+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Lernplan ÖR Grundrechte (100%)

Die Nachrichten melden, dass überraschend Diktator D am nächsten Tag in Berlin erwartet wird. Bürger V ist empört und organisiert für den nächsten Morgen eine "Demo gegen D". Die Versammlung verläuft reibungslos, war aber nicht angemeldet. V wird zu einer Geldstrafe verurteilt.

Einordnung des Falls

Anmeldepflicht bei Eilversammlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ist spätestens 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe der zuständigen Behörde zu melden.

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Ja, in der Tat!

Art. 8 Abs. 1 GG schützt jede Versammlung unabhängig davon, ob sie angemeldet ist. Allerdings besteht die Pflicht, dass öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel spätestens 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe der zuständigen Behörde zu melden sind (§ 14 Abs. 1 VersG). Die Anmeldepflicht stützt sich auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG. Sie dient dem Schutz der Versammlungsteilnehmer und Dritter und ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Frist von 48 Stunden ist angemessen. Die Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung ist strafbewehrt (§ 26 Nr. 2 VersG).

2. Eilversammlungen fallen nicht in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Sie sind folglich unzulässig, unabhängig von der Frage, ob sie die Anmeldepflicht einhalten.

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Nein!

Eine Versammlung ist (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zu einem gemeinsamen Zweck. Wie lange im Voraus die Versammlung geplant oder organisiert wurde, ist unerheblich. Dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen selbst Spontanversammlungen, die sich aus einem aktuellen Anlass ungeplant ohne Veranstalter und meist ohne Leiter entwickeln. Folglich sind erst recht auch kurzfristig organisierte Eilversammlungen von der Versammlungsfreiheit geschützt. Dies folgt aus dem offenen Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG sowie dem Telos. Eilversammlungen sind in gleicher Weise schutzwürdig wie lang im Voraus geplante Versammlungen.

3. Die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) gilt auch bei Eilversammlungen unter freiem Himmel.

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Genau, so ist das!

Eilversammlungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie - im Unterschied zu Spontanversammlungen - zwar geplant sind und Veranstalter haben, aber die Anmeldefrist von 48 Stunden nicht einhalten können, ohne dass dadurch der Versammlungszweck gefährdet wird. Ein Beharren auf der Einhaltung der vollen Anmeldefrist von 48 Stunden würde zur generellen Unzulässigkeit von Eilversammlungen führen. Das wäre mit Art. 8 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Anders als bei Spontanversammlungen ist bei Eilversammlungen jedoch nur die 48-Stunden-Frist problematisch; die Anmeldepflicht selbst ist verfassungsrechtlich nicht problematisch.

4. Die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) gilt bei Eilversammlungen unter freiem Himmel aufgrund verfassungskonformer Auslegung nur eingeschränkt mit der Folge, dass die Frist verkürzt ist.

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Ja, in der Tat!

Das Beharren auf der 48-Stunden-Frist des § 14 Abs. 1 VersG würde zur generellen Unzulässigkeit von Eilversammlungen führen. Dies würde verfassungswidrig zu einem generellen Verbot von kurzfristig anberaumten Versammlungen führen. Im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 14 Abs. 1 VersG kommt es daher zu einer Verkürzung der Anmeldefrist auf ein Maß, die der Eigenart der konkreten Versammlung Rechnung trägt. Die Anmeldepflicht als solche bleibt hingegen bestehen. Eilversammlungen sind anzumelden, und zwar sobald die Möglichkeit dazu besteht. Dies ist in dem Zeitpunkt der Fall, in dem der Beschluss getroffen wird, die Versammlung zu veranstalten, spätestens aber zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Veranstaltung. In der Eilversammlungsentscheidung des BVerfG (1 BvR 850/88, RdNr. 40, 42 ff.) gab es ein abweichendes Votum zweier Richter*innen, die § 14 VersG im Hinblick auf Eilversammlungen für verfassungswidrig hielten, und insbesondere die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschritten sahen. Die Auslegung der Reduktion der 48-Stunden-Frist, gebe der Wortlaut nicht her.

5. Die Verurteilung des V als Veranstalter der "Demo gegen D" zu einer Geldstrafe (§ 26 Nr. 2 VersG) war rechtmäßig.

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Ja!

Die Anmeldepflicht (§ 14 Abs. 1 VersG) bei Eilversammlungen bleibt bestehen und nur die Anmeldefrist wird entsprechend verkürzt. Daher hätte V die Versammlung anmelden müssen - und zwar zu dem Zeitpunkt, in dem er den Beschluss getroffen hat, die "Demo gegen D" zu veranstalten, spätestens aber zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Veranstaltung. Die Strafandrohung des § 26 Nr. 2 VersG dient der Einhaltung der Anmeldepflicht und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Als Veranstalter hat sich V gemäß § 26 Nr. 2 VersG strafbar gemacht.

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