Zivilrechtliche Nebengebiete

Arbeitsrecht

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Krankheitsbedingte Kündigung (fehlende negative Prognose)

Krankheitsbedingte Kündigung (fehlende negative Prognose)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Dachdecker D fällt vom Gerüst und erleidet einen komplizierten Beinbruch, sodass er mehrere Operationen benötigt und mindestens ein Jahr lang seine arbeitsvertragliche Tätigkeit als Dachdecker nicht ausüben kann. Arbeitgeber A kündigt D deswegen ordentlich. KSchG ist anwendbar.

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Einordnung des Falls

Krankheitsbedingte Kündigung (fehlende negative Prognose)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist, muss die Kündigung durch personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Gründe sozial gerechtfertigt sein (§ 1 Abs. 2 KSchG).

Ja!

Für eine ordentliche Kündigung ist nicht zwangsläufig ein Grund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG erforderlich. Es gelten grundsätzlich nur die allgemeinen Grenzen (§ 138 BGB; § 242 BGB; § 612a BGB; § 2 Abs. 4 AGG). Sofern sich der Arbeitnehmer allerdings auf den allgemeinen Kündigungsschutz aus dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) berufen kann, kann er nur dann ordentlich gekündigt werden, wenn die Kündigung aus personenbedingten, verhaltensbedingten oder betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG).
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2. Allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer krank ist, genügt, um ihn personenbedingt zu kündigen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein personenbedingter Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine geschuldete Arbeitsleistung aufgrund von Umständen, die an seine Person selbst anknüpfen, nicht mehr vertragsgemäß erbringen kann. Dies kann bei einer Krankheit der Fall sein. Allerdings berechtigt nicht jede Krankheit zur Kündigung. Vielmehr entfaltet sie erst dann Kündigungsrelevanz, wenn von ihr störende Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis ausgehen. Daher ist erforderlich: (1) eine negative Gesundheitsprognose, (2) eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen durch die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten und (3) umfassende Interessenabwägung im Einzelfall, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Arbeitgebers und damit zur Kündigungsberechtigung führt. Dabei ist zu beachten, dass die Kündigung stets ultima ratio ist.

3. Es liegt ein Grund vor, der es dem D unmöglich macht, seine Arbeitsleistung ganz oder teilweise zu erbringen.

Ja, in der Tat!

Um eine personenbedingte Kündigung zu rechtfertigen, muss es dem Arbeitnehmer zunächst aufgrund der Krankheit unmöglich sein, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Aufgrund des komplizierten Beinbruchs kann D nicht mehr auf das Dach klettern, sodass er seine Tätigkeit als Dachdecker nicht mehr ausüben und damit seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen kann.Der arbeitsrechtliche Krankheitsbegriff ist nicht gleichzustellen mit dem medizinischen Krankheitsbegriff. Eine vom Arzt festgestellte Krankheit ist erst dann arbeitsrechtlich relevant, wenn die Erkrankung den Arbeitnehmer daran hindert, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Die Krankheit muss somit immer im Verhältnis zu den vertraglichen Verpflichtungen des Arbeitnehmers beurteilt werden.

4. Es liegt zudem eine negative Gesundheitsprognose vor.

Nein!

Im Zeitpunkt des Kündigungszugangs müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen (negative Gesundheitsprognose). Es muss also Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Fehlzeiten bestehen. Als Indiz dienen vorangegangene krankheitsbedingte Fehlzeiten; allerdings nicht solche, die aus Unfällen resultieren, da dann regelmäßig keine Wiederholungsgefahr besteht. Sofern (zeitnahe) Rückkehr in den Betrieb und vollständige Genesung wahrscheinlich erscheinen, ist eine negative Prognose abzulehnen. D kann aufgrund des Beinbruchs mindestens ein Jahr lang nicht als Dachdecker arbeiten. Jedoch ist eine Heilung absehbar und höchst wahrscheinlich, sodass keine negative Gesundheitsprognose vorliegt. Eine Kündigung ist zukunftsbezogen und gerade keine Sanktion für krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EDDIE

Eddietheeagle

19.10.2023, 07:02:13

Auf welchen Zeitraum muss die Prognose sich denn erstrecken? Vorliegend fällt der AN immerhin für 1 Jahr aus!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.12.2023, 14:56:28

Hallo Eddietheeagle, für die negative Prognose ist nicht die Dauer des Heilungsverlaufs, sondern die Ungewissheit im Hinblick auf die Genesung maßgeblich. Bei lang andauernden Erkrankungen ist diese Ungewissheit also regelmäßig ausschlaggebend. (so zum Beispiel das BAG bei 1,5 Jahre andauernden Erkrankung, bei der die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ungewiss war (BAG 21.5.1992, NZA 1993, 497). Das LAG Köln hat dagegen in einem anderen Fall die negative Prognose abgelehnt, da die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit möglich war - wenn auch erst in den nächsten 24 Monaten (vgl. LAG Köln 28.11.2008, BeckRS 2009, 52074). Klar ist aber auch, je weiter in der Zukunft der Heilungsprozess liegt, desto unsicherer sind natürlich auch die Heilungsprognosen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

8.2.2024, 10:09:42

Der Arbeitgeber hat ja nach meinem Verständnis daraus nach Ablauf der Entgeltfortzahlungsfrist keinen finanziellen Nachteil.

PET

petruvia

8.5.2024, 21:12:23

Seh ich auch so. Jedenfalls für die Wochen 7 bis 78 Wochen seit Arbeitsunfähigkeitsbeginn. Für den Fall, dass in den letzten 3 Jahren nicht schonmal ein Beinbruch war.


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