Widerrufsrecht bei Bürgschaft
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die B-Bank gewährt der G-GmbH am 6.6.2019 ein Darlehen über €300.000 zu einem Zinssatz von 7,5% p.a. Gleichzeitig übernimmt der Geschäftsführer und Alleingesellschafter A zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs eine selbstschuldnerische Bürgschaft in gleicher Höhe, wobei der Bürgschaftsvertrag in den Räumen der G-GmbH geschlossen wird. Über die Möglichkeit eines Widerrufs sprechen B und A nicht. Nachdem die G-GmbH Insolvenzantrag stellt, kündigt die B den Kredit und verlangt von A Zahlung. A erklärt daraufhin am 5.5.2020 den Widerruf seiner auf Abschluss des Bürgschaftsvertrags gerichteten Willenserklärung.
Diesen Fall lösen 73,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Widerrufsrecht bei Bürgschaft
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Bürgschaft ist ein akzessorisches Sicherungsmittel.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der gesamte Bürgschaftsvertrag muss schriftlich geschlossen werden (§ 766 S. 1 BGB).
Nein!
3. Der Widerruf ist ein Gestaltungsrecht (§ 355 BGB).
Genau, so ist das!
4. Ist ein Widerruf hier bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Vertragsschluss mehr als 14 Tage zurückliegt.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Ein Widerrufsrecht setzt voraus, dass es sich bei der Bürgschaft um einen Verbrauchervertrag handelt.
Ja!
6. Es handelt sich um einen Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB).
Genau, so ist das!
7. Für § 312 BGB ist eine entgeltliche Leistung entweder des Unternehmers oder des Verbrauchers erforderlich.
Nein, das trifft nicht zu!
8. Ein Widerrufsrecht ergibt sich dann aber aus einer analogen Anwendung der § 355 BGB i.V.m. §§ 312b Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB.
Nein!
9. Die §§ 312ff. BGB müssen hier aber im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung angewendet werden, weil die Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU) „jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden“, erfasst (Art. 3 Abs. 1 Hs. 2).
Nein, das ist nicht der Fall!
10. A hat kein Widerrufsrecht, weil es sich nicht um einen entgeltlichen Vertrag handelt.
Ja, in der Tat!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
JURAssic World
4.2.2021, 23:28:43
Wie war denn die Rechtsprechung diesbezüglich vor diesem BGH Urteil?
Marilena
28.2.2021, 15:57:36
Das Bestehen eines Widerrufsrechts bei Personalsicherheiten wie Schuldbeitritt, Bürgschaft und Interzessionsgarantie ist Gegenstand eines über Jahrzehnte zurückreichenden Streits in Literatur und Rechtsprechung. Das Bürgschaftsrecht der §§ 765 ff. BGB kennt kein Widerrufsrecht des Bürgen, so dass auf den Schuldrecht AT oder andere vertraglichen Schuldverhältnisse zurückgegriffen werden müsste. Diskutiert wird eine Analogie zum verbraucherdarlehensrechtlichen Widerrufsrecht aus § 495 I BGB ebenso wie zum Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen aus §§ 312 b, 312 g I BGB. In der Vorinstanz hatte das OLG Hamburg eine richtlinienkonforme Auslegung und analoge Anwendung des § 312 I BGB befürwortet.
Marilena
28.2.2021, 15:59:13
Zu der analogen Anwendung des Verbraucherdarlehensrechts mit seinem Widerrufsrecht in § 495 I BGB äußerte sich der BGH in dieser Entscheidung nicht mehr und hält damit an der bisherigen Linie der Rechtsprechung fest (BGHZ 138, 321 = NJW 1998, 1939).
Marilena
28.2.2021, 16:01:55
Für eine Vertiefung dieses Themas bietet sich der Aufsatz von Schürnbrand in der WM 2014, 1157 an (Anwendbarkeit des Rechts der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge und des Fernabsatzrechts auf Kreditsicherheiten).
Melanie 🐝
7.9.2021, 16:14:48
Examens Treffer so ganz ähnlich in der ZR 1 Klausur in Bawü Herbst 2021 von heute
Julia
11.9.2021, 20:16:42
Bayern ebenfalls, allerdings ZR 2 Teilaufgabe 1
Lukas_Mengestu
19.10.2021, 11:18:52
Super, danke euch :)
Lukas_Mengestu
19.10.2021, 11:18:52
Super, danke euch :)
Johaennzen
19.2.2022, 09:02:34
Ist die Argumentation vor dem Hintergrund der Änderung des Wortlauts des §312 I („Zahlung eines Preises“) übertragbar?
Lukas_Mengestu
21.2.2022, 18:38:55
Hallo Johaennzen, spannende Frage. Aus der Entwurfsbegründung (BT-Drs. 19/27653, S. 38) ergibt sich, dass die Änderung des § 312 Abs. 1 BGB allein dazu dienen sollte, Abgrenzungsschwierigkeiten ggü. dem neugefassten § 312 Abs. 1a BGB zu vermeiden. Weitergehende Rechtsänderungen sollten damit nicht einhergehen. Dies würde dafür sprechen würde, dass Bürgschaften auch weiterhin außen vor bleiben. Auch soll "Preis" im Sinne der Vorschrift eine Geldleistung sein. Hier könnte man argumentieren, dass die Übernahme einer Bürgschaft nicht unmittelbar eine solche Geldleistung darstellt. In der Rechtsprechung und Kommentarliteratur wird diese Frage allerdings soweit ich das überblicke (noch) nicht behandelt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Johaennzen
21.2.2022, 19:47:04
Vielen Dank für die Antwort :)!
lisi99
17.7.2022, 07:50:44
Hat sich etwas durch die Reform geändert? Jetzt steht dort „Preis“ und nicht entgeltlich.
Lukas_Mengestu
18.7.2022, 16:35:55
Hallo lisi99, durch die sprachliche Änderung sollte lediglich der Unterschied zu § 312 Abs. 1a BGB deutlich gemacht werden, da auch die Zahlung mit Daten letztlich als "entgeltliche" Leistung anzusehen ist. Insofern wird hier nun lediglich deutlicher differenziert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Maxx
19.7.2023, 08:35:18
Das ist nicht ganz unumstritten. Hier sollte man vllt. wirklich den Text anpassen und die Meinung darstellen, dass die Umformulierung den Anwendungsbereich nicht erweitern sollte
chailatte
5.11.2024, 12:24:41
Ich habe wohl etwas Verständnisschwierigkeiten. Bei den Erklärungen wurde gesagt, dass eine entgeltliche Leistung des Verbrauchers dem eindeutigen Wortlaut nach nicht § 312 I unterfalle. Umfasst der neue Wortlaut des 312 I mit „Zahlung des Preises durch Verbraucher“ nicht aber gerade eine solche entgeltliche Leistung des Verbrauchers? Ist der Streit dann nicht hinfällig? Mir erschließt sich auch nicht, warum auf eine Leistung des Unternehmers abgestellt wird, wenn im Wortlaut vom Verbraucher die Rede ist. Vllt kann mir jemand helfen.
chailatte
5.11.2024, 13:30:16
In der Erklärung des Falls hieß es, dass es auf eine Leistung des Verbrauchers nicht ankommt. Dies sei nach dem (alten) Wortlaut ausgeschlossen. Wäre das jetzt mit dem neuen Wortlaut anders zu sehen? die Zahlung eines Preises durch den Verbraucher wäre doch als Leistung anzusehen oder? Der neue Wortlaut verwirrt mich etwas. Vllt kann mir jemand helfen. Ich habe zudem gelesen, dass man 312 anwenden kann, wenn der Bürge Verbraucher ist und für die Eingehung der Bürgschaft einen geldwerten Vorteil erhält. Was wäre so ein Fall?
chailatte
5.11.2024, 14:35:01
Und noch eine Frage zu dem Prüfungsaufbau von 355 I iVm 312 I: prüft man trotz neuem Wortlaut noch den Punkt „entgeltliche Leistung“ und führt dort den BGH Streit, ob die Bürgschaft eine solche ist?
Hendrik
27.6.2023, 21:40:50
Ergibt sich das Fehlen der Widerrufsbelehrung aus der bloßen fehlenden Erwähnung im Aufgabentext oder überlese ich einen Hinweis darauf, dass keine Belehrung erfolgt ist?
Maxx
19.7.2023, 08:33:54
Ersteres
Richter Alexander Hold
8.11.2023, 12:41:37
Liebes JuraFuchs-Team, bitte nehmt in den Sachverhalt noch die Angabe auf, dass die Bank hier nicht über die Informationspflichten und das Widerrufsrecht belehrt hat. Bei einer fehlendenden Angabe dessen im Sachverhalt muss man meiner Meinung nach davon ausgehen, dass die Bank die Informationspflichten erbracht hat. Danke. :)
Lukas_Mengestu
8.11.2023, 15:00:47
Hallo
Richter Alexander Hold, vielen Dank für das Feedback. Wir haben eine entsprechende Ergänzung vorgenommen, um es hier noch klarer zu fassen. In einer Klausur würde ich hier aber aufpassen. Der Sachverhalt muss hier als feststehend betrachtet werden und - jedenfalls im ersten Examen - eindeutig sein. Dazu gehört auch, dass Umstände, die im Sachverhalt nicht genannt sind, auch nicht vorausgesetzt werden dürfen. Fehlt es also an einer entsprechenden Belehrung und ergibt sich auch nichts anderes aus dem Bearbeitervermerk (zB "Es ist zu unterstellen, dass eventuell notwendige Belehrungen erfolgt sind" (oder ein ähnlicher Hinweis)), so muss man der Lösung auch genau diesen SV zugrunde legen. Auslassungen sind bei den Prüfungsämtern gerade deshalb beliebt, weil man hier keinen "Anker" im SV bekommt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Richter Alexander Hold
8.11.2023, 15:43:37
Danke für den Hinweis und die Ergänzung. Bei Alpmann Schmidt wurde uns beigebracht, dass von dem Vorliegen von Formalia bei fehlender Sachverhaltsangabe im Normalfall ausgegangen werden kann. Aber dann muss man da wohl genau aufpassen. :)
falktghl
31.12.2023, 13:09:46
m.E. ist der Sachverhalt kürzbar, so verwirrt er etwas. ZB: Die B-Bank vergibt an die G-GmbH ein Darlehen, für den sich der GF verbürgt.
neelesophie
6.11.2024, 14:51:33
Müsste die Falllösung nicht durch die neue Fassung der Norm und dem daraus resultierenden neuen Wortlaut "Preis" überarbeitet werden?