Versuchter Einbruchsdiebstahl bei Einbruch in vermeintlich dauerhaft genutzte Privatwohnung (BGH, Urt. v. 24.06.2020 – 5 StR 671/19)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

R muss ins Pflegeheim ziehen und verstirbt dort. T weiß davon nicht. Davon ausgehend, dass R noch in ihrem – weiterhin möblierten – Haus lebt, versucht er, ein Fenster aufzuhebeln, um herumliegende Wertsachen zu stehlen. Da ihm dies nicht gelingt, bricht er sein Vorhaben ab.

Einordnung des Falls

Versuchter Einbruchsdiebstahl bei Einbruch in vermeintlich dauerhaft genutzte Privatwohnung (BGH, Urt. v. 24.06.2020 – 5 StR 671/19)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat sich des vollendeten Wohnungseinbruchsdiebstahls strafbar gemacht (§§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

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Nein!

Wer zur Ausführung des Diebstahls, also der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, in eine Wohnung einbricht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. BGH: Eine Wohnung ist eine Räumlichkeit, die Menschen wenigstens vorübergehend zur Unterkunft dient. Darüber hinaus bedarf es keiner Voraussetzung, insbesondere muss die Wohnung nicht gerade im Tatzeitraum als solche genutzt werden. Geschützt sind auch unbewohnte Wohnimmobilien (RdNr. 10).Das Haus der R war nach wie vor ein Wohnhaus, auch wenn sie nicht mehr lebte oder dort wohnte. T ist es allerdings nicht gelungen etwas wegzunehmen. Somit liegt kein vollendeter Wohnungseinbruchsdiebstahl vor.Die Rechtsprechung des BGH, das zwar „bewohnbare“ aber „aktuell nicht bewohnte“ Wohnungen den Tatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllen (vgl. BGH, 22.01.2020 - 3 StR 526/19), wird in der Literatur als unzulässige Tatbestandsausweitung kritisiert (zB MüKo/Schmitz).

2. Ist der versuchte Wohnungseinbruchsdiebstahl strafbar (§§ 242 Abs. 1, Abs. 2, 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22, 23 StGB)?

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Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Ein Verbrechen ist eine rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist (§ 12 Abs. 1 StGB). Das Gesetz sieht für den Wohnungseinbruchsdiebstahl eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Es handelt sich somit nicht um ein Verbrechen. § 244 Abs. 2 StGB regelt aber ausdrücklich, die Strafbarkeit des Versuchs.

3. Hatte T Tatentschluss hinsichtlich des Wohnungseinbruchsdiebstahls (§§ 242 Abs. 1, Abs. 2, 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22, 23 StGB)?

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Ja, in der Tat!

Der Versuch setzt voraus, dass der Täter mit Tatentschluss zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt. Er hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Tatbestand zu verwirklichen. T hat geplant, in die Wohnung von R einzudringen und dort ihre frei herumliegenden Wertsachen zu stehlen. Er hatte somit den erforderlichen Tatentschluss.

4. Setzt der Täter stets zum Wohnungseinbruchsdiebstahl an, wenn er damit beginnt in die Wohnung einzubrechen bzw. einzudringen?

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Nein!

Der Täter setzt unmittelbar an, wenn er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Bei Qualifikationen und Regelbeispielen kommt es dabei regelmäßig auf den Versuchsbeginn des Grunddelikts an. Bei Diebstahlsdelikten ist deshalb nach der Rechtsprechung des BGH darauf abzustellen, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr eines ungehinderten Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut besteht.Schau Dir hierzu im Nachgang gerne auch die Zigarettenautomaten-Entscheidung in der App an (BGH, 28.04.2020 - 5 StR 15/20).

5. T hat unmittelbar zum Diebstahl angesetzt (§ 242 Abs. 1, 2 StGB).

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Genau, so ist das!

Bei Diebstahlsdelikten ist nach der Rechtsprechung des BGH darauf abzustellen, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr eines ungehinderten Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut besteht. Hierfür sei entscheidend, ob der Gewahrsam durch Schutzmechanismen gesichert ist. Ist das der Fall, reiche für den Versuchsbeginn der erste Angriff auf einen solchen Schutzmechanismus regelmäßig aus, wenn sich der Täter bei dessen Überwindung nach dem Tatplan ohne tatbestandsfremde Zwischenschritte, zeitliche Zäsur oder weitere eigenständige Willensbildung einen ungehinderten Zugriff auf die erwartete Beute vorstellt.T geht davon aus, dass er durch den vollendeten Einbruch in die Wohnung bereits sämtliche Schutzvorrichtungen überwunden hätte und dann die Wertsachen nur noch einsammeln müsse. Er handelte rechtswidrig und schuldhaft.Sofern der Täter weitere Schutzmechanismen erwartet, liegt ein unmittelbares Ansetzen nur vor, wenn die Überwindung aller Schutzmechanismen im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit paraten Mitteln erfolgen soll.

6. Betrifft der Wohnungseinbruchdiebstahl eine dauerhaft genutzte Privatwohnung, ist der Versuch ebenfalls strafbar (§ 244 Abs. 4 StGB).

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Ja, in der Tat!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens dann, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt (§ 23 Abs. 1 StGB). Betrifft der Wohnungseinbruchdiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB eine dauerhaft genutzte Privatwohnung, so ist die Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein Verbrechen ist eine rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist (§ 12 Abs. 1 StGB). Der Wohnungseinbruchdiebstahl in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung stellt aufgrund der Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe damit ein Verbrechen dar und der Versuch ist strafbar.

7. Ist der Begriff der Wohnung in § 244 Abs. 1 Nr. 3 identisch mit dem des § 244 Abs. 4 StGB?

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Nein!

BGH: Ein unbewohntes, dauerhaft verlassenes, Wohnhaus ist keine dauerhaft genutzte Privatwohnung, aber eine Wohnung (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Dafür sprechen Wortlaut und auch Sinn und Zweck: Beide Qualifikationstatbestände finden ihre Rechtfertigung darin, dass ein Wohnungseinbruchdiebstahl einen schweren Eingriff in die Privatsphäre darstellt, der eine massive Schädigung des Sicherheitsgefühls der Opfer zur Folge haben kann. Die höhere Strafe von § 244 Abs. 4 StGB – für den auch kein minder schwerer Fall vorgesehen ist – ist gerechtfertigt, weil der Eingriff noch intensiver ist, wenn die Wohnung tatsächlich bewohnt ist (RdNr. 10, 13, 14).

8. War das Haus der R zum Tatzeitpunkt eine dauerhaft genutzte Privatwohnung (§ 244 Abs. 4 StGB)?

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Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Ein unbewohntes, dauerhaft verlassenes, Wohnhaus ist keine dauerhaft genutzte Privatwohnung, sondern nur eine Wohnung (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB).R zog in ein Pflegeheim und verstarb kurze Zeit später. Unabhängig davon, ob geplant war, dass sie nur kurzzeitig im Pflegeheim bleibt und dann in ihr Haus zurückzieht, war jedenfalls nach ihrem Tod eine Rückkehr ausgeschlossen. Nach der Definition des BGH war das Haus zum Tatzeitpunkt jedenfalls keine dauerhaft genutzte Privatwohnung mehr.

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DAV

david1234

15.3.2024, 19:32:25

Warum liegt hier in Bezug auf die Privatwohnung kein strafbarer untauglicher Versuch vor? Der Täter hat sich ja vorgestellt, dass die Person dort noch lebt.

TI

Timurso

15.3.2024, 21:24:50

Würde hier auch einen untauglichen Versuch sehen.

Sambajamba10

Sambajamba10

14.4.2024, 14:37:48

Dieser kommt in Betracht. Darauf wird im Urteil und im Leitsatz auch hingewiesen. Angesichts der Möblierung der Wohnung liegt es auch nahe,mdsss der Täter hier zumindest Eventualvorsatz dahingehend hat.


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