Umfang der Rechtskraft / Ergänzungsklage


[...Wird geladen]

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T will den Liebhaber seiner Freundin, den O, umbringen. Er überfährt ihn deshalb mit seinem Auto. Als O schon sechs Monate im Koma liegt, wird T wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Alle Beteiligten verzichten sofort nach Urteilsverkündung auf ihre Rechtsmittel. Einen Tag nach der Urteilsverkündung stirbt O.

Einordnung des Falls

Umfang der Rechtskraft / Ergänzungsklage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Urteil ist formell rechtskräftig.

Ja, in der Tat!

Ein Urteil ist unanfechtbar und damit formell rechtskräftig, wenn es mit einem ordentlichen Rechtsmittel (Berufung, Revision) nicht mehr angegriffen werden kann. Das ist der Fall, wenn gegen eine Entscheidung gesetzlich kein Rechtsmittel vorgesehen ist, es verfristet ist, darauf verzichtet wurde, es zurückgenommen wurde oder eine abschließende Revisionsentscheidung das Urteil bestätigt hat. Hier kann das Urteil wegen des Rechtsmittelverzichts nicht mehr angefochten werden, es ist also formell rechtskräftig.

2. Das Urteil ist materiell rechtskräftig.

Ja!

Ist ein Urteil formell rechtskräftig, so tritt auch materielle Rechtskraft ein. Sie bewirkt die Endgültigkeit der im Tenor (nicht in der Begründung) ausgesprochenen Entscheidung und führt zum Strafklageverbrauch hinsichtlich der abgeurteilten prozessualen Tat (Art. 103 Abs. 3 GG, ne bis in idem). Der Grundsatz des ne bis in idem untersagt dabei nicht nur den Fall der Doppelbestrafung, sondern auch eine erneute Anklage nach rechtskräftigem Freispruch. Wegen der eingetretenen formellen Rechtskraft ist das Urteil auch materiell rechtskräftig.

3. T kann erneut wegen Mordes angeklagt werden, weil der Tod erst nach dem Urteil eingetreten ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Stellt sich später heraus, dass der den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt wurde oder ein rechtlicher Gesichtspunkt übersehen wurde, bleibt es bei der rechtskräftigen Entscheidung. Dies gilt nach hM auch dann, wenn der Umstand noch gar nicht berücksichtigt werden konnte, weil er erst später eingetreten ist. Spätfolgen gehören noch zur Tat im prozessualen Sinne, sodass sich die Rechtskraft auch auf sie bezieht. Eine Ergänzungsklage sieht die StPO nicht vor. Eine erneute Anklage würde gegen Art. 103 Abs. 3 GG verstoßen.

Jurafuchs kostenlos testen


NJG

NJG

14.7.2022, 14:49:35

Seit 30.12.2021 ist § 362 Nr. 5 Var. 1 StPO in Kraft, hat das eine Auswirkung auf die letzte Frage?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.7.2022, 15:06:41

Hallo NJG, sehr gute Frage! Der Wiederaufnahmegrund des § 362 Nr. 5 Var. 1 StPO greift indes nur ein, wenn der Beschuldigte freigesprochen wurde, nicht dagegen, um für einen bereits Verurteilten nachträglich eine schwere Strafe zu erwirken (BeckOK StPO/Singelnstein, 43. Ed. 1.4.2022, StPO § 362 Rn. 10a). Da im vorliegenden Fall eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung erfolgt ist, bleibt es bei diesem Ergebnis, auch wenn O letztlich doch an den Folgen der Tat verstorben ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JURAFU

jurafuchsles

9.1.2023, 10:54:55

Wie ist das, wenn das Opfer während des Verfahrens stirbt. Kann dann das Gericht nach §§ 264 II, 265 I StPO die Anklage in §§ 212, 211 umgestalten?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.1.2023, 16:35:06

Hallo jurafuchsles, Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt (§ 264 Abs. 1 StPO). Verstirbt das Opfer also im Laufe der Verhandlung, so könnte das Gericht dies in der Tat noch berücksichtigen. Der Übergang von der Verwirklichungsstufe der Straftat – Vollendung oder Versuch? – erfordert dann allerdings in der Tat einen Hinweis (MüKoStPO/Norouzi, 1. Aufl. 2016, StPO § 265 Rn. 21). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BRUC

BruceTwarze

17.6.2024, 15:02:38

Bei diesem Thema mehrfach die Redewendung "in der Tat" zu verwenden, lässt ja schon fast eine vorsätzliche Verwirrung der Lernenden nahelegen ;)


© Jurafuchs 2024