Drittstaatenangehörige

8. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

O ist türkische Staatsbürgerin und seit vier Jahren in Deutschland bei einem Automobilkonzern als Managerin tätig. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen möchte sie nun den Arbeitgeber wechseln. Ihre Arbeitserlaubnis wird allerdings nicht verlängert. T beruft sich auf Art. 45 AEUV.

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Einordnung des Falls

Drittstaatenangehörige

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der persönliche Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ausdrücklich auf Unionsbürger beschränkt.

Nein!

Aus dem Wortlaut der Arbeitnehmerfreizügigkeit ergibt sich nicht, dass sich nur Unionsbürger auf Art. 45 AEUV berufen können. Allerdings ergibt sich die Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs auf Unionsbürger aus systematischen und teleologischen Gesichtspunkten. Für die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ist Unionsbürgerschaft ausdrücklich als Voraussetzung vorgeschrieben, und es ist teleologisch und systematisch folgerichtig, dass dies auch für die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. Der persönliche Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit setzt daher die Unionsbürgerschaft voraus. Bereits die Präambel des EG-Vertrags stellte einen Bezug zwischen Freizügigkeitsrechten und Staatsangehörigkeit her.
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2. Als türkische Staatsbürgerin besitzt O keine Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates. Allerdings ist sie dennoch als Unionsbürgerin anzusehen und der Anwendungsbereich von Art. 45 AEUV eröffnet, da zwischen der EU und der Türkei Beitrittsverhandlungen laufen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unionsbürger gemäß Art. 20 AEUV ist nur, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der EU besitzt. Die Unionsbürgerschaft ist also immer akzessorisch zur Staatsangehörigkeit in einem Mitgliedstaat. Drittstaatenangehörige werden nicht bereits zu Unionsbürgern, wenn der Staat, dem sie angehören, Beitrittsverhandlung mit der EU führt. Da O nicht Staatsbürgerin eines Mitgliedstaates ist, ist sie auch keine Unionsbürgerin. Der persönliche Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist nicht eröffnet.

3. O kann sich nicht auf Art. 45 AEUV berufen. Können sich gleichwohl gewisse Freizügigkeitsrechte aus einem Abkommen zwischen der EU und der Türkei ergeben?

Ja, in der Tat!

Die EU und die Türkei haben ein Assoziierungsabkommen i.S.d. Art. 217 AEUV geschlossen. Daraus ergibt sich u.a., dass Arbeitnehmer, die insgesamt vier Jahre ordnungsgemäß beschäftigt wurden, im Aufnahmestaat einen Arbeitsplatz im Lohn- oder Gehaltsverhältnis frei wählen dürfen. O kann sich zwar nicht auf Art. 45 AEUV berufen. Allerdings war O vier Jahre ordnungsgemäß in Deutschland beschäftigt, sodass sich für sie Rechte aus dem Assoziationsabkommen ergeben. Das Abkommen verbessert zwar den arbeitserlaubnisrechtlichen Status, gewährt aber kein Recht zur Einreise nach Deutschland.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MLENA

MLena

21.9.2024, 12:16:38

In der ersten Frage wird ja gefragt, ob sich Art. 45 ausdrücklich nur auf Unionsbürger bezieht, was dann verneint wird. Das verstehe ich nicht ganz, da doch in Abs. 2 steht, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit für alle Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten gilt. Dem eindeutigen

Wortlaut

nach müssten ja dann unabhängig von der Staatsangehörigkeit alle Personen umfasst sein, die irgendwo in der EU arbeiten?

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

21.9.2024, 14:15:43

Gerade weil sich aus dem

Wortlaut

des Art. 45 keine Beschränkung auf Staatsbürger der Mitgliedstaaten ergibt, ist die erste Antwort richtig, denn es ist nach einer AUSDRÜCKLICHEN Beschränkung gefragt. Anschließend geht es darum, ob solch eine Beschränkung dennoch besteht. Der

Wortlaut

der Norm ist da gerade nicht eindeutig, sondern lässt dies offen. Eine Beschränkung wird weder ausdrücklich bejaht, noch verneint. Die systematische Auslegung und der Vergleich zu anderen Grundfreiheiten, welche auf Unionsbürger beschränkt sind, ergeben allerdings, dass eine solche Beschränkung auch für die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. Auch der Zweck der Grundfreiheiten, die Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes zu fördern, erfordert keine Erstreckung auf Bürger von Drittstaaten (Telos). Ich hoffe das beantwortet deine Frage :)


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