichten als offen erweisen, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen. Das BVerfG führt in einer anderen Entscheidung aus: "Die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde können ferner maßgeblich werden, wenn verwaltungsgerichtliche Beschlüsse betroffen sind, die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen sind und die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, insbesondere wenn die behauptete Rechtsverletzung bei Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, die Entscheidung in der Hauptsache also zu spät käme. Blieben in solchen Fällen die im Zeitpunkt der Eilentscheidung erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gegen die verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung außer Ansatz, würde sich bei der Folgenabwägung das Rechtsgut durchsetzen, das gewichtiger oder dessen behauptete Gefährdung intensiver als das kollidierende ist, selbst wenn schon die im Eilrechtsschutzverfahren mögliche Prüfung ergibt, dass die rechtlichen Voraussetzungen für seinen Schutz offensichtlich nicht gegeben sind. Dies widerspräche der Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Beachtung der Grundrechte im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zu sichern (BVerfGE 111, 147 <153> m.w.N.>)." https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/04/qk20200417_1bvq003720.html

PPAA

Philipp Paasch

22.9.2022, 23:03:41

Philippe mal wieder. 👍


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