Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2016

Klausurklassiker: unmittelbares Ansetzen beim Wohnungseinbruchsdiebstahl

Klausurklassiker: unmittelbares Ansetzen beim Wohnungseinbruchsdiebstahl

26. Juli 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A und B stehen im Garten des Hauses des E. Von hier aus kann man wertvolle Sachen im Haus des E sehen. E schaut auf A und B herunter. A und B sind erschrocken.

A und B haben es auf die Wertsachen im Haus des E abgesehen. Sie klettern über ein niedriges Gartentor und machen sich am Terrassenfenster zu schaffen. E wacht von den Geräuschen auf. A und B flüchten.

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Einordnung des Falls

Der BGH beschäftigt sich in dieser Entscheidung mit dem klassischen Problem des Versuchsbeginns beim Wohnungseinbruchsdiebstahl. Bei Qualifikationen sei auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes abzustellen. Wenn das Ansetzen zum Grundtatbestand (Wegnahme) dem Ansetzen zur Qualifikation (Einbrechen) nachfolgt, beginnt der Versuch erst mit dem Ansetzen zum Grundtatbestand. Erfolgt das Ansetzen zum Grundtatbestand vor dem Ansetzen zum Qualifikationstatbestand, ist das Versuchsstadium erst mit dem späteren Ansetzen zum Qualifikationstatbestand erreicht.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wären A und B strafbar wegen Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB), wenn sie ihren Tatplan verwirklicht hätten?

Ja, in der Tat!

§ 244 StGB ist eine Qualifikation zum Grundtatbestand des § 242 Abs. 1 StGB. Wohnungen sind abgeschlossene Räume, die Menschen zumindest vorübergehend als Unterkunft dienen (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 244 RdNr. 46). Der Täter muss zur Ausführung der Tat in die Wohnung einbrechen, einsteigen, eindringen oder sich verborgen halten. Die Qualifikation Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) verdrängt das Regelbeispiel des Einbruchdiebstahls (§ 243 Abs. 1 Nr. 1) (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 244 RdNr. 53). A und B haben die Qualifikation nicht verwirklicht. Sie haben nichts weggenommen.
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2. Hängt die Strafbarkeit des A und B wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 Abs. 1, 2 StGB davon ab, ob A und B zur Tat unmittelbar angesetzt haben (§ 22 StGB)?

Ja!

Der Versuch des § 244 Abs. 1 StGB ist strafbar (§ 244 Abs. 2 StGB). Der BGH zum Eintritt in das Versuchsstadium: „Das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur – vollständigen – Tatbestandserfüllung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet. […] Regelmäßig genügt es […], wenn der Täter ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht.“

3. Beginnt bei Qualifikationen das Versuchsstadium bereits, wenn der Täter zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestands ansetzt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei Qualifikation, wie auch bei Regelbeispielen, ist auf die Verwirklichung des Gesamttatbestands abzustellen (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 22 RdNr. 36). Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: (1) Wenn – wie hier – das Ansetzen zum Grundtatbestand (Wegnahme) dem Ansetzen zur Qualifikation (Einbrechen) nachfolgt, beginnt der Versuch erst mit dem Ansetzen zum Grundtatbestand. (2) Erfolgt das Ansetzen zum Grundtatbestand vor dem Ansetzen zum Qualifikationstatbestand, ist das Versuchsstadium erst mit dem späteren Ansetzen zum Qualifikationstatbestand erreicht. Es handelt sich hier um ein klassisches Klausurproblem, das Du kennen solltest!

4. Haben A und B das Versuchsstadium noch nicht erreicht, weil sie noch nicht zur Wegnahme der Wertsachen angesetzt haben?

Ja, in der Tat!

BGH: Das Eindringen in den Garten über das Gartentor enthalte kein unmittelbares Ansetzen zum Gewahrsamsbruch. A und B wollten nicht im Garten, sondern in dem Haus nach Stehlenswertem suchen. Dieses war durch weitere Sicherungen geschützt. Auch das sich „Zuschaffenmachen“ an der Terrassentür sei noch kein Ansetzen zum Gewahrsamsbruch. Denkbar sei, dass nach dem Tatplan von A und B weitere Zwischenschritte erforderlich gewesen wären, bis es schließlich zu einem Einwirken auf den Gewahrsam des E gekommen wäre. Differenziere in Deiner Klausur auch immer zwischen verschiedenen Tathandlungen – hier das Eindringen in den Garten und das sich Zuschaffenmachen an der Terrassentür –, um Deine Lösung möglichst präzise auszugestalten.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls (§§ 242 Abs. 1, 2, 22, 23 Abs.1 StGB)?

  1. Vorprüfung: (1) Kein vollendeter Diebstahl; (2) Strafbarkeit des Versuchs (§ 242 Abs. 2 StGB)
  2. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Tatentschluss
      1. Vorsatz bezüglich der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Zueignungsabsicht
      3. Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
    2. Unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB)
  3. Rechtswidrigkeit
  4. Schuld
  5. Strafaufhebungsgrund: Rücktritt (§ 24 Abs. 1, 2 StGB)
    1. Kein Fehlschlag
    2. Beendeter/Unbeendeter Versuch + Rücktrittshandlung
    3. Freiwilligkeit
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EMB

EMB

13.11.2019, 08:36:26

Falsche Fundstelle! Richtig ist 2 StR 43/16. Außerdem betont der BGH, dass es für den Versuchsbeginn auf das unmittelbare Ansetzen zum Grundtatbestand ankomme, nicht zum Gesamttatbestand.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

13.11.2019, 09:44:03

@EMB, danke für die Hinweise! Aktenzeichen haben wir korrigiert. Die URL zum Urteil war korrekt. Zu Deiner inhaltlichen Anmerkung: Nach hL und Rspr liegt bei unselbständigen Qualifikationen (wie z.B. §

244 StGB

hier) ein Versuch erst vor, wenn der Täter außer zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestands AUCH zur Verwirklichung des Grunddelikts unmittelbar angesetzt hat. Fischer fasst das in der zitierten Kommentarstelle derart zusammen, dass es auf das unmittelbare Ansetzen zum "Gesamttatbestand" ankomme. Der BGH (RdNr. 3) verweist auf die Kommentierung von Fischer und formuliert (zugegeben etwas missverständlich) dass "GRUNDSÄTZLICH auf das Ansetzen zur Verwirklichung des Grundtatbestandes abzustellen [ist] (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 22, Rn. 36 mN)". Er meint damit aber wohl dasselbe: ohne Ansetzen zum Grundtatbestand kein Versuch. Wir haben noch eine weitere Fundstelle (Rolf Schmidt, Strafrecht AT, 19.A. 2018, RdNr. 687) ergänzt, in der das klar dargestellt ist, auch unter Verweis auf das hier besprochene BGH-Urteil.

ZAV

Zavviny

19.9.2020, 15:13:04

Lösung eher abwegig und nicht gängige Rsp

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.11.2021, 12:59:22

Vielen Dank für den Hinweis, Zavviny. Das Ergebnis kann man sicherlich diskutieren, allerdings handelt es sich hierbei um die ständige Rechtsprechung des BGH, zu der er sich auch in einer jüngeren Entscheidung (BGH, Beschl. v. 14.1.2020 - 4 StR 397/19 = NStZ 2020, 353) noch einmal bekannt hat. Maßgeblich sind dabei allerdings die genauen Umstände des Einzelfalls. Schau Dir hierzu gerne im parallelen Thread nochmal den Kommentar von Tigerwitsch an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JSAUE

Jonas Sauer

10.10.2020, 23:46:02

Ein Hinweis darauf, dass sich die Rechtsprechung hierzu grundlegend geändert hat, wäre nicht schädlich.

Hamburger Michel

Hamburger Michel

31.10.2020, 20:27:48

Hallo Jonas, kannst du eine bestimmte neue Entscheidung zur vertieften Lektüre empfehlen? 🙂

JSAUE

Jonas Sauer

31.10.2020, 20:34:00

BGH 4 StR 397/19

Hamburger Michel

Hamburger Michel

31.10.2020, 20:40:52

Vielen Dank!

Tigerwitsch

Tigerwitsch

26.5.2021, 22:34:35

Die Rechtsprechung hat sich tatsächlich nicht geändert. Ich habe mir die o.g. Entscheidung durchgelesen. Selbst der BGH führt darin aus, der Beschluss stehe zu vorherigen Entscheidungen nicht im Widerspruch: „Soweit in einzelnen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen worden ist, dass die Prüfung des Versuchsbeginns grundsätzlich an der Verwirklichung des Grundtatbestandes zu orientieren [ua BGH, B. v. 20.09.2016 - AZ.: 2 StR 43/16], oder in den genannten Konstellationen trotz der Verwirklichung eines Merkmals des Qualifikationstatbestands ein

unmittelbares Ansetzen

zu verneinen sei, wenn es zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs noch eines - weiteren - Willensimpulses des Täters bedürfe [BGH, B. v. 07.08.2014 - AZ.: 3 StR 105/14], ist damit ebenfalls nur das Erfordernis kritischer Prüfung umschrieben, ob der Täter im jeweiligen Einzelfall nach seiner Vorstellung von der Tat bereits die Schwelle überschritten hat, die […] ohne weitere Zwischenakte in die vollständige Verwirklichung des Tatbestands münden soll. […] [Für] den Versuchsbeginn [bei] § 244 Abs. 4 StGB kommt es maßgeblich auf das Vorstellungsbild des Täters bei der Verwirklichung des qualifizierenden Merkmals des Einbrechens an. […] Diesem Ergebnis stehen Entscheidungen des 2. und des 5. Strafsenats nicht entgegen; sie betrafen jeweils im Tatsächlichen anders gelagerte Fallkonstellationen.“

Tigerwitsch

Tigerwitsch

26.5.2021, 22:46:19

In der Entscheidung aus 2020 hatte der Täter ein Fenster bzw. eine Terrassentür erfolgreich aufgebrochen und wollte nach seiner Vorstellung mit dem Suchen nach Gegenständen beginnen. Er wurde von den Bewohnern überrascht. Insofern unterscheidet sich der SV mit dem aus der Entscheidung von 2016. Bei letzterer haben sich die Täter an dem Terrassenfenster etc zu schaffen gemacht - und haben es nicht überwinden können. Mit anderen Worten kann man festhalten mE: - Es kommt auf eine kritische Prüfung aller Umstände des Einzelfalls an. - Als Orientierung für den Versuchsbeginn der Quali lässt sich die (auch) Verwirklichung des Grund-TB bzw. (auch) das unmittelbare Ansetzen hieran heranziehen. Maßgeblich ist jedoch stets das Vorstellungsbild des Täters und der konkrete Einzelfall, insbesondere welche konkreten Handlungen durchgeführt wurden und ob eine Gefährdung der

Rechtsgüter

unmittelbar bevorstand.

BL

Blotgrim

24.4.2023, 23:02:12

Welche Variante liege denn bei erfolgreicher Begehung vor: Einsteigen oder einbrechen?

robse27

robse27

8.8.2024, 23:44:55

Moin, ich würde sagen einbrechen: Die beiden „machen sich an dem Fenster zu schaffen“ und auf dem Bild hat der eine Kollege das Brecheisen, mit dem er gerade da am Rollo rumhantiert. Ich tendiere daher eher zum einbrechen, d.h. dem „gewaltsamen Öffnen von Umschließungen, die ein tatsächliches Hindernis darstellen [hier das geschlossene Fenster mit runtergezogenem Rollo]“. Beim Einsteigen geht es ja um die Überwindung zum Eintritt auf nicht ordnungsgemäßem Wege (wozu zwar auch ein Eintritt über das Fenster zählt), aber ich würde das Einsteigen eher bejahen, wenn sie es nicht vorher aufbrechen müssten (sondern es einfach offen gestanden hätte und die beiden gerade durch das offene Fenster rein wollten). Meines Erachtens nach steht hier eher das Zerstören im Vordergrund (s. oben), weswegen ich daher eher zum Einbrechen tendiere. Letztlich kann es aber auch dahinstehen, da es nach beiden Auffassungen ja identisch strafbewehrt wäre. LG :)

DIAA

Diaa

7.10.2023, 17:39:23

Sehr gut aufgearbeitet, vielen Dank!

LELEE

Leo Lee

15.10.2023, 12:50:32

Hallo Diaa, vielen Dank für die netten Worte! Ich werde diese an die Redaktion weiterleiten :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

JAN

Jan

21.7.2024, 07:26:50

moin, ich bin mir njcht zu 100% sicher, ob der Fall 1/1 passt aber ich denke schon: Der Bgh hatte letztes jahr entschieden, dass bei einem Angriff auf die Sicherungsebene eines Zigarettenautomaten bereits die schwere Qualifikation versucht werden kann. Dazu gibt es auch ein RÜ Video von Alpmann.

TI

Tinki

24.9.2024, 11:45:04

@[Leo Lee](213375) was meint hierzu? Hat sich die Rspr. geändert?

fuchs_

fuchs_

16.10.2024, 10:12:44

Ja, dachte ich auch. Es gibt doch sogar den einen Fall hier, bei dem über die 2m hohe Mauer geklettert wird und die beiden Täter sodann die Terrassentür aufbrechen wollen, der Eigentümer des Hauses aber zuhause ist und die Polizei ruft. Meines Erachtens wurden hier die beiden Ansichten dargestellt und der Versuch des Wohnungseinbruchsdiebstahls (

dauerhaft genutzte Privatwohnung

) sodann aber bejaht und auch der Rücktritt mangels Freiwilligkeit verneint. Hier reichten das Klettern über die Mauer und das Ansetzen zum Aufbrechen der Tür also, auch wenn noch nicht tatsächlich zur Wegnahme als solcher angesetzt wurde. Es wurde vor allem darauf abgestellt, dass die Wegnahme ja unmittelbar danach erfolgen sollte.


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