Öffentliches Recht

Europarecht

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: Abgrenzung Warenverkehrsfreiheit („Schindler")

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: Abgrenzung Warenverkehrsfreiheit („Schindler")

6. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

N versendet aus Amsterdam Werbeflyer für eine in Deutschland stattfindende Lotterie nach London. Britische Behörden beschlagnahmen das Material, da keine Werbematerialen für Lotterien in das Vereinigte Königreich eingeführt werden dürfen.

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Einordnung des Falls

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: Abgrenzung Warenverkehrsfreiheit („Schindler")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Dienstleistungsfreiheit ist auch anwendbar, wenn der Anwendungsbereich einer anderen Grundfreiheit eröffnet ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Dienstleistungsfreiheit ist nur subsidiär zu den anderen Grundfreiheiten anwendbar, was sich aus Art. 57 Abs. 1 AEUV ergibt. Daraus folgt, dass der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit vom Anwendungsbereich der anderen Dienstleistungsfreiheiten abgegrenzt werden muss. Der in Art 57 AEUV normierte Vorrang der anderen Grundfreiheiten führt jedoch nicht dazu, dass die Dienstleistungsfreiheit bloß ein umfassender Auffangtatbestand ist. Vielmehr handelt es sich um eine Grundfreiheit mit einem eigenen festgelegtem Anwendungsbereich.
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2. Vorliegend könnte allerdings auch der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit eröffnet sein.

Ja, in der Tat!

In gegenständlicher Hinsicht schützt die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff. AEUV die Ein- und Ausfuhr von Unionswaren. Waren sind nach der Rechtsprechung des EuGH alle beweglichen, körperlichen Güter, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. N versendet Werbeflyer nach London. Dabei handelt es sich um bewegliche, körperliche Güter mit Geldwert. Die Warenverkehrsfreiheit könnte daher einschlägig sein. Eine Abgrenzung zwischen Warenverkehrsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit ist erforderlich.

3. Die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit lassen sich über das Kriterium der Körperlichkeit abgrenzen.

Ja!

Bei der Warenverkehrsfreiheit geht es um den Handel mit körperlichen Gegenständen, während es bei der Dienstleistungsfreiheit um nicht-körperliche Leistungen geht. Die Körperlichkeit der angebotenen Leistung ist daher das Abgrenzungskriterium. Bei Verknüpfung vom Handel mit körperlichen Gegenständen und unkörperlichen Leistungen ist der Schwerpunkt entscheidend. Vorliegend werden zwar Werbematerialen, und damit körperliche Gegenstände, für eine Lotterie in das Vereinigte Königreich versendet. Allerdings liegt in einer Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt auf dem Veranstalten der Lotterie in Deutschland, zu dessen Zwecke die Werbematerialen nur versandt werden. Die Einfuhr und die Verteilung von Gegenständen sind kein Selbstzweck, sondern sollen den Personen, die in den Mitgliedstaaten wohnen, in die diese Gegenstände eingeführt und in denen sie verteilt werden, die Teilnahme an der Lotterie ermöglichen. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist eröffnet.

4. Der Lotteriebetrieb hat keinen entgeltlichen Charakter, da sie in vielen Mitgliedstaaten stark reguliert sind und daher nicht zum Wirtschaftsleben gehören.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Dienstleistung hat dann entgeltlichen Charakter, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die einen Teil des Wirtschaftslebens ausmacht. Von einer Beteiligung am Wirtschaftsleben ist wiederum dann auszugehen, wenn eine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt. Außerdem muss das Entgelt immer die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellen. Zwar unterliegen die Lotterien einer besonders strengen Regelung und einer genauen behördlichen Kontrolle in den einzelnen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Allerdings besteht weitestgehend, insbesondere in Großbritannien, kein vollständiges Verbot des Lotteriebetriebs. Die starke Regulierung schließt die Einordnung von Lotterien als Teil des Wirtschaftslebens daher nicht aus.

5. Der Lotteriebetrieb hat keinen entgeltlichen Charakter, da die Lotteriegewinne zufällig sind.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Dienstleistung hat dann entgeltlichen Charakter, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die einen Teil des Wirtschaftslebens ausmacht. Von einer Beteiligung am Wirtschaftsleben ist wiederum dann auszugehen, wenn eine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt. Außerdem muss das Entgelts immer die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellen. Der Lotteriebetrieb ist bereits deshalb entgeltlich, weil die Spieler für ihren Lottoschein zahlen müssen. Denn „die gewöhnlichen Tätigkeiten im Rahmen einer Lotterie bestehen aber in der Zahlung eines Betrags durch einen Spieler, der auf einen Gewinn oder einen Preis als Gegenleistung hofft. Die Zufallsabhängigkeit dieser Gegenleistung nimmt dem Austausch nicht seinen wirtschaftlichen Charakter.“ [RdNr. 33]

6. Der Lotteriebetrieb kann jedoch aufgrund seines Unterhaltungscharakters nicht als entgeltliche Leistung eingeordnet werden.

Nein!

Eine Dienstleistung hat dann entgeltlichen Charakter, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die einen Teil des Wirtschaftslebens ausmacht. Von einer Beteiligung am Wirtschaftsleben ist wiederum dann auszugehen, wenn eine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt. Außerdem muss das Entgelts immer die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellen. Zwar kann eine Lotterie ebenso wie der Amateursport für die teilnehmenden Spieler Unterhaltungscharakter haben. „Dieses spielerische Element nimmt der Lotterie jedoch nicht den Charakter einer Dienstleistung. Lotterien verschaffen nicht nur den Spielern zumindest eine Gewinnchance, sondern erbringen auch einen Gewinn für den Veranstalter. Sie werden nämlich von Privatpersonen oder von der öffentlichen Hand mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben, da in der Regel nicht die Gesamtheit der von den Spielern eingesetzten Beträge wieder in Form von Gewinnen oder Preisen ausgeschüttet wird.“[RdNr.34] Es handelt sich damit um eine entgeltliche Leistung. Der sachliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist eröffnet.
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