Systematik der Mängelrechte

30. Juni 2025

16 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von V einen Gebrauchtwagen. Beide gehen davon aus, dass der Wagen unfallfrei ist. Tatsächlich hatte der Wagen bereits einen Unfallschaden.

Diesen Fall lösen 70,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Systematik der Mängelrechte

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Käufer kann grundsätzlich frei wählen, ob er gegen den Verkäufer einen Anspruch auf Nacherfüllung, auf Rückgewähr des Kaufpreises infolge Rücktritt, auf Zahlung des mangelbedingten Minderwertes, auf Schadenersatz statt der Leistung oder ggf. Aufwendungsersatz geltend macht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die in § 437 BGB genannten Rechte stehen in einem Stufenverhältnis. Rücktritt (§ 323 BGB), Minderung (§ 441 BGB), Schadenersatz statt der Leistung (§§ 280, 281 BGB) und Aufwendungsersatz (§ 284 BGB) setzen grundsätzlich den erfolglosen Ablauf einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung voraus und sind daher dem Nacherfüllungsanspruch (§ 439 BGB) gegenüber grundsätzlich nachrangig (Vorrang der Nacherfüllung). Die Nacherfüllungsfrist ist demnach zugleich die Frist im Sinne von § 323 Abs. 1 BGB bzw. § 281 Abs. 1 S. 1 BGB.
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2. Ist die Fristsetzung zur Nacherfüllung ausnahmsweise gem. § 323 Abs. 2 BGB bzw. § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich, entfällt auch der Vorrang der Nacherfüllung. K kann in diesem Fall seine Rechte aus § 437 Nr. 2 BGB (Rücktritt bzw. Minderung) bzw. § 437 Nr. 3 BGB (Schadensersatz bzw. Aufwendungsersatz) ohne Weiteres geltend machen.

Ja, in der Tat!

§ 323 Abs. 2 BGB bzw. § 281 Abs. 2 BGB sprechen explizit von der Entbehrlichkeit der Fristsetzung. Dies meint auch, wie sich aus § 323 Abs. 1 BGB bzw. § 281 Abs. 1 S. 1 BGB ergibt, die Fristsetzung zur Nacherfüllung. Wie sich wiederum aus § 440 S. 1 Hs. 2 BGB ergibt, ist die Fristsetzung zur Nacherfüllung außer in den Fällen des § 323 Abs. 2 BGB bzw. § 281 Abs. 2 BGB auch dann entbehrlich, wenn der Verkäufer die Nacherfüllung gem. § 439 Abs. 4 BGB verweigert oder wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist.

3. Kein Vorrang der Nacherfüllung besteht bei Schadenersatzansprüchen neben der Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB) oder deren Verzögerung (§§ 280 Abs. 2, 286 BGB) sowie bei anfänglich (§ 311a BGB) oder nachträglich (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB) unmöglicher Leistung (§§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 5 BGB).

Ja!

Mangels Fristsetzungserfordernis besteht auch hier kein Vorrang der Nacherfüllung.

4. Der Nacherfüllungsvorrang gilt auch bei anderen bestehenden Leistungsverweigerungsrechten, etwa aus § 275 Abs. 2, 3 BGB.

Genau, so ist das!

Dies gilt, solange der Verkäufer die Einrede nicht erhebt. Dem Verkäufer soll es selbst überlassen sein, trotz der Möglichkeit der Erhebung eines Leistungsverweigerungsrechts Nacherfüllung zu leisten.

5. Nach Fristablauf kann K in jedem Fall zwischen Rücktritt, Minderung, Schadensersatz statt der Leistung und Aufwendungsersatz wählen.

Ja, in der Tat!

Nach Fristablauf hat der Käufer dem Vorrang der Nacherfüllung in jedem Fall genüge getan. Die abgelaufene Frist ist zugleich Frist im Rahmen der Ansprüche aus §§ 437 Nr. 2, 323 bzw. 441 BGB und §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 2, 281 bzw. 284 BGB.

6. K kann, sofern er dem Vorrang der Nacherfüllung genüge getan hat, Rücktritt parallel zu Schadensersatzansprüchen geltend machen.

Ja!

Für den Rücktritt folgt dies aus § 325 BGBBei der Minderung muss man dagegen unterscheiden. Die Erklärung der Minderung ist nach der Rechtsprechung bindend und schließt deshalb den „großen Schadensersatz“ (u.a. Rückgabe der Kaufsache + Erstattung des Kaufpreises sowie darüber hinausgehender Schäden) aus. § 325 BGB sei hier nicht analog anwendbar. Der „kleine Schadensersatz“ ist dagegen möglich, soweit dem Käufer über den Minderungsbetrag hinaus noch Schäden entstanden sind (zB entgangener Gewinn). Dies ergebe sich daraus, dass die Mängelrechte nach § 437 Nr. 2 BGB und § 437 Nr. 3 BGB mit der Konjunktion "und" verbunden seien (vgl. BGH NJW 2018, 2863 RdNr. 33).

7. Sofern K die nachrangigen Gewährleistungsrechtsbehelfe geltend macht, erlischt sein Nacherfüllungsanspruch.

Genau, so ist das!

Soweit schon erfüllt wurde, sind die Leistungen ferner gem. (§ 281 Abs. 5 BGB i.V.m.) §§ 346 - 348 BGB zurückzugewähren.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

simon175

simon175

1.9.2022, 22:42:53

Bezüglich der vorletzten Frage finde ich die Antwort inakkurat. § 325 BGB gewährt einen Rücktritt neben einem

Schaden

sersatz, von einer

Minderung

ist dort nicht die Rede. Wird in diesem Kontext die Norm extensiv ausgelegt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2022, 12:24:32

Sehr guter Hinweis, Simon! Wir haben die Aufgabe an dieser Stelle präzisiert. Die

Minderung

ist in der Tat nicht ohne weiteres neben dem

Schaden

sersatz anwendbar. § 325 BGB gilt weder direkt noch analog. Vielmehr muss man hier differenzieren: Die Erklärung der

Minderung

ist nach der Rechtsprechung bindend und schließt deshalb den „großen

Schaden

sersatz“ (u.a. Rückgabe der Kaufsache + Erstattung des Kaufpreises sowie darüber hinausgehender Schäden) aus. Der Käufer kann sich also nicht mehr gänzlich vom

Kaufvertrag

lösen. Der „kleine

Schaden

sersatz“ soll dagegen zulässig, soweit dem Käufer über den

Minderung

sbetrag hinaus noch Schäden entstanden sind (zB entgangener Gewinn). Dies ergebe sich daraus, dass die Mängelrechte nach § 437 Nr. 2 BGB und § 437 Nr. 3 BGB mit der Konjunktion "und" verbunden seien (vgl. BGH NJW 2018, 2863 RdNr. 33). Ich hoffe, es wird jetzt klarer :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Shark

Shark

11.4.2025, 22:03:22

Warum genau wird hier auf die

Minderung

Bezug genommen?

FER

Ferigan030

8.7.2024, 18:19:56

Es soll die Behauptung bewertet haben, dass der Käufer "in jedem Falle" nach dem Ablauf einer Frist zur

Nacherfüllung

zwischen

Schaden

sersatz, Rücktritt und

Minderung

wählen könne. Vorgesehen ist, diese Antwort "richtig" zu bewerten, sie ist jedoch tatsächlich nicht. Der Ablauf einer ggf. erforderlichen

Nachfrist

ist nur eine der Voraussetzungen für die nachrangigen Gewährleistunsgsrechte. Notwendig wären für einen

Schaden

sersatz das Vertreten müssen, für einen Rücktritt die Erheblichkeit des Mangels. "In jedem Falle" kann der Käufer also nichts frei wählen.

AN

annsophie.mzkw

14.8.2024, 13:53:55

Dem schließe ich mich an, vielleicht sollte der Satz ergänzt werden um den Hinweis, dass etwaige Rechte dem Käufer zustehen, soweit auch die übrigen Anspruchs-Voraussetzungen vorliegen.

BEN

benjaminmeister

30.1.2025, 08:49:50

Schließe mich den Vorpostern an, das sollte dringend geändert werden.

NAN

Nani123

10.10.2024, 18:43:14

Sehr viele wichtige Informationen in kurzen knackigen Aufgaben unterteilt. Dadurch viel in kurzer Zeit gelernt! Mehr von solchen Aufgabentypen! :)

Linne Hempel

Linne Hempel

11.10.2024, 08:16:10

Hallo Jana, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

FRED

Frederieke

15.11.2024, 19:12:46

Was für Folgen ergeben sich denn aus dem Ausschluss von § 282 in § 437? Ist ein

Schaden

sersatz aus § 282 gar nicht möglich, wenn die Voraussetzungen

Sachmangel

bei

Gefahr

übergang vorliegen oder ist § 282 unabhängig davon anwendbar?

LMA

Lt. Maverick

23.4.2025, 20:14:53

Der Gesetzgeber sieht ganz klar vor, dass der

Nacherfüllungsanspruch

das Äquivalenz- nicht das

Integritätsinteresse

bedient. Deshalb sind in § 437 BGB nur solche Rechtsnormen aufgelistet, die dem

Äquivalenzinteresse

(=

Erfüllungsinteresse

) Rechnung tragen. Der Gesetzgeber hält am Grundsatz „pacta sunt servanda“ fest und möchte nicht, dass der Käufer wegen einer Nebenpflichtverletzung einen Anspruch auf

Schadensersatz statt der Leistung

erhält. Vielmehr soll die

Nacherfüllung

weiterhin erfolgen. Deshalb stellen Verletzungen von

Nebenpflichten

lediglich einen

Schadensersatz neben der Leistung

über den in § 437 Nr. 3 BGB genannten §

280 I BGB

i.V.m. § 241 II BGB dar. Der Käufer behält weiterhin seinen

Nacherfüllungsanspruch

, wird rechtlich aber nicht schlechter gestellt, da § 280 BGB ausreichend das

Integritätsinteresse

schützt.

Shark

Shark

11.4.2025, 22:10:51

Was ist großer bzw.

kleiner Schadensersatz

?

LMA

Lt. Maverick

23.4.2025, 20:33:41

§§ 280 I, III,

281 BGB

Kleiner Schadensersatz

: Vertrag ist weiterhin wirksam, der Käufer behält trotz Mangels die Kaufsache, der Verkäufer den Kaufpreis. Jetzt verlangt der Käufer aber als

Schaden

sersatz die Wertdifferenz zwischen mangelhafter und mangelfreier Sache.

Großer Schadensersatz

(§§ 281 I S. 3, V BGB): Vertrag wird rückabgewickelt im Wege des Rücktritts. Käufer und Verkäufer müssen sich die jeweiligen Leistungen zurück gewähren. Darüber hinaus kann der Käufer einen

Schaden

sersatzanspruch geltend machen, wenn er z.B. die ge

schuld

ete Sache bei einem anderen Verkäufer wegen der Schlechtleistung teurer einkaufen musste.

OKA

okalinkk

23.6.2025, 15:31:43

Die Erklärung hierzu habe ich nicht verstanden.

OKA

okalinkk

23.6.2025, 15:34:26

Gibt es hierzu ein Beispiel? Die Aussage ist für mich sehr abstrakt.


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