Öffentliches Recht

Examensrelevante Rechtsprechung ÖR

Entscheidungen von 2019

Erteilung eines Hausverbots für Parteifunktionär der NPD durch Hotelier

Erteilung eines Hausverbots für Parteifunktionär der NPD durch Hotelier

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Hotelbetreiberin H untersagt dem ehemaligen NPD-Bundesvorsitzenden N den Aufenthalt in ihrem Hotel. N hält dies für gleichheitswidrig und sieht sich wegen seiner politischen Anschauung benachteiligt, bleibt aber in allen Instanzen erfolglos und wendet sich nun an das BVerfG.

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Einordnung des Falls

Erteilung eines Hausverbots für Parteifunktionär der NPD durch Hotelier

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Rechtsgrundlage für das gegen N ausgesprochene Verbot ist das Hausrecht der H (§§ 858ff., 903, 1004 BGB).

Ja, in der Tat!

Richtig! H ist aufgrund ihres Hausrechts grundsätzlich befugt, für das von ihr betriebene Hotel ein Hausverbot auszusprechen. Das Hausrecht beruht auf dem Grundstückseigentum oder -besitz (§§ 858ff., 903, 1004 BGB) und ermöglicht es der Inhaberin, frei darüber zu entscheiden, wem sie Zutritt gestattet und wem nicht. Der Ausübung des Hausrechts dürfen aber nicht „das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen“ (§ 903 S. 1 BGB).
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2. In dem Privatrechtsverhältnis zwischen N und H finden die Grundrechte des Grundgesetzes unmittelbar Anwendung.

Nein!

Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Es besteht grundsätzlich keine unmittelbare Grundrechtsgeltung zwischen Privatpersonen. Dort entfalten die Grundrechte ihre Wirkung nur im Wege der mittelbaren Drittwirkung. Die Grundrechte haben als objektive Grundsatznormen Ausstrahlungswirkung auf private Rechtsbeziehungen. Diese Wirkung entfaltet sich insbesondere über Generalklauseln und andere auslegungsfähige Normen. Der BGH führte in der Vorinstanz aus, die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte ergebe sich beim Hausverbot aus den zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB.

3. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) enthält ein objektives Verfassungsprinzip, wonach die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten gleichheitsgerecht zu gestalten sind.

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerfG: Ein solches Verfassungsprinzip sei Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu entnehmen, auch nicht im Wege der mittelbaren Drittwirkung. Es bestehe kein allgemeiner Grundsatz, wonach private Vertragsbeziehungen den Rechtfertigungsanforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes unterlägen. Ausgangspunkt sei vielmehr die Vertragsfreiheit: Jede Person könne grundsätzlich frei darüber bestimmen, mit wem sie wann unter welchen Bedingungen Verträge abschließen will. Diese Freiheit wird wiederum von der Rechtsordnung näher ausgestaltet und kann im Einzelfall auch verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegen (RdNr. 6).

4. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) kann in Ausnahmefällen eine mittelbare Drittwirkung entfalten.

Ja, in der Tat!

Dies ist seit der Stadionverbot-Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 148, 267 (283f.)) aus 2018 anerkannt. Danach können sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in spezifischen Konstellationen gleichheitsrechtliche Anforderungen in Privatrechtsverhältnissen ergeben. Dies gilt in Fällen, in denen die aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit resultierende Entscheidungsmacht dazu genutzt wird, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem bestimmten Ereignis auszuschließen (RdNr. 7). Selbst dann besteht aber kein absolutes Unterscheidungsverbot, sondern es bedarf stets eines einzelfallgerechten Ausgleichs mit entgegenstehenden Freiheitsrechten.

5. Vorliegend ist eine mittelbare Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) zu bejahen, da ein entsprechender Sonderfall gegeben ist.

Nein!

BVerfG: Die von der Rechtsprechung des BVerfG geforderte Sonderkonstellation liege hier nicht vor. Der Besuch in einem Wellness-Hotel sei keine Veranstaltung, die in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. Zudem habe H als Hotelbetreiberin auch keine Monopolstellung oder eine strukturelle Überlegenheit. Sie betreibt nur eines von mehreren Hotels in der Umgebung (RdNr. 8).

6. Nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG darf niemand wegen seiner politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden.

Genau, so ist das!

Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG regelt einen besonderen Gleichheitssatz, der zwischen Privaten nicht unmittelbar anwendbar ist. Ob die Norm eine mittelbare Drittwirkung entfaltet, ist in der Rechtsprechung noch nicht geklärt. Das BVerfG sieht sich hier aber auch nicht veranlasst, dazu Stellung zu nehmen und lässt die Frage nach der Drittwirkung des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ausdrücklich offen. Selbst wenn dies der Fall sei, bestehe kein absolutes Unterscheidungsverbot und es bedürfe eines Ausgleichs mit entgegenstehenden Freiheitsrechten. Es sei nicht ersichtlich, dass dieser Ausgleich zugunsten des N ausgehen müsste (RdNr. 11).

7. Während H in ihrer Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) und ihrer unternehmerischen Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) betroffen ist, beeinträchtigt das Hausverbot den N nur geringfügig.

Ja, in der Tat!

BVerfG: N sei nur in seiner Freizeitgestaltung beeinträchtigt. Auch wurde er vorab schriftlich und damit ohne öffentliche Stigmatisierung oder Bloßstellung informiert. H hingegen sei in ihrem Hausrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) und ihrer unternehmerischen Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) beeinträchtigt. Sie verfolge ein Geschäftskonzept, bei dem „die Erholung [...] der Gäste im Mittelpunkt steht“, und müsse befürchten, dass sich andere Gäste durch die – öffentlich bekannten – politischen Überzeugungen des N gestört fühlen. Andernfalls käme es „mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit“ zu Beschwerden, Protesten und Stornierungen (RdNr. 12f.).

8. N wird durch das Hausverbot in seinen Grundrechten verletzt.

Nein!

Es sei laut BVerfG eindeutig, dass vorliegend die entgegenstehende Freiheitsrechte der H überwiegen, selbst wenn man Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG eine mittelbare Drittwirkung beimisst. Es sei daher nicht erkennbar, dass die angegriffene Entscheidung der H den N in seinen Grundrechten verletzt (RdNr. 14). Wenngleich die Entscheidung vor dem Hintergrund der Privatautonomie zu begrüßen ist, lässt sie Einzelheiten zur Geltung von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG vermissen. Ob sich daraus mittelbar möglicherweise strengere Bindungen als aus Art. 3 Abs. 1 GG (d.h. ohne das Erfordernis einer Sonderkonstellation) für das Privatrecht ergeben, bleibt abzuwarten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

falktghl

falktghl

13.1.2024, 07:46:29

Hallo könnte man noch das AGG mit reinnehmen?

TI

Timurso

13.1.2024, 10:40:41

Das AGG ist eine zivilrechtliche Regelung, die in öffentlich-rechtlichen Klausuren keine Rolle spielt und der Verfassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhilft. Oder wie sollte man das da unterbringen?

LELEE

Leo Lee

14.1.2024, 14:47:51

Hallo

falktg

, vielen Dank für die gute Frage! In der Tat könnte auf man auf den ersten Blick meinen, das AGG müsse ebenfalls berücksichtigt werden. Beachte allerdings, wie Timurso zutreffend anmerkt, dass wir hier beim BVerfG sind. D.h., hier wird gerügt, dass das Gericht die GRUNDRECHTE im Verhältnis N-Hotel verkannt hat. Deshalb ist das AGG insofern „unnötig“, als gerade diese Benachteiligung diskutiert wird, jedoch im Gewand der Grundrechte (was natürlich intensiver ist als das AGG selbst). D.h., weil hier die Entscheidung des Gerichts angegriffen wird und ihm vorgeworfen wird, er habe die Grundrechte nicht hinreichend beachtet, konzentrieren wir uns hier erstmal nur auf die Grundrechte. Hierzu kann ich die Lektüre von Michael/Morlok Grundrechte 7. Auflage, Rn. 481 ff. empfehlen (findest du bei uns unter Entdecken --> Bücher!) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Natze

Natze

4.9.2024, 18:45:33

der Fall kam in zivilrechtlicher Einkleidung als Frage auf Anspruch auf Eingehung eines Fitnesstudiovertrages in BaWü Herbst 2024 ZR 1 dran. (sozusagen als Zusatzfrage; Ansprüche nach dem AGG waren ausgeschlossen)

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.11.2024, 15:27:27

Hallo Natze, vielen Dank für Deinen Hinweis! Es ist großartig zu hören, dass einer unserer Fälle tatsächlich im Examen dran kam. Wir haben diese Information notiert und werden sie in unserer App entsprechend kennzeichnen, um die Examensrelevanz für die Community sichtbar zu machen. Deine Rückmeldung hilft uns, die Vorbereitung für alle Nutzer zielgerichteter zu gestalten und die Qualität unserer Inhalte stetig zu verbessern. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald die Kennzeichnung in der App sichtbar ist. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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