Fiktive Schadensberechnung bei Beschädigung nachbarlicher Bauten im Rahmen von Bauarbeiten


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K und B sind Nachbarn. B führt Bauarbeiten an seinem Grundstück aus, bei denen das Haus des K durch das Verschulden des B schwer beschädigt wird. K lässt nur einen Teil der Schäden reparieren. Er verlangt von B Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten sowie die Zahlung fiktiver Reparaturkosten.

Einordnung des Falls

Fiktive Schadensberechnung bei Beschädigung nachbarlicher Bauten im Rahmen von Bauarbeiten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB.

Ja!

Der Schadensersatzanspruch des K gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB hat folgende Voraussetzungen: (1) Rechtsgutsverletzung; (2) Kausalität; (3) Rechtswidrigkeit; (4) Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit); (5) ersatzfähiger und kausaler Schaden. B verursacht schuldhaft eine Verletzung des Eigentums - nämlich des Hauses - des K. Dementsprechend besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz des dadurch entstandenen Schadens. Fraglich ist jedoch, in welchem Umfang K Schadensersatz geltend machen kann. Unproblematisch ist der Umfang im Hinblick auf die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten.

2. Der Geschädigte muss seine Sache nicht reparieren. Er kann stattdessen grundsätzlich die Kosten, die für eine Reparatur angefallen wären, fiktiv berechnen und verlangen.

Genau, so ist das!

Nach der ihm zustehenden Dispositionsfreiheit kann der Geschädigte grundsätzlich frei entscheiden, ob er den Schaden beheben lassen und die dafür entstehenden Kosten vom Schädiger verlangen, oder ob er den Schadenersatzbetrag anderweitig verwenden will. Dass ein solcher fiktiver Schadensersatz grundsätzlich zulässig ist, ergibt sich aus § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, wonach der Geschädigte statt der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands auch den dazu erforderlichen - nicht: angefallenen - Geldbetrag vom Schädiger fordern kann. Bei der fiktiven Schadensberechnung kann der Geschädigte nur den Nettobetrag verlangen (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB).

3. Die fiktive Schadensberechnung ist bei Beschädigungen an Bauwerken unanwendbar. K kann nur die tatsächlich angefallenen Kosten von B verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der neueren Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 22.02.2018 - VII ZR 46/17, RdNr. 26ff.) scheidet eine fiktive Schadensberechnung aus, wenn im Werkvertragsrecht der Besteller eine mangelhafte Sache behalten, den Mangel aber nicht beseitigen lässt. OLG München: Diese Rechtsprechung sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Denn die Rechtsprechung des BGH beziehe sich auf Spezifika aus dem Werkvertragsrecht. Hier gehe es jedoch um einen deliktischen Schadensersatzanspruch und damit um allgemeines Schadensersatzrecht, für das die fiktive Schadensberechnung allgemein unbestritten sei (RdNr. 57ff.).

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CAR

Carl

16.12.2020, 20:44:30

Bleibt noch spannend, wenn nach der Frage des VIII an den VII Senat die Sache vllt bald im großen Senat entschieden wird

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

18.12.2020, 01:25:41

Hey Carl, genau! Das erwarten wir auch mit Spannung!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.11.2021, 15:47:45

@Carl: zur Anrufung des großen Senates kam es ja letztlich nie, spannend fand ich die Entscheidung des V. Senates trotzdem. Den Fall hierzu findet ihr unter. https://jurafuchs.app.link/scSgRCXjRkb Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

KATE

Kate

2.11.2021, 15:30:57

Hallo, der Sachverhalt ist natürlich knapp und deswegen könnte ich nun völlig daneben liegen; müsste man allerdings nicht zunächst an den § 836 BGB denken?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.11.2021, 16:01:43

Hallo Kate, vielen Dank für Deine Frage! In der Tat lässt sich der Sachverhalt hier möglicherweise missverstehen. Das schadensauslösende Ereignis waren hier letztlich die Bauarbeiten am Grundstück des B. B hat im Originalfall eine Grube ausgehoben und Bohlen in den Boden gerammt. Die dadurch bedingten Erschütterungen sollen am Haus des K zu Schäden geführt haben, weswegen dieses und insbesondere die Anbauten einsturzgefährdet waren. Deswegen macht K (der mit dem einsturzgefährdeten Haus) nun Ansprüche gegen B geltend. Der Fall des § 836 BGB normiert nun eine Gefährdungshaftung für das Gefahrobjekt "Haus", ähnlich wie § 833 BGB eine verschuldensunabhängige Haftung für Tiere normiert. Tatbestandlich setzt die Norm eine Rechtsgutsverletzung (Körper/Gesundheit/Sache) voraus, die durch ein Gebäude verursacht wurde (zB durch den einsturz eines Gebäudes bzw. das Herabfallen von Gebäudeteilen). Im Verhältnis K zu B passt diese Norm nicht. Denn das Haus des K wurde durch Bauarbeiten beschädigt, nicht aber durch herabfallende Teile des Hauses von B. Wenn aber jetzt ein Dritter ("D") durch ein herabfallendes Gebäudeteil des K verletzt würde, dann hätte D einen Anspruch gegen K aus § 836 BGB. Und zwar unabhängig davon, ob K vorliegend etwas für die Beschädigung seines Hauses kann oder nicht. Verkürzt könnte man also sich merken, dass bei § 836 BGB das Gebäude der "Schädiger" und nicht der "Geschädigte" ist. Ich hoffe, es wird dadurch jetzt etwas klarer :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

KATE

Kate

2.11.2021, 16:09:51

Lieben Dank für die Erklärung!


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