Abgrenzung Verpflichtungsklage und Leistungsklage bei Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung: Privatrechtlich-rechtlich organisiert


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Klassisches Klausurproblem

Die Gemeinde G betreibt ein Schwimmbad durch eine GmbH, deren alleinige Gesellschafterin sie ist, als öffentliche Einrichtung. Kassierer K verweigert Luise Liesviel (L) den Zugang, weil er Streit mit ihrem Bruder hat. L will ins Schwimmbad gehen und klagt.

Einordnung des Falls

Abgrenzung Verpflichtungsklage und Leistungsklage bei Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung: Privatrechtlich-rechtlich organisiert

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist ausgeschlossen, da G das Schwimmbad durch eine GmbH betreibt.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Öffentliche Einrichtungen können sowohl öffentlich-rechtlich, als auch privatrechtlich organisiert sein. Bei einer Streitigkeit zwischen Gemeinde und Bürger muss wie folgt unterschieden werden: Die Frage, ob ein Anspruch auf Zugang zur öffentlichen Einrichtung erfolgt, richtet sich immer nach dem öffentlichen Recht. Demgegenüber kann sich die Frage, wie die Benutzung ausgestaltet ist, nach privatrechtlichen Vorschriften richten (Zwei-Stufen-Theorie). Für die Frage, ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, ist es nicht entscheidend, dass das Schwimmbad der G privatrechtlich betrieben wird.

2. Es geht um die Frage, ob L einen Zugangsanspruch hat. Die streitentscheidenden Normen sind daher öffentlich-rechtlich.

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Ja, in der Tat!

Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlich sind. Nach der Zwei-Stufen-Theorie richtet sich die Frage, ob der Bürger einen Anspruch auf Zugang zur öffentlichen Einrichtung hat, immer nach öffentlichem Recht. L will Zugang zum Schwimmbad bekommen. Es geht um die Frage, ob sie einen Anspruch auf Zugang hat. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich. Dass die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist und mangels auf- oder abdrängender Sonderzuweisung der Verwaltungsrechtsweg über § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet ist, muss nur kurz festgestellt werden, wenn dies - wie im vorliegenden Fall - unproblematisch ist.

3. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren. Statthaft ist die Verpflichtungsklage, wenn L den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt.

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Ja!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO). Die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist statthaft, wenn das Klagebegehren des Klägers gerichtet ist auf den Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts. In Abgrenzung dazu ist die allgemeine Leistungsklage (vorausgesetzt u.a. in §§ 43 Abs. 2, 111, 113 Abs. 5 VwGO) statthaft, wenn der Kläger eine Vornahme, Duldung oder Unterlassung schlicht hoheitlichen Verwaltungshandelns begehrt. Zur Abgrenzung ist also maßgeblich von Bedeutung, ob der Kläger einen Verwaltungsakt oder einen Realakt von der Behörde fordert.

4. Eine öffentliche Einrichtung kann auch privatrechtlich betrieben werden. L begehrt den Zutritt zu einer öffentlichen Einrichtung.

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Ja, in der Tat!

Eine öffentliche Einrichtung wird von der Gemeinde im öffentlichen Interesse unterhalten und durch einen gemeindlichen Widmungsakt der allgemeinen Benutzung durch die Einwohner (und Dritte) zugänglich gemacht. Die Gemeinde kann das Benutzungsverhältnis einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich ausgestalten. Das von der Gemeinde betriebene Schwimmbad ist eine öffentliche Einrichtung. Dies gilt unabhängig davon, dass G die öffentliche Einrichtung in Form einer GmbH betreibt.

5. Der Bürger erhält Zugang zu einer privatrechtlich betriebenen öffentlichen Einrichtung durch Erlass eines Verwaltungsakts.

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Nein!

Betreiben Gemeinden eine öffentliche Einrichtung in privatrechtlicher Form (insbesondere GmbH, AG), so erfolgt die Zulassung nicht über den Erlass eines Verwaltungsakts. Vielmehr schliesst die Gesellschaft mit den Benutzern der Einrichtung einen privatrechtlichen Benutzungsvertrag. Die Gemeinde ist trotzdem nicht von ihrer öffentlich-rechtlichen Bindung befreien ("Keine Flucht ins Privatrecht."), sondern muss sicherstellen, dass sie ausreichend Einwirkungsmacht auf die Gesellschaft hat. Dies wird dadurch sichergestellt, dass die Gemeinde die Mehrheit der Anteile der Gesellschaft hält.

6. L begehrt, dass die Gemeinde auf die GmbH einwirkt, sodass sie Zugang zur Einrichtung erhält. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage.

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Genau, so ist das!

Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft, wenn der Kläger ein Handeln eines Hoheitsträgers begehrt, was nicht im Erlass eines Verwaltungsakts besteht. Der Zugang zu privatrechtlichen Einrichtungen erfolgt nicht durch Erlass eines Verwaltungsakts. Begehrt der Kläger Zugang zu einer privatrechtlich betriebenen öffentlichen Einrichtung, kann er die Gemeinde darauf verklagen, dass sie auf die privatrechtliche Gesellschaft einwirkt. L kann G darauf verklagen, so auf die GmbH einzuwirken, dass L ins Schwimmbad kann. Alternativ könnte L auch die Gesellschaft zivilrechtlich verklagen. Für diese gilt jedoch die Vertragsfreiheit, weswegen es erfolgsversprechender ist, gegen den öffentlichen Träger vorzugehen.

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BI

Bienenschwarmverfolger

13.5.2021, 09:48:13

Ich würde den Fall anders lösen: Mir ist nicht bekannt, dass in solchen Fällen gegen die Betreiber-GmbH auf Erlass eines Verwaltungsaktes geklagt wird. Die GmbH ist wohl keine Beliehene und hat damit keine Behördeneigenschaft, weil ihr eigene Entscheidungskompetenzen fehlen (vgl. § 37 I GmbHG). Umgekehrt kann ist dem Kläger aber auch nicht mit einem VA der Gemeinde bzw. des Bürgermeisters gedient, weil diese nicht ohne Weiteres einen drittgebünstigenden, die GmbH belastenden VA auf Zulassung zur

BI

Bienenschwarmverfolger

13.5.2021, 09:53:36

Einrichtung erlassen kann. Deshalb wird in solchen Fällen (so auch im Beschluss des OVG Lüneburg) gegen die Gemeinde auf „Einwirkung“ auf den privatrechtlichen Einrichtungsträger geklagt. Mit anderen Worten: Die Gemeinde wird dann letztlich dazu verurteilt, die Geschäftsführung der GmbH durch Gesellschafterbeschluss anzuweisen, den Kläger zur Einrichtung zuzulassen. Das ist kein VA, weshalb dann die allgemeine Leistungsklage statthaft ist.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

13.5.2021, 10:27:44

Du hast recht - guter Punkt 👍🏻 Ich habe mir den Beschluss des OVG Lüneburg gerade durchgelesen. Das Gericht führt aus: „Besteht ein Anspruch […] nach § 30 NKomVG, so muss [dem Ast.] die Gemeinde den Zugang zu der öffentlichen Einrichtung, sofern sie darüber nicht ohnehin selbst entscheidet, durch Einwirkung auf die ihr unterstehende privatrechtliche Betriebsgesellschaft verschaffen. […] Da die Antragsgegnerin das Bad durch die Beigeladene betreiben lässt, kommt insoweit daher nur ein öffentlich-rechtlicher Anspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin dahingehend in Betracht, auf die Beigeladene als privatrechtliche Betreiberin des Bads einzuwirken, ihm den Zugang zu der öffentlichen Einrichtung zu bestimmten Zeiten zu verschaffen.“ In dem Zusammenhang siehe BVerwG, B. v. 29.05.1990 - AZ.: 7 B 30/90: „Der Bürger kann […], wenn ihm der Zugang zu der Einrichtung verweigert wird, zur Durchsetzung seines öffentlich-rechtlichen Benutzungsanspruchs die Gemeinde vor dem Verwaltungsgericht verklagen. Gibt das Verwaltungsgericht der Klage statt, so mu[ss] ihm die Gemeinde den Zugang zu der Einrichtung, sofern sie darüber nicht ohnehin selbst entscheidet, durch Einwirkung auf die ihr unterstehende privatrechtliche Betriebsgesellschaft verschaffen.“ Vgl. außerdem BVerwG, B. v. 21.07.1989 - AZ.: 7 B 184/88 (Nutzungsanspruch einer Partei, ihr durch Einwirkung auf die privatrechtliche Betriebsgesellschaft den Zugang zur gemeindlichen Einrichtung zu verschaffen).

Linne_Karlotta

Linne_Karlotta

31.8.2021, 15:14:10

Hallo in die Runde, in der Tat ist uns bei der Lösung der Aufgabe ein Fehler passiert, den wir behoben haben. Danke für den Hinweis! Beste Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

Marco

Marco

14.10.2021, 13:40:36

Hallo, Leider scheint der Fehler immer noch nicht behoben. Die letzten beiden Fragen zielen immer noch auf den Erlass eines VA, statt auf Einwirkung auf die GmbH ab.

KE

KellyMonaco

22.10.2021, 13:41:57

Wann wird der Fehler behoben? Der Fehler ist nun schon lange bekannt

JM

Johnny Monaco

21.6.2022, 14:54:51

Schnell und zuverlässig, wie die Deutsche Bahn 🫠

Cora10

Cora10

22.10.2022, 12:22:14

Ist der Lösungsweg über die Verpflichtungsklage in diesem Fall jetzt richtig? 😅

ML

MLena

28.10.2022, 11:47:54

Nein, die richtige Klage ist die Leistungsklage. Könnte der Fehler nun bitte noch behoben werden? Es wird immer noch falsch angezeigt

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.12.2022, 18:35:45

Hallo zusammen, erst einmal möchten wir uns bei euch ganz herzlich für die außergewöhnlich lange Verzögerung entschuldigen! Bei der Synchronisierung der Änderung ist es leider zu einem Fehler gekommen, sodass weiterhin die alte Fassung angezeigt wurde. Wir haben den Fall nun erneut synchronisiert, sodass die Änderungen nun endlich auch live sind. Ein besonderer Dank geht dabei an @[Cora10](81815), die uns auf diesen versunkenen Thread aufmerksam gemacht hat. Vielen Dank für eure Geuld und weiterhin viel Spaß mit Jurafuchs. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EV

evanici

29.8.2023, 15:00:32

Verstehe ich es richtig, dass allein der Unterschied, dass die Einrichtung privatrechtlich betrieben wird im Ergebnis zu einer anderen Klageart führt ggü. einem öffentlich-rechtlichen Träger, bei dem durch die Widmung zur allgemeinen Benutzung der Zugang in der Handlungsform des VA gewährt wird, weswegen dort die Verpflichtungsklage statthaft ist?

NI

Nilson2503

3.9.2023, 16:35:30

Genau. Dadurch, dass die Einrichtung privatrechtlich betrieben wird, kann der Zugang logischerweise nicht mittels VA gewährt werden. Die Verpflichtungsklage kann somit nicht statthaft sein. Vielmehr wird dem Begehren dadurch gerecht, dass die Gemeinde auf die GmbH einwirkt, um den Zugang zu ermöglichen. Statthaft ist dann die allg. Leistungsklage.


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