Anmeldepflicht bei Eilversammlung

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Nachrichten melden, dass überraschend Diktator D am nächsten Tag in Berlin erwartet wird. Bürger V ist empört und organisiert für den nächsten Morgen eine "Demo gegen D". Die Versammlung verläuft reibungslos, war aber nicht angemeldet. V wird zu einer Geldstrafe verurteilt.

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Einordnung des Falls

Anmeldepflicht bei Eilversammlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ist spätestens 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe der zuständigen Behörde zu melden.

Ja, in der Tat!

Art. 8 Abs. 1 GG schützt jede Versammlung unabhängig davon, ob sie angemeldet ist. Allerdings besteht die Pflicht, dass öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel spätestens 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe der zuständigen Behörde zu melden sind (§ 14 Abs. 1 VersG). Die Anmeldepflicht stützt sich auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG. Sie dient dem Schutz der Versammlungsteilnehmer und Dritter und ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Frist von 48 Stunden ist angemessen. Die Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung ist strafbewehrt (§ 26 Nr. 2 VersG).
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2. Eilversammlungen fallen nicht in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Sie sind folglich unzulässig, unabhängig von der Frage, ob sie die Anmeldepflicht einhalten.

Nein!

Eine Versammlung ist (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zu einem gemeinsamen Zweck. Wie lange im Voraus die Versammlung geplant oder organisiert wurde, ist unerheblich. Dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen selbst Spontanversammlungen, die sich aus einem aktuellen Anlass ungeplant ohne Veranstalter und meist ohne Leiter entwickeln. Folglich sind erst recht auch kurzfristig organisierte Eilversammlungen von der Versammlungsfreiheit geschützt. Dies folgt aus dem offenen Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG sowie dem Telos. Eilversammlungen sind in gleicher Weise schutzwürdig wie lang im Voraus geplante Versammlungen.

3. Die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) gilt auch bei Eilversammlungen unter freiem Himmel.

Genau, so ist das!

Eilversammlungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie - im Unterschied zu Spontanversammlungen - zwar geplant sind und Veranstalter haben, aber die Anmeldefrist von 48 Stunden nicht einhalten können, ohne dass dadurch der Versammlungszweck gefährdet wird. Ein Beharren auf der Einhaltung der vollen Anmeldefrist von 48 Stunden würde zur generellen Unzulässigkeit von Eilversammlungen führen. Das wäre mit Art. 8 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Anders als bei Spontanversammlungen ist bei Eilversammlungen jedoch nur die 48-Stunden-Frist problematisch; die Anmeldepflicht selbst ist verfassungsrechtlich nicht problematisch.

4. Die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) gilt bei Eilversammlungen unter freiem Himmel aufgrund verfassungskonformer Auslegung nur eingeschränkt mit der Folge, dass die Frist verkürzt ist.

Ja, in der Tat!

Das Beharren auf der 48-Stunden-Frist des § 14 Abs. 1 VersG würde zur generellen Unzulässigkeit von Eilversammlungen führen. Dies würde verfassungswidrig zu einem generellen Verbot von kurzfristig anberaumten Versammlungen führen. Im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 14 Abs. 1 VersG kommt es daher zu einer Verkürzung der Anmeldefrist auf ein Maß, die der Eigenart der konkreten Versammlung Rechnung trägt. Die Anmeldepflicht als solche bleibt hingegen bestehen. Eilversammlungen sind anzumelden, und zwar sobald die Möglichkeit dazu besteht. Dies ist in dem Zeitpunkt der Fall, in dem der Beschluss getroffen wird, die Versammlung zu veranstalten, spätestens aber zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Veranstaltung. In der Eilversammlungsentscheidung des BVerfG (1 BvR 850/88, RdNr. 40, 42 ff.) gab es ein abweichendes Votum zweier Richter*innen, die § 14 VersG im Hinblick auf Eilversammlungen für verfassungswidrig hielten, und insbesondere die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschritten sahen. Die Auslegung der Reduktion der 48-Stunden-Frist, gebe der Wortlaut nicht her.

5. Die Verurteilung des V als Veranstalter der "Demo gegen D" zu einer Geldstrafe (§ 26 Nr. 2 VersG) war rechtmäßig.

Ja!

Die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) bei Eilversammlungen bleibt bestehen und nur die Anmeldefrist wird entsprechend verkürzt. Daher hätte V die Versammlung anmelden müssen - und zwar zu dem Zeitpunkt, in dem er den Beschluss getroffen hat, die "Demo gegen D" zu veranstalten, spätestens aber zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Veranstaltung. Die Strafandrohung des § 26 Nr. 2 VersG dient der Einhaltung der Anmeldepflicht und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Als Veranstalter hat sich V gemäß § 26 Nr. 2 VersG strafbar gemacht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TR

Tr(u)mpeltier

20.3.2020, 16:06:05

Gleiche Anmerkung wie im vorigen Fall. Die Formulierung, dass

§ 14 versG

verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, muss dahingehend abgeschwächt werden, dass dies zunächst nur für den Regelfall gilt. Denn die verfassungsmasigkeit bzgl

eilversammlung

en ergibt sich eben erst nach entsprechender auslegung

GI

GingerCharme

11.4.2020, 13:46:48

Würde ich so nicht sehen. Es darf ja einfach-gesetzlich ein Anmeldegebot normiert werden - das ist unstreitig verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese einfach gesetzliche Vorschrift auf Grundlage von Absatz 2, kann und darf aber nicht Absatz 1 umgehen, würde sie aber bei Eil-und Spontanveranstaltungen und muss deshalb begrenzt herangezogen werden. Deshalb wird sie aber nicht generell verfassungswidrig. Ich verstehe deinen Punkt aber glaube man muss das stringent auseinanderhalten. Wenn man im BGB eine Analogie bildet oder teleologisch reduziert um Sonderfälle zu erfassen, käme man ja auch nicht auf die Idee, die Norm sei insgesamt unwirksam.

TJU

Tr(u)mpeltier junior

27.12.2020, 01:07:44

Danke für deine Anmerkung :) ich muss zugeben, dass es hier wirklich nur um Nuancen geht. Dennoch halte ich persönlich es weiterhin für präziser davon zu sprechen, dass nur "grds" §14 versG nicht zu beanstanden ist. Bei dem Vergleich mit dem zivilrecht muss man nach mE ein wenig vorsichtig sein, denn regelmäßig geht es bei der Bildung von analogien/teleologischen reduktionen idR tatsächlich nicht um die

verfassungsmäßigkeit

einer norm, sondern bloß das erzielen von adäquateren Ergebnissen. Anders dagegen zB bei richtlinienkonformen Auslegungen. Der BGH versucht häufig (teilweise über den Wortlaut hinaus) eine fehlerhafte Umsetzung von EU-Recht dadurch zu retten, dass er die Normen entsprechend auslegt. Nichts anderes hat das BVerfG in seiner Brokdorf Entscheidung bzgl 14 VersG getan.

TJU

Tr(u)mpeltier junior

27.12.2020, 01:15:25

Denn nach dem unmittelbaren Wortlaut, wonach jede Versammlung 48 h vorher anzumelden ist, würde die norm bzgl spontan u.

Eilversammlung

en einen übermäßigen und unverhältnismäßigen Eingriff in das versammlungsrecht darstellen. Nur durch entsprechende Reduktion umschifft man das Ergebnis. Genauso gut hätte das BVerfG damals aber zum Ergebnis kommen können, dass aufgrund des eigl klaren Wortlaut (jede Versammlung) eine Auslegung nicht mehr möglich ist und der Gesetzgeber vielmehr verpflichtet wäre, die norm neu zu fassen und zB eil/spontan Versammlungen explizit auszunehmen. Deswegen die von mir vorgeschlagenen Einschränkungen. Aber wie gesagt, letztlich ist das wirklich nicht kriegsentscheidend und vielleicht etwas zuuu pingelig von mir :D

GI

GingerCharme

27.12.2020, 06:17:01

Ja ich verstehe deinen Punkt und sicherlich ist das etwas spitzfindig von dir, aber halt auch sehr präzise, lässt sich sicherlich hören. Und ich gebe dir Recht, dass mein letztes Argument und der Vergleich mit dem Zivilrecht etwas enthusiastisch hinten dran gestellt war.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

29.6.2021, 12:07:31

Super Argumente, danke euch! Wir haben die Absolutheit in der Aussage herausgenommen. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

ri

ri

17.7.2021, 18:43:04

Merke: - 14 I VersG auf

Spontanversammlung

en gar nicht anwendbar (im Wortlaut angelegt) - auf

Eilversammlung

en verfassungskonform bezüglich Frist auszulegen = Anmeldung muss weiterhin geschehen

RAP

Raphaeljura

14.6.2023, 04:10:38

Ich bin gerade etwas verwirrt: Wie kann etwas strafbar sein, dass nicht im StGB aufgeführt ist?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.6.2023, 15:53:36

Hallo Raphaeljura, vielen Dank für Deine Frage. Die zentrale Sammlung der Strafgesetze ist in der Tat das StGB. Dieses ist allerdings nicht abschließend, sondern es finden sich auch in anderen Gesetzen Strafvorschriften. Die Strafvorschriften außerhalb des StGB werden als sogenanntes "

Nebenstrafrecht

" bezeichnet. Einen Überblick über die Strafvorschriften außerhalb des StGB findest Du hier: https://de.wikipedia.org/wiki/

Nebenstrafrecht

Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

30.6.2023, 09:17:38

Viele wichtige Straftatbestände stehen nicht im StGB. Beispielsweise die Steuerhinterziehung.

robse27

robse27

28.6.2023, 16:42:27

Hallo zusammen, könnte man ggf. als Vertiefungshinweis erwähnen, dass in der damaligen

Eilversammlung

en-Entscheidung (BVerfGE 85, 69) in einem Sondervotum (85, 77) zweier Verfassungsrichter aufgeführt wurde, dass

§ 14 VersG

generell verfassungswidrig sei, da eine verfassungskonforme Auslegung aufgrund des klaren Wortlauts nicht möglich sei? S. https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv085069.html (zustimmend auch Ipsen Staatsrecht II Rn. 573 sowie Höfling/Sachs Art. 8 Rn. 63)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.7.2023, 10:34:46

Hallo robse27, danke für deine Ergänzung zum Fall. Das haben wir gerne hinzugefügt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Sassun

Sassun

9.10.2024, 17:35:55

Hessen hat netterweise in § 12 V und § 12 VI HVersFG Eil- und

Spontanversammlung

en legaldefiniert. Außerdem ist die verfassungskonforme Auslegung berücksichtigt.


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