Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2020
Wohnungseinbruchsdiebstahl: "Wohnung" trotz Tod des Bewohners?
Wohnungseinbruchsdiebstahl: "Wohnung" trotz Tod des Bewohners?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Ohne dass es zu Beschädigungen kommt, hebelt T ein Fenster im Haus des zwei Wochen zuvor verstorbenen V auf und erbeutet Bargeld. Dass eine Woche zuvor der Erbe E das Haus zur Erfüllung von Vermächtnissen besucht hatte, ist T bekannt.
Diesen Fall lösen 82,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Ein Wohnungseinbruchsdiebstahl in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung ist auch in die Wohnung eines Toten möglich. Maßgeblich sei der Zweck der Unterkunft, nicht der tatsächliche Gebrauch. Hierdurch solle das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität geschützt werden. Dieses Schutzes bedarf es auch nach dem Tod, wenn die zu schützenden Rechtsgüter neben dem Toten auch anderen Personen zuzuordnen sind.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Was das Bargeld für T ein „taugliches Diebstahlobjekt" (§ 242 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat T das Bargeld „weggenommen" (§ 242 Abs. 1 StGB), indem er es „erbeutete"?
Ja, in der Tat!
3. Hat T auch den „subjektiven Tatbestand" des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) erfüllt und handelte „rechtswidrig und schuldhaft"?
Ja!
4. Ist der BGH der Ansicht, dass nach dem „Wortlaut" der Tod des V der „Wohnungseigenschaft" entgegensteht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Ist der BGH der Ansicht, dass nach der „Systematik" der Tod des V der „Wohnungseigenschaft" entgegensteht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Ist der BGH der Ansicht, dass nach dem „Sinn und Zweck" der Tod des V der „Wohnungseigenschaft" entgegensteht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?
Nein!
7. Ist T „zur Ausführung der Tat" in die Wohnung „eingebrochen" (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?
Genau, so ist das!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz
- Absicht rechtswidriger Zueignung
- Objektiver Tatbestand
- Fremde bewegliche Sache
- Wegnahme
- Subjektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
jomolino
6.11.2021, 13:48:33
Die Frage nach der Auswirkungen des Todes auf die Wohnungseigenschaft sind Irreführend wenn nicht auch der entsprechende Absatz mit genannt wird, da es ja gerade einen Unterschied macht zwischen den unterschiedlichen Varianten im Rahmen des Diebstahls. Könntet ihr das klarstellen?
Lukas_Mengestu
8.11.2021, 11:16:45
Vielen Dank, nomamo. Wir haben nun den entsprechenden Absatz (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) eingefügt und somit klargestellt, dass es nicht um § 244 Abs. 4 StGB gehen sollte. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Sambadi
31.3.2022, 21:55:41
Ich dachte bei § 244 I Nr. 3 StGB gehe es gerade nicht darum ob die Betroffene Räumlichkeit als Wohnung gewidmet oder entwidmet ist. Das unterscheidet den Wohnungsbegriff im 244 ja von dem in § 306a I Nr. 1 wo die Räumlichkeit der Wohnung von Menschen „dient“ und es dort eben auf die Widmung ankommt, sodass das Anzünden eines Hauses wo die Bewohner (erbenlos) verstorben sind keine schwere Brandstiftung darstellt z.B. Wieso argumentiert der BGH jetzt aufeinmal damit, dass bei eine entwidmete Wohnung doch nicht unter § 244 I Nr. 3 fallen soll? Oder ist damit eine tatsächliche offizielle Entwidmung gemeint, wo eine ehemalige Wohnung in eine Zahnarztpraxis umgewandelt werden soll z.B?
Lukas_Mengestu
1.4.2022, 16:40:19
Hallo Sambadi, nur "Wohnungen" unterfallen dem Wortlaut des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB, nicht dagegen sonstige Räumlichkeiten. Der BGH zieht die Grenze dabei recht weit und subsumiert dabei auch unbewohnte Wohnungen unter den Begriff der Wohnung (nicht ohne Kritik, vgl. Schmitz, in: MüKo-StGB, 4.A. 2021 § 244 RdNr. 66). Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass er dann zumindest dort die Grenze zieht, wo die Wohnung a) unbewohnt ist und b) auch nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt werden soll. Eines "offiziellen" Entwidmungsaktes wird man hierfür aber nicht verlangen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Sambadi
1.4.2022, 16:47:20
Alles klar! Danke
DGR
26.1.2023, 22:05:33
Wieso wird hier der Sachbegriff nach dem BGB gebildet, obwohl dieser autonom zu bilden wäre (auch wenn nahezu kein Unterschied besteht?
Lukas_Mengestu
27.1.2023, 11:15:27
Hallo DGR, vielen Dank für die gute Nachfrage. In der Tat ist der Begriff der Sache im Strafrecht autonom zu bestimmen. Mit dem zivilrechtlichen Sachbegriff hat die Sache im Strafrecht allerdings die Körperlichkeit des Gegenstandes gemein (Fischer, StGB, § 242 RdNr. 3). Darauf war der Verweis bezogen. Er ist aber nicht völlig identisch mit dem zivilrechtlichen Sachbegriff, da zB anders als im Zivilrecht (vgl. § 90a BGB) auch Tiere dem strafrechtlichen Sachbegriff unterfallen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
woelkchen
18.2.2023, 15:37:33
Würde man §244 Abs. 4 bejahen, wenn weder die Erben, noch sonst jemand (auch T nicht) bisher vom Tod des V Kenntnis haben und seine Leiche noch in der Wohnung liegt (weil der V bspw erst am Tag vor dem Einbruch verstorben ist)?
woelkchen
18.2.2023, 17:44:16
Also ob die Wohnung direkt nach dem Tod schon nicht mehr als „
dauerhaft genutzte Privatwohnung“ gilt oder ob erst ein „Rausschaffen“ des Toten aus der Wohnung oder Kenntnis vom Tod die Eigenschaft einer „dauerhaft genutzten Privatwohnung“ entfallen lässt. Ab welchem Zeitpunkt setzt man da an?
Timurso
19.2.2023, 17:03:57
Ist eine gute Frage. Man könnte argumentieren, dass eine Leiche nicht dort "wohnt" und auch ein Rausschaffen oder eine Kenntnis vom Tod nicht dafür erforderlich sind, dass das Bewohnen endet. Schließlich sind Handlungen nach dem Tod nicht solche, die typischerweise unter "Wohnen" fallen und auch üben die Erben idR nicht eine Tätigkeit dort aus, die einen vergleichbaren Lebensmittelpunkt bildet.
Nora Mommsen
27.3.2023, 17:41:57
Hallo woelkchen, danke für deine Frage. Zu dieser Frage durfte auch der BGH sich schon äußern. Dadurch, dass ihre ehemaligen Bewohner nicht (mehr) in ihr leben, verlieren Räume die Eigenschaft als Wohnung im Sinne des § 244 I Nr. 3 StGB nicht. (BGH, Beschl. v. 22.1.2020 − 3 StR 526/19). Wichtig ist aber zu beachten, dass dies für § 306a StGB anders beurteilt wird. Ist der einzige Bewohner eines
Tatobjekts i.S.d. § 306a Ab . 1 Nr. 1 StGB zeitlich vor der Brandstiftung an dem Objekt gestorben, fehlt nach überwiegend vertretener Auffassung die
Tatobjektseigenschaft, ohne dass es eines nach außen wahrnehmbaren Aktes der Beendigung der
Wohnnutzungbedürfen soll (Entwidmung). Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Diaa
7.10.2023, 17:16:47
Geht's bei dem Streit, ob das Haus unter 244 IV fällt oder um den Tod des V bzw dass die Wohnung infolgedessen leer steht?
Diaa
7.10.2023, 17:24:28
NM, hat sich geregelt 😄
Leo Lee
15.10.2023, 12:51:15
Hallo Diaa, wie von dir richtig angemerkt geht es um das Problem, das sich daraus ergibt, dass nach dem Tod die Wohnung leersteht und nicht mehr eine „Wohnung“ (wo eben drin gewohnt wird) sein könnte :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
timealawisa
30.11.2023, 10:54:19
Durch ein Fenster würde doch eher die Variante des Einsteigens erfüllen? Bitte um Erklärung falls ich gerade auf dem Schlauch stehe.
Nora Mommsen
30.11.2023, 17:38:55
Hallo timealawisa, danke für deine Frage! Das Hindurchklettern durch ein Fenster erfüllt in der Tat den Tatbestand des Einsteigens. Wenn aber wie hier ein Fenster aufgehebelt wird, liegt ein gewaltsames Öffnen/Schaffen eines Zugangs vor. Dies erfüllt das Merkmal des "Einbrechens". Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Tinki
24.9.2024, 12:06:42
In diesem Fall hätte man dann direkt §§ 242 I, 244 I Nr. 3 geprüft, richtig? Vielleicht könnte man es in den Aufgaben deutlicher mit OS und Enderg. klarstellen, was man genau - auch zusammen- prüft. Das wäre super für die Klausurvorbereitung und dafür, zu wissen, wie man am Besten klausurtaktisch und zeitsparend vorgeht. Vielen Dank! Ansonsten super Kapitel finde ich!!