Klausurklassiker: unmittelbares Ansetzen beim Wohnungseinbruchsdiebstahl


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A und B stehen im Garten des Hauses des E. Von hier aus kann man wertvolle Sachen im Haus des E sehen. E schaut auf A und B herunter. A und B sind erschrocken.

A und B haben es auf die Wertsachen im Haus des E abgesehen. Sie klettern über ein niedriges Gartentor und machen sich am Terrassenfenster zu schaffen. E wacht von den Geräuschen auf. A und B flüchten.

Einordnung des Falls

Der BGH beschäftigt sich in dieser Entscheidung mit dem klassischen Problem des Versuchsbeginns beim Wohnungseinbruchsdiebstahl. Bei Qualifikationen sei auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes abzustellen. Wenn das Ansetzen zum Grundtatbestand (Wegnahme) dem Ansetzen zur Qualifikation (Einbrechen) nachfolgt, beginnt der Versuch erst mit dem Ansetzen zum Grundtatbestand. Erfolgt das Ansetzen zum Grundtatbestand vor dem Ansetzen zum Qualifikationstatbestand, ist das Versuchsstadium erst mit dem späteren Ansetzen zum Qualifikationstatbestand erreicht.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wären A und B strafbar wegen Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB), wenn sie ihren Tatplan verwirklicht hätten?

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Ja, in der Tat!

§ 244 StGB ist eine Qualifikation zum Grundtatbestand des § 242 Abs. 1 StGB. Wohnungen sind abgeschlossene Räume, die Menschen zumindest vorübergehend als Unterkunft dienen (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 244 RdNr. 46). Der Täter muss zur Ausführung der Tat in die Wohnung einbrechen, einsteigen, eindringen oder sich verborgen halten. Die Qualifikation Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) verdrängt das Regelbeispiel des Einbruchdiebstahls (§ 243 Abs. 1 Nr. 1) (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 244 RdNr. 53). A und B haben die Qualifikation nicht verwirklicht. Sie haben nichts weggenommen.

2. Hängt die Strafbarkeit des A und B wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 Abs. 1, 2 StGB davon ab, ob A und B zur Tat unmittelbar angesetzt haben (§ 22 StGB)?

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Ja!

Der Versuch des § 244 Abs. 1 StGB ist strafbar (§ 244 Abs. 2 StGB). Der BGH zum Eintritt in das Versuchsstadium: „Das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur – vollständigen – Tatbestandserfüllung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet. […] Regelmäßig genügt es […], wenn der Täter ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht.“

3. Beginnt bei Qualifikationen das Versuchsstadium bereits, wenn der Täter zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestands ansetzt?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Bei Qualifikation, wie auch bei Regelbeispielen, ist auf die Verwirklichung des Gesamttatbestands abzustellen (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 22 RdNr. 36). Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: (1) Wenn – wie hier – das Ansetzen zum Grundtatbestand (Wegnahme) dem Ansetzen zur Qualifikation (Einbrechen) nachfolgt, beginnt der Versuch erst mit dem Ansetzen zum Grundtatbestand. (2) Erfolgt das Ansetzen zum Grundtatbestand vor dem Ansetzen zum Qualifikationstatbestand, ist das Versuchsstadium erst mit dem späteren Ansetzen zum Qualifikationstatbestand erreicht. Es handelt sich hier um ein klassisches Klausurproblem, das Du kennen solltest!

4. Haben A und B das Versuchsstadium noch nicht erreicht, weil sie noch nicht zur Wegnahme der Wertsachen angesetzt haben?

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Ja, in der Tat!

BGH: Das Eindringen in den Garten über das Gartentor enthalte kein unmittelbares Ansetzen zum Gewahrsamsbruch. A und B wollten nicht im Garten, sondern in dem Haus nach Stehlenswertem suchen. Dieses war durch weitere Sicherungen geschützt. Auch das sich „Zuschaffenmachen“ an der Terrassentür sei noch kein Ansetzen zum Gewahrsamsbruch. Denkbar sei, dass nach dem Tatplan von A und B weitere Zwischenschritte erforderlich gewesen wären, bis es schließlich zu einem Einwirken auf den Gewahrsam des E gekommen wäre. Differenziere in Deiner Klausur auch immer zwischen verschiedenen Tathandlungen – hier das Eindringen in den Garten und das sich Zuschaffenmachen an der Terrassentür –, um Deine Lösung möglichst präzise auszugestalten.

Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls (§§ 242 Abs. 1, 2, 22, 23 Abs.1 StGB)?

  1. Vorprüfung: (1) Kein vollendeter Diebstahl; (2) Strafbarkeit des Versuchs (§ 242 Abs. 2 StGB)
  2. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Tatentschluss
      1. Vorsatz bezüglich der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Zueignungsabsicht
      3. Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
    2. Unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB)
  3. Rechtswidrigkeit
  4. Schuld
  5. Strafaufhebungsgrund: Rücktritt (§ 24 Abs. 1, 2 StGB)
    1. Kein Fehlschlag
    2. Beendeter/Unbeendeter Versuch + Rücktrittshandlung
    3. Freiwilligkeit

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