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Lernplan ÖR Grundrechte (100%)

Am Informationsstand der N-Partei skandieren deren Mitglieder Parolen. A läuft vorbei und regt sich lautstark über den Stand auf. 20 Schaulustige treten hinzu, stimmen aber bald in As Protest ein. Polizistin P will die Versammlung auflösen, weil sie nicht angemeldet ist.

Einordnung des Falls

Anmeldepflicht bei Spontanversammlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ist spätestens 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe der zuständigen Behörde zu melden.

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Genau, so ist das!

Art. 8 Abs. 1 GG schützt jede Versammlung unabhängig davon, ob sie angemeldet ist. Allerdings besteht die Pflicht, dass öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel spätestens 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe der zuständigen Behörde zu melden sind (§ 14 Abs. 1 VersG). Die Anmeldepflicht stützt sich auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG. Sie dient dem Schutz der Versammlungsteilnehmer und Dritter und ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Frist von 48 Stunden ist angemessen. Die Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung ist strafbewehrt (§ 26 Nr. 2 VersG).

2. Spontanversammlungen fallen nicht in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Sie sind folglich unzulässig, unabhängig von der Frage, ob sie die Anmeldepflicht einhalten.

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Nein, das trifft nicht zu!

Eine Versammlung ist (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zu einem gemeinsamen Zweck. Sobald sich bei einer örtlichen Zusammenkunft mehrerer Personen die gemeinsame Zweckverfolgung einstellt, entsteht eine Versammlung. Ob zuvor bloß eine Ansammlung bestand, ist unerheblich. Dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen daher auch Spontanversammlungen, die sich aus einem aktuellen Anlass ungeplant ohne Veranstalter und meist ohne Leiter entwickeln. Dies folgt aus dem offenen Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG sowie dem Telos: Spontanversammlungen sind in gleicher Weise schutzwürdig wie geplante Versammlungen.

3. Die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) gilt auch für Spontanversammlungen.

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Nein!

Spontanversammlungen unter freiem Himmel können von vornherein nicht die Pflicht erfüllen, die Versammlung spätestens 48 Stunden vorher anzumelden. Ein Beharren auf der Anmeldepflicht würde aber zur generellen Unzulässigkeit von Spontanversammlungen führen. Das wäre mit Art. 8 Abs. 1 GG, der auch Spontanversammlungen schützt, nicht vereinbar. Nach dem BVerfG ist die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) bei verfassungskonformer Auslegung auf Spontanversammlungen nicht anwendbar. Diese Auslegung ist auch mit dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 VersG vereinbar: Verpflichtet ist, "wer die Absicht hat", eine Versammlung "zu veranstalten". Dies ist gerade bei Spontanversammlungen nicht der Fall.In den neueren Landesversammlungsgesetzen ist die Ausnahme der Spontanversammlung i.d.R. nunmehr explizit mitgeregelt (z.B. § 10 Abs. 4 VersG NRW; § 12 Abs. 7 VersFG BE).

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Dogu

Dogu

20.4.2024, 20:04:22

In manchen Landesgesetzen wohl auch explizit so geregelt. : )

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.4.2024, 13:59:23

Hi Dogu, sehr guter Hinweis. Wir haben das als Vertiefung mit aufgenommen :-) Beste Grüße, Lukas -für das Jurafuchs-Team

TO

TomBombadil

9.5.2024, 22:31:11

Der Link auf das VerG NRW funktioniert nicht richtig. Es wird auf das allgemeine VersG verlinkt. Vielleicht mag das noch jemand anpassen.


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