Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2020

Versuchter Einbruchsdiebstahl bei Einbruch in vermeintlich dauerhaft genutzte Privatwohnung (BGH, Urt. v. 24.06.2020 – 5 StR 671/19)

Versuchter Einbruchsdiebstahl bei Einbruch in vermeintlich dauerhaft genutzte Privatwohnung (BGH, Urt. v. 24.06.2020 – 5 StR 671/19)

25. November 2024

4,7(16.706 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

R muss ins Pflegeheim ziehen und verstirbt dort. T weiß davon nicht. Davon ausgehend, dass R noch in ihrem – weiterhin möblierten – Haus lebt, versucht er, ein Fenster aufzuhebeln, um herumliegende Wertsachen zu stehlen. Da ihm dies nicht gelingt, bricht er sein Vorhaben ab.

Diesen Fall lösen 81,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Versuchter Einbruchsdiebstahl bei Einbruch in vermeintlich dauerhaft genutzte Privatwohnung (BGH, Urt. v. 24.06.2020 – 5 StR 671/19)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat sich des vollendeten Wohnungseinbruchsdiebstahls strafbar gemacht (§§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Nein!

Wer zur Ausführung des Diebstahls, also der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, in eine Wohnung einbricht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. BGH: Eine Wohnung ist eine Räumlichkeit, die Menschen wenigstens vorübergehend zur Unterkunft dient. Darüber hinaus bedarf es keiner Voraussetzung, insbesondere muss die Wohnung nicht gerade im Tatzeitraum als solche genutzt werden. Geschützt sind auch unbewohnte Wohnimmobilien (RdNr. 10).Das Haus der R war nach wie vor ein Wohnhaus, auch wenn sie nicht mehr lebte oder dort wohnte. T ist es allerdings nicht gelungen etwas wegzunehmen. Somit liegt kein vollendeter Wohnungseinbruchsdiebstahl vor.Die Rechtsprechung des BGH, das zwar „bewohnbare“ aber „aktuell nicht bewohnte“ Wohnungen den Tatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllen (vgl. BGH, 22.01.2020 - 3 StR 526/19), wird in der Literatur als unzulässige Tatbestandsausweitung kritisiert (zB MüKo/Schmitz).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Ist der versuchte Wohnungseinbruchsdiebstahl strafbar (§§ 242 Abs. 1, Abs. 2, 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22, 23 StGB)?

Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Ein Verbrechen ist eine rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist (§ 12 Abs. 1 StGB). Das Gesetz sieht für den Wohnungseinbruchsdiebstahl eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Es handelt sich somit nicht um ein Verbrechen. § 244 Abs. 2 StGB regelt aber ausdrücklich, die Strafbarkeit des Versuchs.

3. Hatte T Tatentschluss hinsichtlich des Wohnungseinbruchsdiebstahls (§§ 242 Abs. 1, Abs. 2, 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22, 23 StGB)?

Ja, in der Tat!

Der Versuch setzt voraus, dass der Täter mit Tatentschluss zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt. Er hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Tatbestand zu verwirklichen. T hat geplant, in die Wohnung von R einzudringen und dort ihre frei herumliegenden Wertsachen zu stehlen. Er hatte somit den erforderlichen Tatentschluss.

4. Setzt der Täter stets zum Wohnungseinbruchsdiebstahl an, wenn er damit beginnt in die Wohnung einzubrechen bzw. einzudringen?

Nein!

Der Täter setzt unmittelbar an, wenn er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Bei Qualifikationen und Regelbeispielen kommt es dabei regelmäßig auf den Versuchsbeginn des Grunddelikts an. Bei Diebstahlsdelikten ist deshalb nach der Rechtsprechung des BGH darauf abzustellen, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr eines ungehinderten Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut besteht.Schau Dir hierzu im Nachgang gerne auch die Zigarettenautomaten-Entscheidung in der App an (BGH, 28.04.2020 - 5 StR 15/20).

5. T hat unmittelbar zum Diebstahl angesetzt (§ 242 Abs. 1, 2 StGB).

Genau, so ist das!

Bei Diebstahlsdelikten ist nach der Rechtsprechung des BGH darauf abzustellen, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr eines ungehinderten Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut besteht. Hierfür sei entscheidend, ob der Gewahrsam durch Schutzmechanismen gesichert ist. Ist das der Fall, reiche für den Versuchsbeginn der erste Angriff auf einen solchen Schutzmechanismus regelmäßig aus, wenn sich der Täter bei dessen Überwindung nach dem Tatplan ohne tatbestandsfremde Zwischenschritte, zeitliche Zäsur oder weitere eigenständige Willensbildung einen ungehinderten Zugriff auf die erwartete Beute vorstellt.T geht davon aus, dass er durch den vollendeten Einbruch in die Wohnung bereits sämtliche Schutzvorrichtungen überwunden hätte und dann die Wertsachen nur noch einsammeln müsse. Er handelte rechtswidrig und schuldhaft.Sofern der Täter weitere Schutzmechanismen erwartet, liegt ein unmittelbares Ansetzen nur vor, wenn die Überwindung aller Schutzmechanismen im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit paraten Mitteln erfolgen soll.

6. Betrifft der Wohnungseinbruchdiebstahl eine dauerhaft genutzte Privatwohnung, ist der Versuch ebenfalls strafbar (§ 244 Abs. 4 StGB).

Ja, in der Tat!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens dann, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt (§ 23 Abs. 1 StGB). Betrifft der Wohnungseinbruchdiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB eine dauerhaft genutzte Privatwohnung, so ist die Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein Verbrechen ist eine rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist (§ 12 Abs. 1 StGB). Der Wohnungseinbruchdiebstahl in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung stellt aufgrund der Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe damit ein Verbrechen dar und der Versuch ist strafbar.

7. Ist der Begriff der Wohnung in § 244 Abs. 1 Nr. 3 identisch mit dem des § 244 Abs. 4 StGB?

Nein!

BGH: Ein unbewohntes, dauerhaft verlassenes, Wohnhaus ist keine dauerhaft genutzte Privatwohnung, aber eine Wohnung (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Dafür sprechen Wortlaut und auch Sinn und Zweck: Beide Qualifikationstatbestände finden ihre Rechtfertigung darin, dass ein Wohnungseinbruchdiebstahl einen schweren Eingriff in die Privatsphäre darstellt, der eine massive Schädigung des Sicherheitsgefühls der Opfer zur Folge haben kann. Die höhere Strafe von § 244 Abs. 4 StGB – für den auch kein minder schwerer Fall vorgesehen ist – ist gerechtfertigt, weil der Eingriff noch intensiver ist, wenn die Wohnung tatsächlich bewohnt ist (RdNr. 10, 13, 14).

8. War das Haus der R zum Tatzeitpunkt eine dauerhaft genutzte Privatwohnung (§ 244 Abs. 4 StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Ein unbewohntes, dauerhaft verlassenes, Wohnhaus ist keine dauerhaft genutzte Privatwohnung, sondern nur eine Wohnung (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB).R zog in ein Pflegeheim und verstarb kurze Zeit später. Unabhängig davon, ob geplant war, dass sie nur kurzzeitig im Pflegeheim bleibt und dann in ihr Haus zurückzieht, war jedenfalls nach ihrem Tod eine Rückkehr ausgeschlossen. Nach der Definition des BGH war das Haus zum Tatzeitpunkt jedenfalls keine dauerhaft genutzte Privatwohnung mehr. Das ändert nach dem BGH aber nichts daran, dass der Täter dahingehenden Eventualvorsatz hatte, weil er die noch bestehende Möblierung der Wohnung zur Kenntnis nahm. Er war deshalb wegen (untauglichen) versuchten schweren Wohnungseinbruchdiebstahls nach §§ 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB zu bestrafen.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAG

Magnum

24.10.2024, 12:29:42

Das unmittelbare Ansetzen wurde in einer vorherigen Aufgabe verneint, in dem die Täter den Bewohner beim Aufheblen des Fensters geweckt hatten. Warum wird es hier bejaht?

FO

forste35

4.11.2024, 15:54:45

Ich glaube das war der Fall, weil bei dem anderen Fall der Täter nicht genau wusste, wo sich die Tatbeute genau in der Wohnung befindet und dadurch nicht klar war, ob er nicht weitere Schutzvorrichtungen zur Wegnahme der Sachen überwinden muss. :)

LELEE

Leo Lee

16.11.2024, 07:45:39

Hallo Magnum, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Magst du uns kurz mitteilen, welchen Fall du genau meinst, damit wir für die Beantwortung dieser Frage einen Anhaltspunkt haben :)? Ausgehend von forste35s Kommentar kann man jedoch sagen - wie forste es selbst super angemerkt hat - dass für das Ansetzen beim Diebstahl ebenfalls wichtig ist, dass der Täter auch weiß, wo sich der Gegenstand befindet, denn erst dann kann er nach seiner Vorstellung ohne wesentliche Zwischenschritte...Das ist der bedeutende Unterschied zw. dem Fall, den du vermutlich gemeint hast und diesem. Falls du einen anderen Fall gemeint hast, freuen wir uns auf eine kurze Rückmeldung :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen