+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
E beschäftigt in Brüssel marokkanische Staatsangehörige, welche in Belgien eine Arbeitserlaubnis und dort bezahlt werden. Für einen Monat führen sie Arbeiten in Paris durch. Französische Behörden stellen fest, dass sie keine Arbeitserlaubnis in Frankreich besitzen. E erhält ein Bußgeld.
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Einordnung des Falls
Fall: Abgrenzung Arbeitnehmerfreizügigkeit
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Dienstleistungsfreiheit ist auch anwendbar, wenn der Anwendungsbereich einer anderen Grundfreiheit eröffnet ist.
Nein!
Die Dienstleistungsfreiheit ist nur subsidiär zu den anderen Grundfreiheiten anwendbar, was sich aus Art. 57 Abs. 1 AEUV ergibt. Daraus folgt, dass der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit vom Anwendungsbereich der anderen Dienstleistungsfreiheiten abgegrenzt werden muss.
Der in Art 57 AEUV normierte Vorrang der anderen Grundfreiheiten führt jedoch nicht dazu, dass die Dienstleistungsfreiheit bloß ein umfassender Auffangtatbestand ist. Vielmehr handelt es sich um eine Grundfreiheit mit einem eigenen festgelegten Anwendungsbereich.
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2. Vorliegend könnte der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit eröffnet sein.
Genau, so ist das!
Der sachliche Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit setzt voraus, dass ein Arbeitnehmer betroffen ist. Arbeitnehmer i.S.d. Art. 45 AEUV ist jeder Unionsbürger, der während einer bestimmten Zeit weisungsgebunden Leistungen von einem wirtschaftlichen Wert für einen anderen erbringt und dafür als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Die marrokanischen Arbeiter erbringen für E Leistungen und sind dabei an dessen Weisungen gebunden. Vor diesem Hintergrund könnte der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit eröffnet sein. Eine Abgrenzung zwischen Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit ist erforderlich.
3. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit lässt sich über das Kriterium der Selbstständigkeit von der Dienstleistungsfreiheit abgrenzen.
Ja, in der Tat!
Arbeitnehmer sind weisungsgebunden für jemand anderen tätig. Im Unterschied dazu werden Dienstleistungen weisungsunabhängig erbracht. Das entscheidende Abgrenzungskriterium ist daher die Selbstständigkeit bzw. Weisungsgebundenheit.
Zwar werden die marokkanischen Arbeiter weisungsgebunden für E tätig und sind damit Arbeinehmer. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist auf diesen Fall aber nicht anwendbar, weil es sich bei den betroffenen Arbeiter nicht um Unionsbürger handelt und sie sich deshalb nicht auf Art. 45 AEUV berufen können. Im Übrigen treten die von E nach Paris entsendeten Arbeitnehmer gar nicht auf dem französischen Arbeitsmarkt auf, da sie von E in Belgien beschäftigt und bezahlt werden. Vorliegend geht es vielmehr um die Entsendung von Arbeitnehmern durch E, der dafür ein Bußgeld erhalten hat.
4. Das Erbringen von Bauarbeiten durch E stellt eine Dienstleistung im Sinne des Art. 57 AEUV dar.
Ja!
Der Begriff der Dienstleistung ist im AEUV nicht definiert, auch wenn Art. 57 AEUV einzelne Merkmale benennt. Die Dienstleistung lässt sich in Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten als selbstständige, vorübergehende Leistung definieren, die einen entgeltlichen Charakter haben muss. Das Merkmal der Selbstständigkeit wird in Art. 57 AEUV zwar nicht ausdrücklich angesprochen, ergibt sich aber aus den beispielhaft in Art. 57 Abs. 2 AEUV genannten Tätigkeiten und in Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das Merkmal „vorübergehend“ ergibt sich in Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit. Bauarbeiten haben einen entgeltlichen Charakter. E bietet die Bauarbeiten ferner auch selbstständig an, indem er darüber entscheidet welche Aufträge er annimmt, welche Mitarbeiter er dafür auswählt und wie er sie durchführen lässt. Ferner bietet E die Dienstleistungen in Frankreich nur für die Dauer von einem Monat, also vorübergehend an. Die Bauarbeiten sind Dienstleistungen i.S.d. Art. 57 AEUV.
5. Die Dienstleistungsfreiheit beinhaltet das Recht Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedstaat zu entsenden.
Genau, so ist das!
Die Dienstleistungsfreiheit schließt das Recht ein, eigene Mitarbeiter zum Zwecke der Erbringung einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu entsenden. Dadurch erhalten die entsendeten Arbeitnehmer aber keinen Zugang zum Arbeitsmarkt des Dienstlandes. Der sachliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist für den vorliegenden Sachverhalt eröffnet.