Öffentliches Recht
Grundrechte
Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG)
Anmeldepflicht bei Eilversammlung
Anmeldepflicht bei Eilversammlung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die Nachrichten melden, dass überraschend Diktator D am nächsten Tag in Berlin erwartet wird. Bürger V ist empört und organisiert für den nächsten Morgen eine "Demo gegen D". Die Versammlung verläuft reibungslos, war aber nicht angemeldet. V wird zu einer Geldstrafe verurteilt.
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Einordnung des Falls
Anmeldepflicht bei Eilversammlung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ist spätestens 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe der zuständigen Behörde zu melden.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Eilversammlungen fallen nicht in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Sie sind folglich unzulässig, unabhängig von der Frage, ob sie die Anmeldepflicht einhalten.
Nein!
3. Die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) gilt auch bei Eilversammlungen unter freiem Himmel.
Genau, so ist das!
4. Die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) gilt bei Eilversammlungen unter freiem Himmel aufgrund verfassungskonformer Auslegung nur eingeschränkt mit der Folge, dass die Frist verkürzt ist.
Ja, in der Tat!
5. Die Verurteilung des V als Veranstalter der "Demo gegen D" zu einer Geldstrafe (§ 26 Nr. 2 VersG) war rechtmäßig.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tr(u)mpeltier
20.3.2020, 16:06:05
Gleiche Anmerkung wie im vorigen Fall. Die Formulierung, dass
§ 14 versGverfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, muss dahingehend abgeschwächt werden, dass dies zunächst nur für den Regelfall gilt. Denn die verfassungsmasigkeit bzgl
eilversammlungen ergibt sich eben erst nach entsprechender auslegung
GingerCharme
11.4.2020, 13:46:48
Würde ich so nicht sehen. Es darf ja einfach-gesetzlich ein Anmeldegebot normiert werden - das ist unstreitig verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese einfach gesetzliche Vorschrift auf Grundlage von Absatz 2, kann und darf aber nicht Absatz 1 umgehen, würde sie aber bei Eil-und Spontanveranstaltungen und muss deshalb begrenzt herangezogen werden. Deshalb wird sie aber nicht generell verfassungswidrig. Ich verstehe deinen Punkt aber glaube man muss das stringent auseinanderhalten. Wenn man im BGB eine Analogie bildet oder teleologisch reduziert um Sonderfälle zu erfassen, käme man ja auch nicht auf die Idee, die Norm sei insgesamt unwirksam.
Tr(u)mpeltier junior
27.12.2020, 01:07:44
Danke für deine Anmerkung :) ich muss zugeben, dass es hier wirklich nur um Nuancen geht. Dennoch halte ich persönlich es weiterhin für präziser davon zu sprechen, dass nur "grds" §14 versG nicht zu beanstanden ist. Bei dem Vergleich mit dem zivilrecht muss man nach mE ein wenig vorsichtig sein, denn regelmäßig geht es bei der Bildung von analogien/teleologischen reduktionen idR tatsächlich nicht um die
verfassungsmäßigkeiteiner norm, sondern bloß das erzielen von adäquateren Ergebnissen. Anders dagegen zB bei richtlinienkonformen Auslegungen. Der BGH versucht häufig (teilweise über den Wortlaut hinaus) eine fehlerhafte Umsetzung von EU-Recht dadurch zu retten, dass er die Normen entsprechend auslegt. Nichts anderes hat das BVerfG in seiner Brokdorf Entscheidung bzgl 14 VersG getan.
Tr(u)mpeltier junior
27.12.2020, 01:15:25
Denn nach dem unmittelbaren Wortlaut, wonach jede Versammlung 48 h vorher anzumelden ist, würde die norm bzgl spontan u.
Eilversammlungen einen übermäßigen und unverhältnismäßigen Eingriff in das versammlungsrecht darstellen. Nur durch entsprechende Reduktion umschifft man das Ergebnis. Genauso gut hätte das BVerfG damals aber zum Ergebnis kommen können, dass aufgrund des eigl klaren Wortlaut (jede Versammlung) eine Auslegung nicht mehr möglich ist und der Gesetzgeber vielmehr verpflichtet wäre, die norm neu zu fassen und zB eil/spontan Versammlungen explizit auszunehmen. Deswegen die von mir vorgeschlagenen Einschränkungen. Aber wie gesagt, letztlich ist das wirklich nicht kriegsentscheidend und vielleicht etwas zuuu pingelig von mir :D
GingerCharme
27.12.2020, 06:17:01
Ja ich verstehe deinen Punkt und sicherlich ist das etwas spitzfindig von dir, aber halt auch sehr präzise, lässt sich sicherlich hören. Und ich gebe dir Recht, dass mein letztes Argument und der Vergleich mit dem Zivilrecht etwas enthusiastisch hinten dran gestellt war.
Wendelin Neubert
29.6.2021, 12:07:31
Super Argumente, danke euch! Wir haben die Absolutheit in der Aussage herausgenommen. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
ri
17.7.2021, 18:43:04
Merke: - 14 I VersG auf
Spontanversammlungen gar nicht anwendbar (im Wortlaut angelegt) - auf
Eilversammlungen verfassungskonform bezüglich Frist auszulegen = Anmeldung muss weiterhin geschehen
Raphaeljura
14.6.2023, 04:10:38
Ich bin gerade etwas verwirrt: Wie kann etwas strafbar sein, dass nicht im StGB aufgeführt ist?
Lukas_Mengestu
14.6.2023, 15:53:36
Hallo Raphaeljura, vielen Dank für Deine Frage. Die zentrale Sammlung der Strafgesetze ist in der Tat das StGB. Dieses ist allerdings nicht abschließend, sondern es finden sich auch in anderen Gesetzen Strafvorschriften. Die Strafvorschriften außerhalb des StGB werden als sogenanntes "
Nebenstrafrecht" bezeichnet. Einen Überblick über die Strafvorschriften außerhalb des StGB findest Du hier: https://de.wikipedia.org/wiki/
NebenstrafrechtBeste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Dogu
30.6.2023, 09:17:38
Viele wichtige Straftatbestände stehen nicht im StGB. Beispielsweise die Steuerhinterziehung.
robse27
28.6.2023, 16:42:27
Hallo zusammen, könnte man ggf. als Vertiefungshinweis erwähnen, dass in der damaligen
Eilversammlungen-Entscheidung (BVerfGE 85, 69) in einem Sondervotum (85, 77) zweier Verfassungsrichter aufgeführt wurde, dass
§ 14 VersGgenerell verfassungswidrig sei, da eine verfassungskonforme Auslegung aufgrund des klaren Wortlauts nicht möglich sei? S. https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv085069.html (zustimmend auch Ipsen Staatsrecht II Rn. 573 sowie Höfling/Sachs Art. 8 Rn. 63)
Nora Mommsen
3.7.2023, 10:34:46
Hallo robse27, danke für deine Ergänzung zum Fall. Das haben wir gerne hinzugefügt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Sassun
9.10.2024, 17:35:55
Hessen hat netterweise in § 12 V und § 12 VI HVersFG Eil- und
Spontanversammlungen legaldefiniert. Außerdem ist die verfassungskonforme Auslegung berücksichtigt.