Wohnungseinbruchsdiebstahl: "Wohnung" trotz Tod des Bewohners? - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T stiehlt etwas aus einem Haus und denkt währenddessen an den neuen Eigentümer und Erben des Hauses E.

Ohne dass es zu Beschädigungen kommt, hebelt T ein Fenster im Haus des zwei Wochen zuvor verstorbenen V auf und erbeutet Bargeld. Dass eine Woche zuvor der Erbe E das Haus zur Erfüllung von Vermächtnissen besucht hatte, ist T bekannt.

Einordnung des Falls

Ein Wohnungseinbruchsdiebstahl in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung ist auch in die Wohnung eines Toten möglich. Maßgeblich sei der Zweck der Unterkunft, nicht der tatsächliche Gebrauch. Hierdurch solle das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität geschützt werden. Dieses Schutzes bedarf es auch nach dem Tod, wenn die zu schützenden Rechtsgüter neben dem Toten auch anderen Personen zuzuordnen sind.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Was das Bargeld für T ein „taugliches Diebstahlobjekt" (§ 242 Abs. 1 StGB)?

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Genau, so ist das!

Tatobjekt des Diebstahls ist eine fremde bewegliche Sache. Sache ist jeder körperliche Gegenstand (vgl. § 90 BGB). Beweglich sind alle Sachen, die von ihrem bisherigen Standort entfernt werden können. Fremd ist jede eigentumsfähige Sache, an der ein anderer im Zeitpunkt der Wegnahme Eigentum hat. E erlangte das Eigentum am Bargeld durch Erbgang (§ 1922 BGB). Daher war das Bargeld für T eine fremde bewegliche Sache, mithin ein taugliches Diebstahlobjekt (§ 242 Abs. 1 StGB).

2. Hat T das Bargeld „weggenommen" (§ 242 Abs. 1 StGB), indem er es „erbeutete"?

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Ja, in der Tat!

Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Als T das Bargeld nahm, war V nicht Gewahrsamsinhaber, denn Tote haben keinen Gewahrsam mehr. Zwar erlangte E mit dem Tod des V den Besitz (§ 857 BGB). Dies ist aber bloß eine zivilrechtliche Fiktion, die auf dem erbrechtlichen Selbsterwerb beruht. Es handelt sich um einen Besitz ohne Sachherrschaft. Allerdings dokumentierte E durch den Hausbesuch, dass er neue Sachherrschaft ausübte. Dadurch, dass T das Bargeld mitnahm, wechselte der Gewahrsam von E auf T. Dies geschah gegen den Willen des E. Damit ist die Wegnahme vollendet.

3. Hat T auch den „subjektiven Tatbestand" des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) erfüllt und handelte „rechtswidrig und schuldhaft"?

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Ja!

T hatte Vorsatz und zwar auch hinsichtlich des Gewahrsamsbruchs, da er von dem Hausbesuch des Erben E zur Erfüllung von Vermächtnissen wusste. Weiter handelte T mit der Absicht rechtswidriger Zueignung, ferner rechtswidrig und schuldhaft. Folglich hat er sich wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht. Da T das Bargeld aus einem Haus erbeutete, könnten überdies die Voraussetzungen des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB (sog. Wohnungseinbruchdiebstahl) vorliegen. Hierbei handelt es sich um eine Qualifikation des Diebstahls, die den einfachen Diebstahl im Wege der Spezialität verdrängt.

4. Ist der BGH der Ansicht, dass nach dem „Wortlaut" der Tod des V der „Wohnungseigenschaft" entgegensteht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Wohnungen sind abgeschlossene und überdachte Räume, die Menschen zumindest vorübergehend als Unterkunft dienen. Der Begriff „Wohnung“ bezeichne eine für die private Lebensführung geeignete und in sich abgeschlossene Einheit von gewöhnlich mehreren Räumen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sei somit der Zweck der Stätte maßgebend, nicht deren tatsächlicher Gebrauch. Dem entspreche es etwa, dass Wohnmobile und Wohnwagen tatbestandlich von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB unabhängig davon erfasst sind, ob sie zur Tatzeit zum Wohnen genutzt werden.

5. Ist der BGH der Ansicht, dass nach der „Systematik" der Tod des V der „Wohnungseigenschaft" entgegensteht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

Das StGB sähe bei Einbruchdiebstählen eine Staffelung in Deliktsschwere und Strafmaß vor, die vom besonders schweren Fall des Diebstahls (§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB) über den Wohnungseinbruch (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) bis zum Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung nach § 244 Abs. 4 StGB reicht. Spätestens mit Einführung der letztgenannten Vorschrift im Jahr 2017 habe der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungseinbruchdiebstahls verstanden wissen will. Die sprachliche Betonung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in § 244 Abs. 4 StGB wäre sonst nicht geboten gewesen.

6. Ist der BGH der Ansicht, dass nach dem „Sinn und Zweck" der Tod des V der „Wohnungseigenschaft" entgegensteht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?

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Nein!

Sinn und Zweck der Qualifikation aus § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB geböten die Einbeziehung von unbewohnten Immobilien, jedenfalls solange sie nicht als Wohnstätte entwidmet sind. Die Vorschrift solle das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität an sich schützen. Diese Rechtsgüter könnten auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zuzuordnen sind, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen – etwa, weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es sich um ihr Elternhaus handelt oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern. Mithin unterfällt nach dem BGH das Haus dem Wohnungsbegriff.

7. Ist T „zur Ausführung der Tat" in die Wohnung „eingebrochen" (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB)?

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Genau, so ist das!

Einbrechen meint das gewaltsame Öffnen oder Erweitern des Zugangs eines umschlossenen Raumes. Eine Substanzverletzung ist nicht erforderlich. T hat ein Fenster im Haus aufgehebelt. Dies geschah zur Ausführung der Tat. Weiter handelte T rechtswidrig und schuldhaft. Mithin hat er sich wegen Wohnungseinbruchdiebstahl strafbar gemacht (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Weil mit dem Tod des V keine dauerhaft genutzte Privatwohnung mehr vorlag, ist der schwere Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. 4 StGB) indes nicht einschlägig. Der ebenfalls verwirklichte Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 1 StGB) wird von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB konsumiert.

Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Absicht rechtswidriger Zueignung
    2. Objektiver Tatbestand
      1. Fremde bewegliche Sache
      2. Wegnahme
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

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JO

jomolino

6.11.2021, 13:48:33

Die Frage nach der Auswirkungen des Todes auf die Wohnungseigenschaft sind Irreführend wenn nicht auch der entsprechende Absatz mit genannt wird, da es ja gerade einen Unterschied macht zwischen den unterschiedlichen Varianten im Rahmen des Diebstahls. Könntet ihr das klarstellen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.11.2021, 11:16:45

Vielen Dank, nomamo. Wir haben nun den entsprechenden Absatz (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) eingefügt und somit klargestellt, dass es nicht um § 244 Abs. 4 StGB gehen sollte. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sambadi

Sambadi

31.3.2022, 21:55:41

Ich dachte bei § 244 I Nr. 3 StGB gehe es gerade nicht darum ob die Betroffene Räumlichkeit als Wohnung gewidmet oder entwidmet ist. Das unterscheidet den Wohnungsbegriff im 244 ja von dem in § 306a I Nr. 1 wo die Räumlichkeit der Wohnung von Menschen „dient“ und es dort eben auf die Widmung ankommt, sodass das Anzünden eines Hauses wo die Bewohner (erbenlos) verstorben sind keine schwere Brandstiftung darstellt z.B. Wieso argumentiert der BGH jetzt aufeinmal damit, dass bei eine entwidmete Wohnung doch nicht unter § 244 I Nr. 3 fallen soll? Oder ist damit eine tatsächliche offizielle Entwidmung gemeint, wo eine ehemalige Wohnung in eine Zahnarztpraxis umgewandelt werden soll z.B?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.4.2022, 16:40:19

Hallo Sambadi, nur "Wohnungen" unterfallen dem Wortlaut des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB, nicht dagegen sonstige Räumlichkeiten. Der BGH zieht die Grenze dabei recht weit und subsumiert dabei auch unbewohnte Wohnungen unter den Begriff der Wohnung (nicht ohne Kritik, vgl. Schmitz, in: MüKo-StGB, 4.A. 2021 § 244 RdNr. 66). Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass er dann zumindest dort die Grenze zieht, wo die Wohnung a) unbewohnt ist und b) auch nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt werden soll. Eines "offiziellen" Entwidmungsaktes wird man hierfür aber nicht verlangen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sambadi

Sambadi

1.4.2022, 16:47:20

Alles klar! Danke

DGR

DGR

26.1.2023, 22:05:33

Wieso wird hier der Sachbegriff nach dem BGB gebildet, obwohl dieser autonom zu bilden wäre (auch wenn nahezu kein Unterschied besteht?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.1.2023, 11:15:27

Hallo DGR, vielen Dank für die gute Nachfrage. In der Tat ist der Begriff der Sache im Strafrecht autonom zu bestimmen. Mit dem zivilrechtlichen Sachbegriff hat die Sache im Strafrecht allerdings die Körperlichkeit des Gegenstandes gemein (Fischer, StGB, § 242 RdNr. 3). Darauf war der Verweis bezogen. Er ist aber nicht völlig identisch mit dem zivilrechtlichen Sachbegriff, da zB anders als im Zivilrecht (vgl. § 90a BGB) auch Tiere dem strafrechtlichen Sachbegriff unterfallen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

woelkchen

woelkchen

18.2.2023, 15:37:33

Würde man §244 Abs. 4 bejahen, wenn weder die Erben, noch sonst jemand (auch T nicht) bisher vom Tod des V Kenntnis haben und seine Leiche noch in der Wohnung liegt (weil der V bspw erst am Tag vor dem Einbruch verstorben ist)?

woelkchen

woelkchen

18.2.2023, 17:44:16

Also ob die Wohnung direkt nach dem Tod schon nicht mehr als „dauerhaft genutzte Privatwohnung“ gilt oder ob erst ein „Rausschaffen“ des Toten aus der Wohnung oder Kenntnis vom Tod die Eigenschaft einer „dauerhaft genutzten Privatwohnung“ entfallen lässt. Ab welchem Zeitpunkt setzt man da an?

TI

Timurso

19.2.2023, 17:03:57

Ist eine gute Frage. Man könnte argumentieren, dass eine Leiche nicht dort "wohnt" und auch ein Rausschaffen oder eine Kenntnis vom Tod nicht dafür erforderlich sind, dass das Bewohnen endet. Schließlich sind Handlungen nach dem Tod nicht solche, die typischerweise unter "Wohnen" fallen und auch üben die Erben idR nicht eine Tätigkeit dort aus, die einen vergleichbaren Lebensmittelpunkt bildet.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.3.2023, 17:41:57

Hallo woelkchen, danke für deine Frage. Zu dieser Frage durfte auch der BGH sich schon äußern. Dadurch, dass ihre ehemaligen Bewohner nicht (mehr) in ihr leben, verlieren Räume die Eigenschaft als Wohnung im Sinne des § 244 I Nr. 3 StGB nicht. (BGH, Beschl. v. 22.1.2020 − 3 StR 526/19). Wichtig ist aber zu beachten, dass dies für § 306a StGB anders beurteilt wird. Ist der einzige Bewohner eines Tatobjekts i.S.d. § 306a Ab . 1 Nr. 1 StGB zeitlich vor der Brandstiftung an dem Objekt gestorben, fehlt nach überwiegend vertretener Auffassung die Tatobjektseigenschaft, ohne dass es eines nach außen wahrnehmbaren Aktes der Beendigung der Wohnnutzung bedürfen soll (Entwidmung). Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

7.10.2023, 17:16:47

Geht's bei dem Streit, ob das Haus unter 244 IV fällt oder um den Tod des V bzw dass die Wohnung infolgedessen leer steht?

DIAA

Diaa

7.10.2023, 17:24:28

NM, hat sich geregelt 😄

LELEE

Leo Lee

15.10.2023, 12:51:15

Hallo Diaa, wie von dir richtig angemerkt geht es um das Problem, das sich daraus ergibt, dass nach dem Tod die Wohnung leersteht und nicht mehr eine „Wohnung“ (wo eben drin gewohnt wird) sein könnte :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

TI

timealawisa

30.11.2023, 10:54:19

Durch ein Fenster würde doch eher die Variante des Einsteigens erfüllen? Bitte um Erklärung falls ich gerade auf dem Schlauch stehe.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

30.11.2023, 17:38:55

Hallo timealawisa, danke für deine Frage! Das Hindurchklettern durch ein Fenster erfüllt in der Tat den Tatbestand des Einsteigens. Wenn aber wie hier ein Fenster aufgehebelt wird, liegt ein gewaltsames Öffnen/Schaffen eines Zugangs vor. Dies erfüllt das Merkmal des "Einbrechens". Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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