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Jurafuchs

Die B-Bank gewährt der G-GmbH am 6.6.2019 ein Darlehen über €300.000 zu einem Zinssatz von 7,5% p.a. Gleichzeitig übernimmt der Geschäftsführer und Alleingesellschafter A zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs eine selbstschuldnerische Bürgschaft in gleicher Höhe, wobei der Bürgschaftsvertrag in den Räumen der G-GmbH geschlossen wird. Über die Möglichkeit eines Widerrufs sprechen B und A nicht. Nachdem die G-GmbH Insolvenzantrag stellt, kündigt die B den Kredit und verlangt von A Zahlung. A erklärt daraufhin am 5.5.2020 den Widerruf seiner auf Abschluss des Bürgschaftsvertrags gerichteten Willenserklärung.

Einordnung des Falls

Widerrufsrecht bei Bürgschaft

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer 2021
Examenstreffer BaWü 2021
Examenstreffer Bayern 2021

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Bürgschaft ist ein akzessorisches Sicherungsmittel.

Ja, in der Tat!

Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten (= Hauptverbindlichkeit) einzustehen (§ 765 Abs. 1 BGB). Die Bürgschaft ist vom Bestand dieser Hauptverbindlichkeit abhängig (akzessorisch): Erlischt die Hauptverbindlichkeit, beispielsweise durch Erfüllung, erlischt auch die Bürgschaft. Geht die Hauptverbindlichkeit durch Abtretung über, folgt die Bürgschaft der Hauptverbindlichkeit (§ 401 BGB). Anspruchsgrundlage für den Zahlungsanspruch des Sicherungsnehmers gegen den Bürgen ist dabei § 765 Abs. 1 BGB.

2. Der gesamte Bürgschaftsvertrag muss schriftlich geschlossen werden (§ 766 S. 1 BGB).

Nein!

Das Entstehen einer Bürgschaft setzt (1) eine zu sichernde Forderung (Hauptverbindlichkeit) und (2) eine Einigung über die Bürgschaft voraus. Bei der Einigung muss nur die Erteilung der Bürgschaftserklärung schriftlich erfolgen; der Sicherungsnehmer kann seine Erklärung formlos abgeben (§ 766 S. 1 BGB). Deshalb kann etwa auch der Zugang der konkludenten Annahmeerklärung der Bank entbehrlich sein (§ 151 BGB).

3. Der Widerruf ist ein Gestaltungsrecht (§ 355 BGB).

Genau, so ist das!

Der Widerruf ist ein Gestaltungsrecht und wird somit durch einseitige Willenserklärung gegenüber dem anderen Teil ausgeübt. Er hat drei Voraussetzungen: (1) Eine Widerrufserklärung (§ 355 Abs. 1 S. 2 BGB) (2) innerhalb der Widerrufsfrist (§ 355 Abs. 2 S. 1 BGB) und (3) ein Widerrufsrecht (§ 312ff. BGB).

4. Ist ein Widerruf hier bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Vertragsschluss mehr als 14 Tage zurückliegt.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Widerrufsfrist beträgt grundsätzlich 14 Tage (§ 355 Abs. 2 S. 1 BGB), wobei zur Wahrung der Frist bereits die rechtzeitige Absendung des Widerrufs ausreicht (§ 355 Abs. 1 S. 5 BGB). Sie beginnt grundsätzlich mit Vertragsschluss (§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB). Ohne ordnungsgemäße Belehrung beginnt die Widerrufsfrist jedoch nicht zu laufen (§ 356 Abs. 3 S. 1 BGB). In diesem Fall erlischt das Widerrufsrecht 12 Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss (§ 356 Abs. 1 S. 2 BGB). B und A haben nie über die Möglichkeit eines Widerrufs nicht gesprochen. Sofern ein Widerrufsrecht besteht, hätte A hierüber aber belehrt werden müssen (§ 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 EGBGB). Ohne entsprechende Belehrung, verlängert sich die Widerrufsfrist auf 12 Monate und 14 Tage. Da A innerhalb dieser Frist den Widerruf erklärte, scheitert dieser nicht an der Einhaltung der Widerrufsfrist.

5. Ein Widerrufsrecht setzt voraus, dass es sich bei der Bürgschaft um einen Verbrauchervertrag handelt.

Ja!

Voraussetzung sämtlicher Widerrufstatbestände ist grundsätzlich, dass (1) es sich um einen Verbrauchervertrag handelt (§ 310 Abs. 3 BGB), (2) der eine entgeltliche Leistung des Unternehmens zum Gegenstand hat, und (3) dass es sich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag (§ 312b BGB) oder einen Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB) handelt (§§ 312g, 312 BGB).

6. Es handelt sich um einen Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB).

Genau, so ist das!

Ein Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB) ist ein Vertrag zwischen einem Unternehmer (§ 14 BGB) und einem Verbraucher (§ 13 BGB). Die B handelte als Unternehmerin (§ 14 BGB). Nach ständiger Rechtsprechung handeln natürliche Personen wie A grundsätzlich und im Zweifel als Verbraucher. Außerdem ist die Übernahme einer Bürgschaft durch einen Gesellschafter bzw. Geschäftsführer mangels Kaufmannseigenschaft des Gesellschafters kein Handelsgeschäft (§ 350 HGB). Das Motiv des Gesellschafter-Geschäftsführers ist in solchen Fällen zwar (auch) das Fortbestehen des Unternehmens, er handelt in diesen Fällen jedoch grundsätzlich als Privater.

7. Für § 312 BGB ist eine entgeltliche Leistung entweder des Unternehmers oder des Verbrauchers erforderlich.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB) muss eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben (§ 312 BGB). Dies ist bei einem Bürgschaftsvertrag nicht der Fall, weil der Unternehmer als Sicherungsnehmer keine Gegenleistung erbringt und die Ausreichung des Darlehens in einem anderen Vertragsverhältnis erfolgt. BGH: § 312 Abs. 1 BGB setze voraus, dass der Unternehmer gegen ein vereinbartes Entgelt des Verbrauchers die vertragscharakteristische Leistung erbringt. Eine entgeltliche Leistung des Verbrauchers unterfalle der Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht (RdNr. 16). Die entgeltliche Leistung des Unternehmers müsse aus dem Verbrauchervertrag, für welchen das Widerrufsrecht in Anspruch genommen wird, geschuldet werden. Dies ergebe sich aus § 312 Abs. 1 BGB, der einen Verbrauchervertrag als Rechtsgrund für die Leistung voraussetze. Dass die Leistung des Unternehmers aufgrund eines separaten, nicht dem § 310 Abs. 3 BGB unterfallenden Vertrags an einen Dritten erbracht wird, reiche danach nicht (RdNr. 17).

8. Ein Widerrufsrecht ergibt sich dann aber aus einer analogen Anwendung der § 355 BGB i.V.m. §§ 312b Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB.

Nein!

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus. BGH: Es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Denn die §§ 312ff. BGB sollten ausschließlich Verbrauchverträge erfassen, die als Austauschvertrag mit einer Gegenleistungspflicht des Verbrauchers ausgestaltet sind (RdNr. 20). Demgegenüber sollten Verträge, in denen der Verbraucher die für den Vertragstypus charakteristische Leistung schuldet, ebenso wenig erfasst werden wie unentgeltliche Verbraucherverträge (RdNr. 21).

9. Die §§ 312ff. BGB müssen hier aber im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung angewendet werden, weil die Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU) „jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden“, erfasst (Art. 3 Abs. 1 Hs. 2).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Richtlinie hat nicht den Zweck, ausnahmslos alle Geschäfte zwischen Verbrauchern und Unternehmern einzubeziehen, sondern nur solche, in denen der Verbraucher aufgrund der Umstände strukturell unterlegen ist. BGH: Der Richtlinie liege der Gedanke zugrunde, dass der Verbraucher sich bei Abschluss von Verträgen zu kommerziellen Zwecken in bestimmten Situationen gegenüber dem Unternehmer in einer geschwächten Verhandlungsposition befinde (RdNr. 29). Das sind vor allem solche Situationen, in denen er unvorbereitet oder unter Druck ohne Bedenkzeit Waren kauft oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, die er ansonsten nicht kaufen oder in Anspruch nehmen würde. BGH: Alle Überlegungen stellten danach auf eine Leistung des Unternehmers ab (RdNr. 29). Deshalb hilft hier auch eine richtlinienkonforme Auslegung nicht.

10. A hat kein Widerrufsrecht, weil es sich nicht um einen entgeltlichen Vertrag handelt.

Ja, in der Tat!

Nach dieser Rechtsprechung ist zwingend erforderlich, dass der Verbrauchervertrag eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat (§ 312 BGB). Der Bürgschaftsvertrag ist jedoch kein Vertrag, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. Der Darlehensvertrag mit der GmbH ist ein separater, hiervon zu trennender Vertrag. Folglich hat A kein Widerrufsrecht (§ 355 i.V.m. §§ 312g Abs. 1, 312b BGB). B kann gem. § 765 Abs. 1 BGB Zahlung von A verlangen. Weil die Bürgschaft selbstschuldnerisch ist, muss B nicht zuvor die G in Anspruch nehmen (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

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