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Wohnungseinbruchsdiebstahl: "Wohnung" trotz Tod des Bewohners?

Wohnungseinbruchsdiebstahl: "Wohnung" trotz Tod des Bewohners?

9. Mai 2023

24 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T stiehlt etwas aus einem Haus und denkt währenddessen an den neuen Eigentümer und Erben des Hauses E.

Ohne dass es zu Beschädigungen kommt, hebelt T ein Fenster im Haus des zwei Wochen zuvor verstorbenen V auf und erbeutet Bargeld. Dass eine Woche zuvor der Erbe E das Haus zur Erfüllung von Vermächtnissen besucht hatte, ist T bekannt.

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Einordnung des Falls

Ein Wohnungseinbruchsdiebstahl in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung ist auch in die Wohnung eines Toten möglich. Maßgeblich sei der Zweck der Unterkunft, nicht der tatsächliche Gebrauch. Hierdurch solle das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität geschützt werden. Dieses Schutzes bedarf es auch nach dem Tod, wenn die zu schützenden Rechtsgüter neben dem Toten auch anderen Personen zuzuordnen sind.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Was das Bargeld für T ein „taugliches Diebstahlobjekt" (§ 242 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Tatobjekt des Diebstahls ist eine fremde bewegliche Sache. Sache ist jeder körperliche Gegenstand (vgl. § 90 BGB). Beweglich sind alle Sachen, die von ihrem bisherigen Standort entfernt werden können. Fremd ist jede eigentumsfähige Sache, an der ein anderer im Zeitpunkt der Wegnahme Eigentum hat. E erlangte das Eigentum am Bargeld durch Erbgang (§ 1922 BGB). Daher war das Bargeld für T eine fremde bewegliche Sache, mithin ein taugliches Diebstahlobjekt (§ 242 Abs. 1 StGB).
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2. Hat T das Bargeld „weggenommen" (§ 242 Abs. 1 StGB), indem er es „erbeutete"?

Ja, in der Tat!

Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Als T das Bargeld nahm, war V nicht Gewahrsamsinhaber, denn Tote haben keinen Gewahrsam mehr. Zwar erlangte E mit dem Tod des V den Besitz (§ 857 BGB). Dies ist aber bloß eine zivilrechtliche Fiktion, die auf dem erbrechtlichen Selbsterwerb beruht. Es handelt sich um einen Besitz ohne Sachherrschaft. Allerdings dokumentierte E durch den Hausbesuch, dass er neue Sachherrschaft ausübte. Dadurch, dass T das Bargeld mitnahm, wechselte der Gewahrsam von E auf T. Dies geschah gegen den Willen des E. Damit ist die Wegnahme vollendet.

3. Hat T auch den „subjektiven Tatbestand" des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) erfüllt und handelte „rechtswidrig und schuldhaft"?

Ja!

T hatte Vorsatz und zwar auch hinsichtlich des Gewahrsamsbruchs, da er von dem Hausbesuch des Erben E zur Erfüllung von Vermächtnissen wusste. Weiter handelte T mit der Absicht rechtswidriger Zueignung, ferner rechtswidrig und schuldhaft. Folglich hat er sich wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht. Da T das Bargeld aus einem Haus erbeutete, könnten überdies die Voraussetzungen des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB (sog. Wohnungseinbruchdiebstahl) vorliegen. Hierbei handelt es sich um eine Qualifikation des Diebstahls, die den einfachen Diebstahl im Wege der Spezialität verdrängt.

4. Ist der BGH der Ansicht, dass nach dem „Wortlaut" der Tod des V der „Wohnungseigenschaft" entgegensteht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Wohnungen sind abgeschlossene und überdachte Räume, die Menschen zumindest vorübergehend als Unterkunft dienen. Der Begriff „Wohnung“ bezeichne eine für die private Lebensführung geeignete und in sich abgeschlossene Einheit von gewöhnlich mehreren Räumen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sei somit der Zweck der Stätte maßgebend, nicht deren tatsächlicher Gebrauch. Dem entspreche es etwa, dass Wohnmobile und Wohnwagen tatbestandlich von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB unabhängig davon erfasst sind, ob sie zur Tatzeit zum Wohnen genutzt werden.

5. Ist der BGH der Ansicht, dass nach der „Systematik" der Tod des V der „Wohnungseigenschaft" entgegensteht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Das StGB sähe bei Einbruchdiebstählen eine Staffelung in Deliktsschwere und Strafmaß vor, die vom besonders schweren Fall des Diebstahls (§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB) über den Wohnungseinbruch (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) bis zum Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung nach § 244 Abs. 4 StGB reicht. Spätestens mit Einführung der letztgenannten Vorschrift im Jahr 2017 habe der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungseinbruchdiebstahls verstanden wissen will. Die sprachliche Betonung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in § 244 Abs. 4 StGB wäre sonst nicht geboten gewesen.

6. Ist der BGH der Ansicht, dass nach dem „Sinn und Zweck" der Tod des V der „Wohnungseigenschaft" entgegensteht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?

Nein!

Sinn und Zweck der Qualifikation aus § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB geböten die Einbeziehung von unbewohnten Immobilien, jedenfalls solange sie nicht als Wohnstätte entwidmet sind. Die Vorschrift solle das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität an sich schützen. Diese Rechtsgüter könnten auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zuzuordnen sind, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen – etwa, weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es sich um ihr Elternhaus handelt oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern. Mithin unterfällt nach dem BGH das Haus dem Wohnungsbegriff.

7. Ist T „zur Ausführung der Tat" in die Wohnung „eingebrochen" (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?

Genau, so ist das!

Einbrechen meint das gewaltsame Öffnen oder Erweitern des Zugangs eines umschlossenen Raumes. Eine Substanzverletzung ist nicht erforderlich. T hat ein Fenster im Haus aufgehebelt. Dies geschah zur Ausführung der Tat. Weiter handelte T rechtswidrig und schuldhaft. Mithin hat er sich wegen Wohnungseinbruchdiebstahl strafbar gemacht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Weil mit dem Tod des V keine dauerhaft genutzte Privatwohnung mehr vorlag, ist der schwere Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. 4 StGB) indes nicht einschlägig. Der ebenfalls verwirklichte Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 1 StGB) wird von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB konsumiert.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Absicht rechtswidriger Zueignung
    2. Objektiver Tatbestand
      1. Fremde bewegliche Sache
      2. Wegnahme
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld
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Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
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