Keine Anwendung der §§ 104ff. BGB auf Realakte (Verarbeitung, § 950 BGB)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S findet einen fremden Holzscheit im Wald und schnitzt daraus eine Skulptur.

Einordnung des Falls

Keine Anwendung der §§ 104ff. BGB auf Realakte (Verarbeitung, § 950 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wer aus einem Holzscheit eine Skulptur schnitzt, erwirbt das Eigentum an der Skulptur, sofern nicht der Wert der Verarbeitung erheblich niedriger ist als der Stoffwert des Holzscheits.

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Ja!

§ 950 Abs. 1 BGB enthält einen gesetzlichen Eigentums-Erwerbstatbestand: „Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache, sofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes. Als Verarbeitung gilt auch das Schreiben, Zeichnen, Malen, Drucken, Gravieren oder eine ähnliche Bearbeitung der Oberfläche.“ Indem S aus einem Holzscheit eine Skulptur schnitzt, stellt er eine neue bewegliche Sache her.

2. Wenn S erst zehn Jahre alt ist, ist er beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB). Dann erwirbt er das Eigentum an der Skulptur nur, wenn seine Eltern dies genehmigen (§§ 108 Abs. 1, 184 S. 1 BGB).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Die im Buch 1 des BGB (Allgemeiner Teil, §§ 1-240 BGB) in Abschnitt 3 (Rechtsgeschäfte, §§ 104-185 BGB) enthaltenen Vorschriften sind spezielle Regeln für Willenserklärungen. Der Tatbestand des Eigentumserwerbs nach § 950 Abs. 1 BGB knüpft nicht an eine Willenserklärung, sondern an einen Realakt an (hier: das Schnitzen des Holzes). Ein Realakt ist eine rein faktisch wirkende Rechtshandlung, die eine Rechtsfolge kraft Gesetzes unabhängig vom Willen des Handelnden hervorruft. Realakte unterscheiden sich von den geschäftsähnlichen Handlungen dadurch, dass sie keine Erklärungen sind. Das Schnitzen einer Holzskulptur ist ein Realakt. Darauf sind die §§ 104ff. BGB nicht anwendbar.

3. Die Vorschriften über Rechtsgeschäfte (§§ 104-185 BGB) sind auf Realakte analog anwendbar, soweit dies Zweck und Eigenart des Realakts und die Interessenlage zulassen.

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Nein, das trifft nicht zu!

Die Vorschriften über Rechtsgeschäfte (§§ 104-185 BGB) sind auf Realakte nicht anwendbar, auch nicht analog. Das ist anders bei geschäftsähnlichen Handlungen (wie z.B. einer Mahnung).

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Vulpes

Vulpes

14.2.2020, 19:22:38

Was ist mit der Auslegung §§133,157 der WE bei Einigung und Übergabe gem §929, oder der Anfechtung aufgrund von Fehleridentität gem §119. Mir würden noch mehr Beispiele einfallen.

🦊L

🦊LEXDEROGANS

17.2.2020, 21:30:50

§ 929 S. 1 BGB setzt sich aus WE (Einigungserklärungen) und Realakt (Übergabe) zusammen. Die Auslegung nach § 157 BGB und Anfechtbarkeit nach § 119 BGB ist aber nur für die Einigungserklärungen nicht jedoch für die tatsächliche Übergabe einschlägig! Ob eine Übergabe vorliegt, dürfte sich aber m. E. durchaus nach einem obj. Beobachter richten, sodass insoweit zuzustimmen ist, als dass hier eine mit § 157 BGB (Verkehrssitte) vergleichbare Wertung vorgenommen wird.

Agit

Agit

31.3.2020, 06:26:53

Das der Eigentumserwerbtatbestand nach 929 S. 1 BGB aus Einigung und Übergabe besteht ist richtig. Auch das die Vorschriften des allgemeinen Teils des BGB für die Auslegung der Einigung heranzuziehen sind. Es ist aber falsch zu behaupten das § 157 BGB auf die Übergabe Anwendung findet. Die Vorschrift dient der Auslegung von Verträgen, wie aus ihr zu entnehmen ist. Die Übergabe ist aber ein Realakt und vollzieht sich nach den Vorschriften 854 ff. BGB die sowohl Erwerb als auch Verlust des Besitzes regeln. Allein auf § 157 BGB hier abzustellen ist falsch.

EL

Elisabeth

10.8.2020, 11:14:34

Übergabe i.S.v. 929 S.1 verlangt doch 3 Voraussetzungen: Vollständiger Besitzverlust des Veräußerers, zumindest mittelbarer Besitzerwerb auf Seiten des Erwerbers, dies wiederum auf Veranlassung des Veräußerers. Besitz wiederum verlangt gem. §854, 872 tatsächliche Sachherrschaft und Besitzwillen diese Sachherrschaft wahrzunehmen, richtig? Eigentlich wäre ein „Abstellen auf den objektiven Verkehrskreise“ höchstens relevant falls der Besitzwille nicht ausdrücklich deutlich wird und bei Besitzerwerb aufgrund von Scheingeheißperson? In den üblichen Fällen bestimmt sich der Realakt Übergabe aus den realen Vorgängen?

JU

Jurist

18.9.2021, 18:23:12

Komische Frage aber: Wie wäre das eigentlich, wenn ein Künstler ein Einfamilienhaus bemalt (ohne Zustimmung) und das Haus wäre dadurch mehr wert ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.11.2021, 11:12:41

Hallo Jurist, da es sich bei dem Haus nicht um eine bewegliche Sache handelt, scheidet hier ein Eigentumserwerb des Künstlers nach § 950 BGB von vorneherein aus. Die Frage, inwieweit der Eigentümer ihm Ersatz für das Bemalen schuldet, ist Gegenstand des Bereicherungsrecht (Stichwort: "aufgedrängte Bereicherung"). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sophia

Sophia

30.12.2021, 18:29:57

Wer oder was entscheidet, ob z.b. die Skulptur mehr wert ist als der Stoff, also das Holz?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

31.12.2021, 08:18:59

Hallo Sophia, sofern es zum streitigen Verfahren kommt, so handelt es sich hierbei um Tatsachen, die das Gericht ermitteln muss. Im Hinblick auf das Holz wird man auf die Marktpreise abstellen können. Schwieriger ist dies in der Tat bei der Skulptur. Fehlt dem Gericht insofern die Expertise, wird es im Zweifel einen (Kunst-) Sachverständigen beauftragen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

L

L

7.1.2022, 15:24:06

Gibt es noch weitere Fragen zum gesetzlichen Eigentumserwerb?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.1.2022, 17:19:56

Hallo L, die Fälle zum gesetzlichen Eigentumserwerb stehen noch auf unserer To-Do-Liste und werden beizeiten im Sachenrecht zu finden sein. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

Johannes

14.12.2022, 22:08:00

Was ist, wenn dies bei einer wertvollen Sache geschieht. Jemand findet ein teures Fahrrad in der Stadt und verarbeitet es zu einem Einrad. Ist er dann Eigentümer?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.12.2022, 14:50:49

Hallo Johannes, der Ausgangswert der verarbeiteten Sache ist nicht entscheidend. Der Wert der Verarbeitung darf aber nicht erheblich geringer sein, als die eingebrachten Sachen. Richtlinie ist nicht weniger als 60 %. Ist das Einrad aufgrund der Seltenheit und Verarbeitung mehr wert als 60 % des ursprünglichen Werts des Fahrrads erwirbt der Hersteller das Eigentum. Andernsfalls - und du unterstellst vermutlich, dass ein Einrad nichts und damit weniger wert ist - bleibt das Eigentum an der Sache bei dem ursprünglichen Eigentümer. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

ZA

Zar

14.4.2023, 11:23:25

Hallo! Eine Sache ist mir nicht ganz klar; der Eigentümer des Holzes (oder der ursprüngliche Eigentümer generell, unabhängig von der Sache) verliert doch trotzdem sein Eigentum, das er unter Umständen für viel Geld verkaufen könnte. Selbst wenn der Wert der Statue am Ende höher ist als der des Holzes, hat der Eigentümer des Holzes immer noch einen Wertverlust. Hat er irgendeinen Anspruch auf einen Teil des Gewinns an der Statue, oder muss er einfach mit dem Verlust leben?

SE

se.si.sc

14.4.2023, 11:50:12

Klar hat er einen solchen Anspruch: § 951 I 1 iVm 812 ff. BGB. Was dann vom Umfang her konkret herauszugeben ist, ob zB "nur" der Wert des ursprünglichen, unverarbeiteten Gegenstands oder inwiefern Wertsteigerungen bei der Verarbeitung zu berücksichtigen sind, ist umstritten. Bei vertieftem Interesse hilft hier der Blick in einen Kommentar zu § 951 BGB.

ZA

Zar

14.4.2023, 16:20:56

Vielen Dank!

LA

Laraguinevere

20.5.2023, 19:45:17

Würde das dann strafrechtlich unter den § 303 StGB fallen? Kann ja nicht nur zivilrechtlich nach § 951 BGB dann geregelt werden oder?

SE

se.si.sc

20.5.2023, 22:13:27

Im objektiven TB werden wir da kaum größere Probleme haben. Hier dürfte schon eine Substanzverletzung nach § 303 I StGB vorliegen, jedenfalls aber ein Fall von § 303 II StGB, wo es dann auf eine eventuell tatsächlich eingetretene "Verschönerung" definitiv nicht mehr ankommt. Subjektiv müsste S natürlich auch gewusst haben, dass die Sache für ihn eine fremde ist - und auch ein Irrtum könnte hier mal eine Rolle spielen (zB Verbotsirrtum nach § 17 StGB).

Norwin

Norwin

19.7.2023, 16:11:50

Der „fremd“ Begriff ist mir noch nicht ganz klar. Heißt das ich kann als bekannter Künstler so ziemlich alles bewegliche anmalen solange ich weiß es wird dadurch mehr wert und dann gehört es mir?

DA

david_zepter

15.8.2023, 15:23:04

Ja das würde gehen, in § 950 I 2 BGB steht, unter anderem, dass auch das Malen als Verarbeitung zählt. Man ist aber gem. § 951 I BGB verpflichtet demjenigen der dadurch einen Rechtsverlust erlitten hat diesen durch Geld zu vergüten.

Norwin

Norwin

15.8.2023, 17:30:40

Ahh vielen Dank. Das erstatten macht Sinn.

PR

PrädikatKandidat

18.9.2023, 09:03:26

Also sofern die Verarbeitung über 60 Prozent liegt, erwirbt der HERSTELLER das Eigentum KRAFT GESETZ? Und die Vorschriften der WE SIND NICHT anwendbvar? also §§ 104 ff. BGB? Heißt das, wenn ein geschäftunfähiger z.b. das Holz schnitzt, dann erwirbt er und nicht sein Betreuer/ Zuständige das Eigentum? Bei Minderjährigen ebenso? Weil es ja laut Gesetz für Realakte KEINE UNTERSCHEIDUNG hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit gibt? Alle sind gleich? Egal ob Kind, Geschäftsunfähiger oder Minderjähriger bei Realakten? Oder verstehe ich irgendwas falsch? Habe ich einen Denkfehler? Wusste gar nicht, dass es im Gesetz eine Ausnahme gibt, wo man sogar dIE EIGENSCHAFT eines Minderjährigen vollständig wegdenkt? Ich bedanke mich bereits für eine Rückmeldung!


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